Austreten oder nicht - das britische Dilemma

Warum Großbritannien nicht auf die EU und die EU nicht auf Großbritannien verzichten sollte.

, von  Nelly Tsekova, übersetzt von Christoph Sebald

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Austreten oder nicht - das britische Dilemma
Geldbeutel mit Union Jack Quelle: Flickr, Foto: Judy**

Inmitten der europäischen Schuldenkrise dominieren EU-Skeptiker den öffentlichen Diskurs in Großbritannien und jetzt, vor Weihnachten, da wichtige Treffen der EU Staatsoberhäupter anstehen, deutet der britische Premier David Cameron auch noch öffentlich ein Referendum über die britische EU Mitgliedschaft an.

Großbritannien und die EU – 39 Jahre „splendid isolation“

Die Beziehung Großbritanniens zur EU waren schon immer schwierig. Kaum war es der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973 beigetreten, hielt es 1975 ein Referendum über die weitere Mitgliedschaft ab. Großbritannien war mehr ein Beobachter, das den Kontinent aus einer Distanz heraus betrachtete und gleichzeitig das andere Auge quer über den Atlantik richtete. Großbritannien hat immer mehr in die EU eingezahlt, als zurückbekommen.

Das Land trat weder dem Schengenraum, noch der EU Menschenrechtscharta bei. Der Gemeinschaftswährung stand es von Anfang an skeptisch gegenüber. Kürzlich kündigte die Regierung an, dass Großbritannien von 130 EU-Richtlinien, etwa vom Europäischen Haftbefehl, zurücktreten werde. Großbritannien hielt sich stets einige Optionen offen, doch nun hat Cameron dazu aufgerufen, den „Reset“-Knopf zu drücken.

Mehr drin als draußen

Im Laufe des Integrationsprozesses wurde Großbritannien besonders für seine Beiträge in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, für seinen pragmatischen Liberalismus, seinen Einsatz für die Marktfreiheiten sowie seinen anti-protektionistischen Geist geschätzt. Das Vereinigte Königreich (VK) setzt sich für den Binnenmarkt ein, drängt auf die Vollendung des Energie- und Dienstleistungsmarktes. Das VK half beim Wiederaufbau nach dem Ende des Ost-West Gegensatzes und spielte seine Rolle, die Wiedervereinigung Europas nach dem Fall der Berliner Mauer sicherzustellen. In der Außenpolitik half das VK Konflikte in Krisengebieten in aller Welt zu lösen.

Großbritannien hat eine Schlüsselrolle inne, da es das komplexe Machtgleichgewicht in der EU aufrechterhält, indem es jenen Mitgliedstaaten Gewicht verleiht, die auf seinen Einfluss und seine Unterstützung des Freihandelsblocks setzen, um Frankreichs staatszentrierten Ansatz auszugleichen. Ohne Großbritanniens weltweiten Einfluss wird es der EU schwerfallen, ihre Ambitionen, ein wesentlicher Akteur auf der Weltbühne zu werden, der fähig ist seine Ansichten und Interessen an der Seite anderer globaler Akteure durchzusetzen, zu verwirklichen. Der Verlust britischer Machtressourcen – etwa eines starken Militärs, eines Vetos im UN Sicherheitsrats, der Erfahrung in internationaler Politik sowie des diplomatischen Knowhows – besäße einige Sprengkraft für die globalen Ambitionen der EU.

Die Stricke die halten

Die Krise in der Eurozone hat den Tories erlaubt, einen EU Austritt Großbritanniens zu propagieren, da die EU kostspielig sei und ihr Regelwerk der lokalen Wirtschaft schade. Mehr als ein Viertel der konservativen Parlamentarier stimmte letzten Oktober in einer nicht-bindenden Abstimmung entgegen der Parteilinie für ein nationales Referendum. Cameron sagte, zwar sympathisiere er mit vielen Bedenken über die EU, doch sei es nicht im Interesse Großbritanniens auszutreten.

EU-Skeptiker glauben, dass Großbritannien vorankäme und die richtigen Handelsabkommen mit seinen bevorzugten Partnern, dem Commonwealth und den USA, aushandeln könnte, wäre es erst frei von seiner europäischen Fessel. Nicht isoliert, so argumentieren sie, sondern besser verbunden mit den aufstrebenden Regionen dieser Welt wäre das Land und das obwohl das VK ein höheres Handelsvolumen mit Irland aufweist, als mit allen Entwicklungsländern (Brasilien, Indien, China und Russland) zusammen. Es ist ökonomisch keines Falls ratsam, die Haupthandelspartner durch eine Verbindung zu jenen Märkten zu ersetzen, in denen die britische Position weitaus schwächer ist. Klar, ein Freihandelsabkommen mit der EU, wie im Falle der Schweiz oder Norwegens, könnten die Briten anstreben, aber dann hätten sie in der EU nichts mehr zu sagen.

EU-Skeptiker behaupten Großbritannien sei außerhalb der EU sein eigener Herr und könnte seine nationalen Interessen besser verteidigen. Aber ist nationalen Interessen nicht am ehesten gedient, wenn man in offenen Diskussionen mit anderen jene Angelegenheiten bespricht, die national wie international von Belang sind? Großbritannien würde andernfalls der Beeinflussung von EU-Entscheidungen den Rücken kehren und sich selbst außerhalb des europäischen Machtzentrums platzieren.

Eine starke EU-Außenpolitik ist ein essentielles Element einer bedeutenden Rolle Großbritanniens in der Welt. Sogar der führende EU-skeptische Thinktank, Open Europe, stellt in einem Bericht fest, dass ein britischer Austritt unvorhersagbare politische und ökonomische Risiken birgt und ein Verbleib in der EU die günstigste Option für Großbritannien ist.

Europa ist kein Wettbewerb

Die politischen Verfahren der EU als den Kampf um Macht und Dominanz zu begreifen, ist eine Sackgasse. Keine Zusammenarbeit kann wirklich erfolgreich sein, wenn einige der Partner ihre Interessen offenen Verhandlungen und einer Kompromisssuche vorziehen. Von der Beziehung profitieren offensichtlich beide Seiten – die EU kann eine wichtige Rolle spielen, auch die zukünftige Prosperität und Sicherheit des VKs durch Handel, Energiesicherheit und die Erweiterung britischer Reichweite durch die EU Außenpolitik sicherzustellen.

Auf der anderen Seite stärkt die britische Mitgliedschaft die Ambitionen der EU, wesentlicher Akteur, nicht nur in Europa, sondern weltweit zu sein. Es ist eine Frage der richtigen Balance, also last uns „Neustart“ drücken und sehen wohin uns die Reise führt. Eines ist sicher, die Beziehung Großbritanniens zur EU werden, gerade vor den nächsten Wahlen in 2015, noch für einige Diskussionen sorgen.

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