Brief an Europa: Die Ära Obama

, von  Gesine Weber

Brief an Europa: Die Ära Obama
In fünf Tagen endet die Ära Obama - was bleibt? Foto: Michael Pittman / Flickr / CC BY-SA 2.0 - Lizenz

Am 20. Januar endet offiziell die zweite Amtszeit des US-Präsidenten Barack Obama. Aus diesem Grund widmet unsere Redakteurin Gesine Weber ihm diese Woche den „Brief an Europa“

Sehr geehrter Herr Präsident Obama,

noch fünf Tage lang kann man Sie mit diesem Titel anschreiben, ohne den Hinweis „a.D.“, „außer Dienst“ hinzufügen zu müssen. In fünf Tagen endet Ihre achtjährige und sehr bewegte Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten, und dies ist eine hervorragende Gelegenheit, um einmal Ihr Wirken aus europäischer Perspektive Revue passieren zu lassen.

Als Sie vor gut neun Jahren ankündigten, George W. Bush nach dessen desaströser Regierungszeit ablösen zu wollen, waren Sie für ein tief gespaltenes Land ein Hoffnungsträger: „Yes We Can“ wurde nicht nur zu Ihrem Wahlkampfslogan, sondern zu einer neuen Perspektive für all diejenigen, die im Amerika von George W. Bush systematisch abgehängt worden waren. Nach Ihrer Wahl zum 44. Präsidenten der USA am 4. November 2008, war nicht nur Amerika, sondern auch Europa in einer regelrechten Obama-Euphorie. Zu Recht, wie ich finde. Ihre Wahl ließ nicht nur auf eine bessere Zukunft für die Vereinigten Staaten, sondern nach den Bush-Jahren auf die Rückkehr zu einer friedlicheren Welt warten. Für Ihre „außerordentlichen Anstrengungen, internationale Diplomatie und Kooperation zwischen Völkern zu stärken“, erhielten Sie ein Jahr später den Friedensnobelpreis. Diese Entscheidung des Nobelpreis-Komitees war außerordentlich umstritten, und friedlicher ist die Welt und vor allem der Nahe Osten in den letzten Jahren keinesfalls geworden. Ich halte diese Entscheidung bis heute für gerechtfertigt, da Sie diplomatische Notwendigkeiten über innenpolitischen Druck einer mächtigen Lobby und Opposition gestellt haben.

Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an Sie – und viele von ihnen konnten Sie nicht erfüllen. In Ihren beiden Amtszeiten stießen Ihre Ideen schnell an die Grenzen des amerikanischen politischen Systems und ihre Träume wurden von der Realität einer unkooperativen republikanischen Mehrheit im Kongress eingeholt. Im September vergangenen Jahres hat diese Mehrheit für eine einmalige Blamage in Ihrer Regierungszeit gesorgt, indem Ihr Veto gegen ein Gesetz, welches den Familien der Opfer des Terroranschlags am 11. September 2001 Klagen gegen Saudi-Arabien ermöglichen wird, einfach überstimmt wurde. Viele Ihrer Versprechen haben Sie de facto nicht gehalten: Noch immer ist das Gefangenenlager von Guantánomo Bay Schauplatz menschenrechtsverletzender Praktiken. Polizeigewalt gegen Schwarze gehört nahezu zur Tagesordnung. Die Schere zwischen Armen und Reichen geht weiter auseinander, Amerika ist wirtschaftlich wie sozial stärker gespalten als vielleicht nie zuvor. Dass Sie Russland als Regionalmacht bezeichneten, hat die ohnehin schon schwierigen Beziehungen zwischen Amerika und Russland schlussendlich komplett gefrieren lassen, was nicht gerade zu einer einfacheren Lösung von internationalen Konflikten beiträgt.

Diese Regierungsbilanz ist erst einmal düster. Dennoch bin ich überzeugt, dass Sie nicht auf Grund der Dinge, die Sie nicht erreicht haben, in die Geschichtsbücher eingehen werden. Woran werden wir uns erinnern, wenn wir in wenigen Jahren auf die Ära Obama zurückblicken? Zuerst sicher an ObamaCare: Wurden über Jahre notwendige Reformen für eine gesundheitliche Minimalversorgung in Berufung auf den liberalen Gedanken vernichtend abgelehnt, sodass eines der reichsten Länder der Welt ein unterentwickeltes Gesundheitssystem als Schandfleck seiner Sozialpolitik mit sich herumtrug, ist es Ihnen gelungen, nun ein gesundheitliches Sicherungssystem einzuführen, von dem insbesondere Menschen am unteren Rand der Gesellschaft profitieren. Neben diesem historischen Novum kommt mir der Abzug aus dem Irak und Afghanistan in den Kopf: Sie haben zwei blutige Kriege beendet, bei denen schon zu Beginn der Intervention feststand, dass die USA niemals als Gewinner daraus hervorgehen würden. Non-Interventionismus, Diplomatie und Multilateralismus als Dogmen Ihrer Außenpolitik haben in meinen Augen zur Entschärfung vieler schwieriger Situationen beigetragen. Ich bin sicher, dass „Yes We Did“, wie Sie es in Ihrer Abschiedsrede in Chicago formuliert haben, keine leere Floskel, sondern die Zusammenfassung Ihrer Amtszeit sein wird.

Wie werden die Vereinigten Staaten, die Welt, Europa nach Ihnen sein? Die Tatsache, dass Ihr Nachfolger Donald Trump heißt, verleiht dieser Frage nicht nur einen ungewissen, sondern einen nahezu ängstlichen Klang. Nicht nur Frauen, Einwanderer und Benachteiligte in den USA schauen beunruhigt auf das Geschehen im Weißen Haus, auch wir als Europäer tun es. In drei Gründungsstaaten der Europäischen Union treten bei Wahlen im Laufe des Jahres Populisten an, und nicht wenige von uns fürchten, dass die populistische Welle über den Atlantik nach Europa schwappt. Mindestens genauso beunruhigend ist es jedoch aus europäischer Perspektive, dass sich Ihr Nachfolger und der russische Präsident ausgezeichnet verstehen, und Europa Gefahr läuft, der Verlierer dieser neuen Form der transatlantischen Beziehungen oder der Spielball zweier Großmächte zu sein. Herr Präsident Obama, Sie werden uns Europäern in Zukunft fehlen. Als Europäerin wünsche ich mir, dass in Ihrer Eigenschaft als Präsident a.D. Ihre Stimme in der US-amerikanischen Politik und auch jenseits des Atlantik gehört wird und bleibt, denn diese Stimmen brauchen wir gegen Populismus und Hass. Heute sollten wir als Europäerinnen und Europäer uns daher Ausschnitte aus Ihrer Siegesrede nach der Wahl 2008 mehr denn je vergegenwärtigen: „Das ist unser Augenblick. (…) Und wenn wir auf Zynismus und Zweifel stoßen und auf diejenigen, die sagen, wir können das nicht, dass wir dann mit jenem zeitlosen Glauben antworten (…): Ja, wir können.“ Herausforderungen kann nur meistern, wer sie angeht. Yes we can.

Hochachtungsvoll

Gesine Weber

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Ihr Kommentar
  • Am 15. Januar 2017 um 15:04, von  Arthur Molt Als Antwort Brief an Europa: Die Ära Obama

    Guantanamo ist nicht geschlossen. Das ist richtig. Und solange es existiert wird es Nahrung für die Propaganda von Islamisten sein. Die Gefangenen in den Enthauptungsvideos des IS sind nicht umsonst in Orange gekleidet.

    Aber wie viele Menschen sitzen eigentlich in Guantanamo ein? Von 242 bei Obamas Antritt sind es inzwischen 55 Gefangene, vielleicht bald nur noch 36. Auch hat sich die rechtliche Lage verbessert. Foltermethoden wie das water boarding wurden abgeschafft.

    http://www.n-tv.de/politik/Guantanamo-erwartet-eine-duestere-Zukunft-article19527561.html

    Angesichts des Widerstandes gegen Obama durch die Republikaner im Kongress könnten wir von einem Etappensieg sprechen. Nur leider erwartetet uns unter Trump nicht die nächste Etappe, sondern ein Rückschritt.

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