Sehr geehrter Herr Macron,
Sehr geehrte Frau Merkel,
heute in neun Tagen möchten Sie in der namensgebenden Stadt den Vertrag von Aachen unterzeichnen, der den Elysée-Vertrag von 1963 ergänzen soll. Darin wird die deutsch-französische Freundschaft bekräftigt, etablierte Prozesse werden kodifiziert und für das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat wird die Idee eines EU-Sitzes in dem Gremium geopfert. Als vor 56 Jahren der Élysée-Vertrag geschlossen wurde, war das keine Selbstverständlichkeit. Die lange Feindschaft zwischen den beiden aneinandergrenzenden Ländern war mitunter auch als Erbfeindschaft bezeichnet worden und galt als unüberwindbar. Dass De Gaulle und Adenauer nach Annäherungsschritten wie dem Schuman-Plan von 1950, dem Saarvertrag von 1956 und ein halbes Jahr nach ihrer „Versöhnungsmesse“ von Reims 1963 einen Vertrag unterzeichneten, der aus Feinden Freunde machen sollte, war nicht selbstverständlich und nur durch das engagierte Wirken von Staatsmännern erreichbar. Die weitere Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft ist eine Erfolgsgeschichte.
Nun sollen mit dem neuen Vertrag von Aachen, der zunächst Krönungssaal des Aachener Rathauses unterzeichnet und am selben Tag noch von französischer Nationalversammlung und deutschem Bundestag ratifiziert werden soll, unter anderem die Zusammenarbeit in Grenzregionen verstärkt, Schulabschlüsse endlich gegenseitig anerkannt und die Regierungszusammenarbeit intensiviert werden. Für letztere soll es weiterhin ein jährliches Treffen der Regierungskabinette geben und einmal im Quartal soll ein Mitglied der einen Regierung an einer Kabinettssitzung der jeweils anderen teilnehmen.
Neben praktischen Änderungen ist natürlich viel Symbolpolitik dabei. Doch auch die ist in dieser Zeit, in der viele Staaten auf unilaterale Beziehungen setzen, so nötig, gerade von starken Vertreter*innen des Multilateralismus wie Ihnen. Doch praktisches Ziel oder symbolpolitischer Vorstoß, Ihr gemeinsames Ziel, einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat für die Bundesrepublik Deutschland einzurichten, ist ganz falsch. Nicht nur wird damit das immer wieder formulierte Ziel, den ständigen Sitz Frankreichs im UNO-Sicherheitsrat in einen EU-Sitz umzuwandeln verworfen – Vize-Kanzler Scholz hatte im November für die Formulierung dieses Vorschlags eine Zurückweisung aus Paris erhalten – sondern auch die Idee der "einen Stimme aus Europa“.
Zwar wird seitens Ihrer beiden Regierungen davon gesprochen, dass durch einen weiteren ständigen Sitz eines europäischen Staates der Kontinent nur profitieren könne, doch muss man auch ehrlich zu sich selbst sein und erkennen, dass sich die beiden Regierungen sich diese Art der Vertretung auf Vertrauensbasis entgelten lassen. Nur ein gemeinsamer EU-Sitz im Sinne einer erweiterten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) kann eine verlässliche und rechtlich einwandfreie Außenvertretung der Europäischen Union sichern.
Anzuerkennen ist immerhin der französische Ansatz für das bestehende System, dass neben der Bundesrepublik auch Brasilien, Indien, Japan und zwei afrikanische Staaten einen ständigen Sitz erhalten sollen, um das Gremium diverser zu gestalten – doch aufgrund des Veto-Systems ist dies quasi aussichtlos. Weder Russland, noch China, die USA und auch Großbritannien können ein Interesse an einer Erweiterung aufweisen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen würde nur noch mehr gelähmt. Das Veto-Recht gehört abgeschafft!
Langfristig ist sicherlich die Einrichtung eines Weltparlaments strebsames Ziel, doch bis dahin bedarf es vieler kleiner Schritte, um die Vereinten Nationen zu demokratisieren. Ein ständiger Sitz Deutschlands statt einer starken EU-Stimme ist keiner davon!
Abgesehen davon sind die Ziele im kommenden Vertrag von Aachen zu unterstützen. Der gemeinsame Verteidigungsrat ist eine Notwendigkeit, um auf internationale Krisen besser reagieren zu können. Die Europäische Gemeinschaft ist zu gemeinsamen Antworten noch nicht bereit genug, wenngleich Werkzeuge wie die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (PESCO) erste zaghafte Schritte zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik darstellen, an der jedoch nicht alle Mitgliedstaaten teilnehmen. Und nicht zuletzt mit gemeinsamen Rettungssystemen, die ermöglichen, dass Retter*innen Verletzte ins nähergelegene, aber auf der anderen Seite der Grenze liegende Krankenhaus zu bringen, haben die Bürger*innen einen praktischen Nutzen, der Vorbild für die Zusammenarbeit mit anderen Nachbarstaaten sein sollte.
Es lebe die deutsch-französische Freundschaft! Vive l’amitié franco-allemande!
Föderalistische Grüße,
Tim Odendahl
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