Höchste Zeit für eine europäische Energiepolitik

Serie: Wege aus der Krise

, von  Fabio Genoese

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Höchste Zeit für eine europäische Energiepolitik
Im Rahmen einer EU-Energieunion soll zukünftig die Energienachfrage der Mitgliedsländer gebündelt und besser koordiniert werden. Foto: Power lines © World Bank Photo Collection / Flickr / CC BY-ND 2.0

Mehr als 50 Prozent des EU-Energiebedarfs decken wir derzeit durch Importe. Die politischen und wirtschaftlichen Implikationen dieser Importabhängigkeit könnten wir durch eine koordinierte europäische Energiepolitik wirkungsvoller beschränken als durch 28 nationale Alleingänge. Es ist höchste Zeit für eine europäische Energieunion.

Innerhalb der Europäischen Union importieren wir derzeit mehr als 50 Prozent der Energie, die wir verbrauchen. Die Rechnung hierfür beläuft sich auf mehr als eine Milliarde Euro pro Tag bzw. 400 Milliarden Euro pro Jahr. Abgesehen von der wirtschaftlichen Dimension gibt es auch eine politische, besonders im Bereich Erdgas. Hier sind einige Mitgliedsstaaten entlang der EU-Ostgrenze vollständig von einem Gasproduzenten oder gar einer einzigen Versorgungsroute abhängig.

Im vergangenen Jahrzehnt sind diese Sachverhalte oftmals auf nationaler Ebene und auf EU-Gipfeln diskutiert worden. Innerhalb der EU besteht eine gewisse Einigkeit darüber, dass eine maßvolle Entwicklung der Energienachfrage sowie eine verstärkte Nutzung heimischer Energieträger – wozu auch Erneuerbare Energien gehören – die Situation verbessern könnten. Dies würde bedeuten, dass wir unsere Ausgaben für Brennstoffe wie Erdgas und Erdöl senken, erfordert aber gleichzeitig, dass wir verstärkt in neue Technologien investieren. Ein solcher Übergang bedarf in erster Linie stabile politische Rahmenbedingungen sowie glaubwürdige und erreichbare Ziele für die kommenden Jahrzehnte.

Milliardeneinsparungen durch Energieeffizienz

Analysen im Rahmen des EU-Projekts „Towards2030“ haben gezeigt, dass ambitioniertere Anstrengungen im Bereich Energieeffizienz in 12 Mitgliedsstaaten an der EU-Ostgrenze den Gasbedarf um 14 Prozent senken können, was einer Netto-Ersparnis von 3,5 Milliarden Euro pro Jahr gleichkommt. Eine verstärkte Nutzung regenerativer Energien würde den Gasbedarf in dieser Region um weitere sechs Prozentpunkte reduzieren. Auch in diesem Bereich überwiegt der mittelfristige Nutzen die kurzfristigen Investitionsausgaben – vorausgesetzt, dass effiziente und wettbewerbliche Anreize für erneuerbare Energien gesetzt werden, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war und zu unnötig höheren Kosten führte.

Verbesserung der grenzüberschreitenden Kooperationen

Energie- und Klimaziele für das Jahrzehnt von 2020 bis 2030 sind vom Europäischen Rat kürzlich festgelegt worden. Allerdings besteht noch keine Einigkeit darüber, was der Beitrag einzelner EU-Mitgliedsstaaten sein soll und wie die Kooperation zwischen verschiedenen EU-Mitgliedsländern verbessert werden kann, um diese Ziele kostengünstiger zu erreichen. Grenzüberschreitende Kooperation ist insbesondere im Stromsektor von zentraler Bedeutung. Deutschland nutzt bereits heute Stromleitungen in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich, um Windstrom von Nord- nach Süddeutschland zu transportieren. Abgesehen davon lassen sich durch eine grenzüberschreitende Kooperation die Kosten für die Integration regenerativer Energien senken. Die Schwankungen von Wind- und Solarstrom gleichen sich zu einem gewissen Teil aus, da die Wetterbedingungen nicht identisch in ganz Europa sind. So ist beispielsweise eine gleichzeitige Windflaute in Norddeutschland und Südfrankreich höchst unwahrscheinlich. Insgesamt würden so weniger Reservekraftwerke – d.h. solche Kraftwerke, die einspringen, wenn gerade kein Wind weht – benötigt, weil man die der Nachbarländer mitnutzen könnte.

Aktuell gibt es keine europäische Energiepolitik. Die Vollendung des europäischen Binnenmarkts für Strom und Gas verläuft schleppend, was den grenzüberschreitenden Wettbewerb hemmt. Im Bereich regenerativer Energien haben die EU-Mitgliedsstaaten rein nationale Ziele bis zum Jahr 2020, d.h. sie müssen nicht kooperieren und tun es auch nicht auf freiwilliger Basis. Durch unsere starke Vernetzung haben aber nationale Energiepolitiken durchaus Einfluss auf Nachbarstaaten – etwa durch Transitflüsse. Eine verstärkte Zusammenarbeit macht daher vor allem auf regionaler Ebene Sinn, also zwischen angrenzenden und stark vernetzten Mitgliedsstaaten.

Energieunion als politisches Ziel

Der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Idee einer „Energieunion“ bei seinem Amtsantritt zu einem der zentralen Ziele der neuen EU-Kommission erklärt. Eine stärkere Kooperation im Bereich Energiepolitik soll nicht mehr nur ein netter Nebeneffekt eines vollendeten Binnenmarkts und gemeinsamer Klimaziele sein. Sie wird zum erklärten politischen Ziel auf EU-Ebene. Der Kommissions-Vize-Präsident Maroš Šefčovič bekräftigte in einer Erklärung am 25. Februar 2015, dass die aktuelle Kleinstaaterei mit 28 unkoordinierten Lösungen nicht effizient sei und in dieser Form nicht weitergehen könne. Unkoordinierte Markteingriffe auf nationaler Ebene erschweren den grenzüberschreitenden Wettbewerb. Um diese Entwicklung umzukehren, plant die EU-Kommission, sogenannte regionale Initiativen zu unterstützen. Damit sind Gruppen von EU-Mitgliedsstaaten gemeint, die willens sind ihre nationalen Politiken besser untereinander abzustimmen. Kritiker befürchten, dass dies die Fragmentierung der Energiepolitik zementieren könnte – beispielsweise in eine west-, ost- und südeuropäische Energiepolitik. Dieses Risiko kann verkleinert werden, wenn die EU eine tragende Rolle bei der Koordinierung spielt – etwa durch die Vorgabe von politischen Leitlinien.

Es bleibt abzuwarten, wie viel politisches Handlungskapital die neue EU-Kommission besitzt und ob sie in der Lage ist, dieses für das Voranbringen einer Energieunion einzusetzen. Jedoch ist es für EU-Bürger eine gute Nachricht, dass zukünftig Anstrengungen im Bereich Energiepolitik gebündelt, zumindest aber besser koordiniert werden könnten.

Seit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 beschäftigt sich die Europäische Union vorwiegend mit der Krisenbewältigung. Noch sind die Probleme nicht gelöst. treffpunkteuropa.de stellt in einer Serie fünf alternative Wege aus der Krise vor.

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