Russland: Auf dem Weg zur lupenreinen Autokratie?

, von  Gesine Weber

Russland: Auf dem Weg zur lupenreinen Autokratie?
Wladimir Putin bestimmt seit 2000 in wechselnden Positionen als Staatspräsident und Ministerpräsident die Geschicke der russischen Politik. © United Nations Photo / Flickr/ CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz

Als Wladimir Putin im Jahr 2000 das erste Mal zum Präsidenten Russlands gewählt wurde, wurde er zunächst als Modernisierer euphorisch gefeiert. Der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder nannte ihn einen „lupenreinen Demokraten“. Dennoch entwickelte sich Russland unter Putin immer stärker in eine illiberale Richtung; zuletzt zeigt sich diese Entwicklung darin, dass der Präsident in einem neuen Gesetz die Gültigkeit der Menschenrechte stark einschränkt.

Mitte Dezember hat Wladimir Putin ein Gesetz unterzeichnet, nach dem sich Russland in Zukunft nicht mehr an Urteile internationaler Gerichtshöfe bezüglich der Menschenrechte halten muss. Bereits im Juli hatte das russische Verfassungsgericht entschieden, dass Russland nur dann entsprechende Urteile umsetzt, wenn diese mit der russischen Verfassung konform sind; mögliche Streitigkeiten sollten im Einvernehmen gelöst werden. Laut der Moscow Times besteht ein Zusammenhang zwischen dem neuen Gesetz und dem Urteil zum Ölkonzern Jukos im Juli 2015, in dem der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag den russischen Staat zu einer Schadensersatzzahlung von 50 Milliarden Dollar aufforderte. Ein weiterer brisanter Zusammenhang: Erst vor kurzem hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Russland ebenfalls zu Schadensersatz verurteilt, dessen Zahlung Russland verweigert.

Konsequente Fortsetzung der „gelenkten Demokratie“

Putins Regierungsstil wurde während seiner ersten Amtszeit als Präsident (2000-2004) als „gelenkte Demokratie“ bezeichnet: Demokratische Institutionen wurden zwar nicht abgeschafft, aber der Kontrolle des Präsidenten unterstellt. Die Medien sind staatlich kontrolliert, Korruption gehört zur Tagesordnung, zudem besteht ein konstitutionelles Ungleichgewicht, welches dem Präsidenten in zentralen Bereichen wichtige Prärogativen gegenüber dem Parlament zuspricht.

Vergleichbar mit westlichen Demokratien war Russland auch Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht. Dass sich die Lage jedoch drastisch verschlechtert, zeigt der Freedom House Index. Dieser Index misst die Freiheit innerhalb von Staaten anhand der bürgerlichen Freiheiten und politischer Rechte. Der Index klassifiziert Staaten in „frei“ (1.0-2.5), „teilweise frei“ (3.0-5.0) und „unfrei“ (5.5-7.0). Für Russland zeigt dieser Index eine deutliche Entwicklung: Galt die Föderation im Jahr 1998 noch als teilweise frei (Rating von 3.5), begann ab 1999 ein Abwärtstrend, der 2015 einen neuen Tiefpunkt mit dem Rating 6.0 erreicht. Damit steht Russland auf einer Stufe mit Staaten wie Irak, Afghanistan oder der Demokratischen Volksrepublik Kongo. Somit hat das Land den Demokratisierungsprozess nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht geschafft; Freedom House bezeichnet Russland dementsprechend als „konsolidiertes autoritäres Regime“.

Dennoch kommt diese Entwicklung nicht unerwartet: Besonders während seiner dritten Amtszeit als Präsident (seit 2012) hat Putin seine autoritäre Politik weiterhin ausgebaut. Im Juni 2013 hatte Putin ein Gesetz unterzeichnet, welches „homosexuelle Propaganda“, wozu auch alle öffentlichen Äußerungen über Homosexualität zählen, unter Strafe stellt. Während der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 gab es starke Einschränkungen für Journalisten bezüglich der Berichterstattung über Social Media. Der Tod des Oppositionspolitikers Boris Nemzow, der in der Moskauer Innenstadt im vergangenen Jahr erschossen wurde, gibt bis heute Rätsel auf.

Interne und externe Konsequenzen

Das neue Gesetz hat sowohl für Russlands Innenpolitik als auch für seine Stellung in den internationalen Beziehungen eine wichtige Bedeutung. Kam es schon in der Vergangenheit zu Berichten über Folterungen im Strafvollzug oder gezielte Verfolgung von Journalisten und Oppositionellen, ist es nun nicht auszuschließen, dass Russland sich dieser Methoden in Zukunft weitreichender bedient. Anklagen oder Verurteilungen durch internationale Gerichte gegen solche Praktiken wird Russland vermutlich weitgehend ignorieren. Damit bleibt die einzige für den Präsidenten verbindliche Rechtsprechung die des russischen Verfassungsgerichts, welches in hohem Maße von der Exekutive abhängig ist.

Hat die EU in Folge der Ukraine-Krise bzw. der Annexion der Krim Sanktionen gegenüber Russland verhängt, gibt es aktuell keine derartige Reaktion. Dennoch wird das neue Gesetz sicherlich Gegenstand der internationalen politischen Debatte werden, nicht zuletzt, weil Russland selbst Mitglied des Europarats ist, welcher unter anderem für die nationale Implementierung von Menschenrechten eintritt. Grundsätzlich hat die Vergangenheit allerdings oft gezeigt, dass Russland – einerseits als wichtiger Exporteur von Öl und Gas, andererseits als Ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat – seine strategisch wichtige Position kennt und ausspielt. Dass die europäische oder internationale Gemeinschaft die russische Menschenrechtspraxis beeinflussen kann, ist höchst unwahrscheinlich.

Discarding Democracy. Return to the Iron Fist.” So lautete die Überschrift des Jahresberichts von Freedom House, zu deutsch: „Demokratie ablegen: Die Rückkehr zur eisernen Faust“. Diese Worte könnten den zukünftigen politischen Weg Russlands auf unheilvolle Weise beschreiben.

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