Spanien testet die Vier-Tage-Woche

32 Stunden Vollzeit

, von  Lucy Krille

32 Stunden Vollzeit
Ab Oktober will die spanische Regierung Unternehmen finanziell absichern, wenn diese ihren Betrieb auf eine Vier-Tage-Woche umstellen. Das Pilotprojekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Foto: Unsplash / Science in HD / Unsplash Lizenz

Klingt verlockend? In Spanien wird dies im Rahmen eines Pilotprojekts möglich. Mit der Reduzierung der Arbeitsstunden bei gleichbleibendem Lohn sollen Auswirkungen einer Vier-Tage-Woche auf die Produktivität, Zufriedenheit und Gesundheit der Arbeiter*innen untersucht werden. Spaniens Regierung, die damit als Vorreiter gilt, finanziert das Modell für drei Jahre. Werden die positiven Effekte überwiegen? Das Projekt wird auch ein Richtungsweiser für andere Länder sein, die sich mit Formen der neuen Arbeit auseinandersetzen müssen.

50 Millionen Euro Fördergelder

Mit dieser Summe sollen 200 spanische Unternehmen schon ab Oktober vom finanziellen Risiko befreit werden, im ersten Jahr gar komplett. Details zu den teilnehmenden Unternehmen und der Dauer des Projektes werden in den kommenden Wochen besprochen. Derzeit ist eine Dauer von drei Jahren im Gespräch. Im zweiten Jahr könnten die möglichen Einnahmeausfälle durch weniger Produktion und Verkauf zur Hälfte mitfinanziert werden und im dritten Jahr zu einem Drittel. Befürworter*innen, allen voran die linke Partei „Más País“, die den Vorschlag unterbreitete, verweisen darauf, dass mehr Arbeitszeit nicht immer mehr Produktivität bedeute.

Eines der prominentesten Beispiele dafür findet man in Japan: Dort hat das Technologieunternehmen „Microsoft“ seine Mitarbeiter*innen im August 2019 schon donnerstags in den Feierabend verabschiedet - bei voller Lohnzahlung. Die Anzahl der Verkäufe pro Arbeiter*in stieg, die Stromkosten sanken. Auch die Mitarbeiter*innen waren weitestgehend zufriedener.

Was wird steigen? Die Produktivität oder das Stresslevel?

Spanien treibt somit eine Debatte an, die nicht neu ist, bisher allerdings nur wenige Beachtung gefunden hat. Durch zwei Aspekte könnte das Thema aktueller denn je werden: fortschreitende technische Entwicklungen ermöglichen es erstens, Prozesse schneller abzuwickeln und die Produktivität zu erhöhen. Gleichzeitig steigert dies den Druck auf Unternehmen. Die hohen Anforderungen können Mitarbeiter*innen stressen, weshalb es wichtig ist, Freizeit und Gesundheit zu beachten.

Der zweite Aspekt ist die Corona-Krise, die viele Unternehmen gezwungen hat, ihre Produktion herunterzufahren. Für Charlotte Lockhart von der Kampagne „4 Day Week Global“ ist damit der Zeitpunkt gekommen, alte Arbeitsmuster zu überdenken. Die Aussicht auf eine weiterhin stockende Wirtschaft sei Anlass, den Arbeitsplatz neu zu erfinden, da „die Konzentration auf die Produktion wichtiger denn je“ ist. Für sie ist klar, dass straffe Terminpläne, kürzere Meetings und die Aussicht auf mehr Freizeit die Produktivität steigern würden.

Dem widerspricht Holger Schäfer vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Er argumentiert, dass eine Aufgabe umso effizienter gelöst werden kann, je vertrauter man damit ist. Eine Senkung der Wochenarbeitsstunden hat dabei seiner Einschätzung nach keinen positiven Einfluss. Expert*innen befürchten eher, dass der Druck auf Mitarbeiter*innen steigen könnte. Auch das soziale Miteinander mit Kolleg*innen und Geschäftspartner*innen würde demnach unter einer Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit leiden.

Derzeit werden in vielen Bereichen weniger Arbeiter*innen gebraucht, weshalb kürzere Arbeitszeiten plausibel erscheinen können. Langfristig gesehen versprechen sich Befürworter*innen der Vier-Tage-Woche, dass mehr Arbeitsplätze vergeben werden und die Arbeitslosigkeit sinken könnte. Die Anpassung zwischen Teilzeit- und Vollzeitstelle könnte vorangetrieben werden. Die Vorteile lassen sich allerdings nicht auf jedes Unternehmen anwenden. In manchen Branchen ist es gar ein Wettbewerbsnachteil, einen Tag weniger erreichbar zu sein oder Produkte verkaufen zu können, wie beispielsweise im Dienstleistungssektor oder dem Einzelhandel.

Aus Sicht der Arbeitnehmer*innen spricht aber offensichtlich einiges für eine Vier-Tage-Woche in Vollzeit: Laut einer Studie aus dem Jahr 2019, in der 10.000 Angestellte aus verschiedenen europäischen Ländern befragt wurden, sprachen sich 56 Prozent für ein entsprechendes Modell aus. Die Umstände in den Ländern sind dabei unterschiedlich.

Der Ruf nach einer besseren Work-Life-Balance wird lauter

Dänemark beispielsweise gilt als eines der arbeitnehmer*innenfreundlichsten Länder Europas. Würde ein Däne oder eine Dänin jeden Tag ohne Unterbrechung zur Arbeit gehen, könnte er oder sie bereits ab dem 6. August mit Urlaubstagen, Wochenende und Feiertagen frei haben. In Griechenland dagegen müssten Arbeiter*innen über einen Monat länger auf den Urlaub warten. Die Däninnen und Dänen gehen mit 1380 Stunden im Jahr auch am wenigsten arbeiten, eine Vollzeitstelle enthält bei ihnen nur 37 Stunden.

Überhaupt zeigt der Vergleich der Arbeitsstunden pro Jahr, dass die skandinavischen Länder sehr Arbeiter*innen-freundlich sind. Es verwundert daher nicht, dass Sanna Marin, heute finnische Ministerpräsidentin, bereits 2019 über eine Vier-Tages-Woche nachgedacht hat. Dass dies in ihrer damaligen Funktion als Verkehrsministerin geschah und die genannten sechs Stunden pro Tag sich nicht als politisch durchsetzbar erwiesen, sei dahingestellt. Es zeigt allerdings, dass bereits ein Umdenken stattfindet. Auch viele Schwed*innen arbeiten sechs statt acht Stunden pro Tag.

Die wenigsten Stunden für eine Vollzeitstelle sind in Frankreich abzuarbeiten: formal nur 35 pro Woche. Allerdings offenbart ein Vergleich der tatsächlichen Arbeitszeit, dass viele Unternehmen nicht nach diesem Modell produzieren oder so viele Überstunden gemacht werden, dass die Franzos*innen im Schnitt 40 Stunden pro Woche arbeiten. Dies zeigt zudem, dass politische Maßgaben nur einen begrenzten Einfluss auf die tatsächliche Arbeitszeit haben. Auch hier gibt es jedoch Unternehmen, die neue Modelle ausprobieren. So testet beispielsweise der Babytragen-Hersteller „JPMBB“ eine verkürzte Arbeitszeit über die Sommermonate.

Auch in Ländern mit Wochenarbeitsstunden über 40 gibt es solche Beispiele. Österreicher*innen leisten reichliche 42,5 Stunden an tatsächlicher wöchentlicher Arbeitszeit, nur in der angrenzenden Schweiz wird noch mehr gearbeitet. Auch in den Alpenländern gibt es allerdings Stimmen, die eine Vier-Tage-Woche befürworten oder gar Beispiele für erfolgreiche Modelle abseits starrer Regelungen. In Großbritannien sind ebenfalls Forderungen nach einem neuen Modell unter dem Namen “4dayweek“ laut geworden, ebenso seitens der Linken im Bundestag. Auch in Deutschland gibt es erste Unternehmen, die eine 32-Stunden-Woche bei gleicher Bezahlung ausprobierten oder andere Modelle testen.

Ein Umdenken findet statt, wenn auch langsam

Die Recherchen zeigen, dass es in den Ländern der Europäischen Union durchaus Überlegungen und Initiativen zu neuen Arbeitszeitmodellen gibt. Die klassische „9 to 5“-Arbeit ist längst überholt. Ob die 32-Stunden-Woche bei gleicher Bezahlung ein Erfolg wird, bleibt allerdings abzuwarten. Bisherige Pilotprojekte zu kürzeren Arbeitszeiten waren in der Regel zeitlich beschränkt. Das spanische Modell wird zeigen, ob die gewünschte Effizienzsteigerung zu großflächig und langfristig mehr Umsatz führt, um den Arbeitsausfall in Zukunft bezahlen zu können.

Andere Unternehmen haben die Vier-Tage-Woche durch abgewandelte Modelle umgesetzt. So ist es durchaus denkbar, dass das Modell eines Zehn-Stunden-Tags, um ein verlängertes Wochenende zu haben, an Aufmerksamkeit gewinnen könnte. Wenn es sich die Arbeitnehmer*innen leisten können, verzichten manche auch auf einen Teil ihres Lohns. Dies wird aber in den einkommensschwächeren Ländern keine wirkliche Alternative sein. Doch auch hier wird der Ruf nach besserer Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf lauter werden.

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