Mit dem Vertrag von Lissabon 2009 sind Tiere in der EU als fühlende Wesen anerkannt, deren Wohlergehen berücksichtigt werden muss. Eine moralische Selbstverständlichkeit, die allerdings im weltweiten Vergleich nahezu einmalig ist. Jedoch steht dieser moralische Anspruch in eklatantem Widerspruch zur Praxis der Nutztierhaltung in Europa, in der billigen Preisen noch immer der Vorrang gegeben wird. Eine unrühmliche Rolle spielen dabei auch die Milliarden an europäischen Agrarsubventionen. Jedes Jahr wird ein großer Teil der EU-Gelder nach Größe des Betriebs und ohne Rücksicht auf Haltungsbedingungen vergeben. Hier und an weiteren zentralen Stellschrauben ließe sich ein fundamentaler Wandel einleiten.
1. Öffentliche Gelder an Tierwohlstandards knüpfen
In der europäischen Agrarpolitik bedarf es einer grundsätzlichen Neuorientierung. Die Fördermilliarden sollten nicht bedingungslos an alle Bäuer*innen vergeben, sondern sich an dem gesellschaftlichen Nutzen der betriebenen Landwirtschaft orientieren. Dabei spielen Klima- und Umweltschutz eine wichtige Rolle, aber auch Tierwohl muss berücksichtigt werden.
Konkret heißt das: Keine Subventionen für Tierfabriken!
2. Verpflichtendes Tierwohllabel jetzt!
Hoher Fleischkonsum beruht oft auf einer „Ethik des Nichtwissens“: wenn Menschen die Realitäten der Fleischproduktion sehen, sind sie meist entsetzt. Verschiedene NGOs wie die Albert Schweitzer Stiftung oder Compassion in World Farming versuchen über die Bedingungen aufzuklären und mahnen Verbesserungen an. Im Alltag wird man mit den Konsequenzen des eigenen Konsumverhaltens allerdings kaum konfrontiert. Deshalb sollte eine stärkere Transparenz der Hintergründe der Fleischproduktion gefördert und eine echte Wahl zwischen Haltebedingungen ermöglicht werden. Es sollte in Zukunft europaweit ein verpflichtendes Label geben, das die Haltungsart anzeigt und deutlich macht, inwieweit diese artgerecht ist. Zudem muss irreführende Werbung verboten werden: Warum sollte man auf seine Milchpackung Bilder von glücklichen Kühen auf Alpenwiesen drucken dürfen, wenn diese in Wirklichkeit nie eine Wiese gesehen haben?
3. Käfighaltung schnellstmöglich beenden
Erhöhte Mindeststandards und die eingeführte Haltungskennzeichnung bei Legehennen hat für viele zu einer starken Verbesserung der Bedingungen geführt. Trotzdem gibt es noch Hennen in Kleingruppenkäfigen. Foto: Flickr / Farm Watch / CC BY 2.0 Lizenz
Die europäische Bürgerinitiative „End the Cage Age“ hat vergangenes Jahr über 1,3 Millionen Unterschriften erreicht. Sie fordert ein schnellstmögliches Ende von Käfighaltung in der EU, die dazu führt, dass Tiere kaum Bewegungsraum haben, nicht miteinander interagieren und ihre Bedürfnisse ausleben können. Die große Unterstützung zeigt, dass viele Europäer*innen großen Wert auf eine artgerechte Haltung von Nutztieren legen und extrem beengte Haltungsbedingungen ablehnen. Viele Sauen werden beispielsweise zur Säugezeit in Kastenständen gehalten, die ihnen nicht einmal erlauben, sich umzudrehen. Auch Kälber werden in Käfigen untergebracht, die kaum größer sind als sie selbst.
Die schlimmsten Formen der Käfighaltung von Legehennen hat die EU bereits 1999 verboten. Daran sollte angeknüpft und eine Verschärfung der Standards für alle Tierarten erreicht werden. Es ist besonders wichtig, dass Verbote und Standards auch durchgesetzt werden. Untersuchungen zeigen, dass dies oft nur zögerlich geschieht und durch engmaschige Kontrollen forciert werden muss. Da einige Mitgliedsstaaten ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen, ist die Einrichtung einer europäischen Kontrollagentur wichtig.
4. Humane Tötungen – Hören wir auf, Fische ersticken zu lassen!
Die Tötung von Tieren sollte stets auf einem Weg passieren, der möglichst geringes Leid verursacht. Hierzu müssen europäische Standards verschärft werden. Dies ist bereits geltendes Recht:
„Bei der Tötung und damit zusammenhängenden Tätigkeiten werden die Tiere von jedem vermeidbarem Schmerz, Stress und Leiden verschont.“
– Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates
Es wird allerdings beispielsweise bei Fischen nicht angemessen durchgesetzt. Diese werden oft in einem schmerzvollen Prozess dem Ersticken preisgegeben. Dabei wären humane Tötungsmethoden, bei denen die Fische vorher betäubt werden, nur geringfügig teurer. Eine Preiserhöhung, die viele Konsument*innen bereit wären zu zahlen. Tierschutzinteressierte Verbraucher*innen würden laut einem Gutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem Jahr 2015 durchaus Preisaufschläge von 20 – 30 Prozent hinnehmen.
Es geht um riesige Ausmaße - in der EU werden Milliarden Fische pro Jahr zum Verzehr getötet – jedoch ist es politisch ein vernachlässigtes Nischenthema. Als ersten Schritt haben kürzlich einige wichtige EU-Fischereinationen Richtlinien zum Schutz von Fischen unterzeichnet. Eine verbindliche gesetzliche Regelung auf EU-Ebene bleibt jedoch unerlässlich.
5. Investitionen in Forschung und Fleischalternativen
Günstiges „Clean Meat“ könnte unsere Nahrungsversorgung revolutionieren. Foto: © David Parry / PA Wire, CC BY-ND
Weit verbreitete, günstige Fleischalternativen könnten die Nachfrage nach tierischen Produkten verringern, die neben Tierwohlproblemen auch den Klimaschutz gefährden. So verursacht ein Kilogramm Rindfleisch etwa 12kg CO2 und damit einen vielfachen Klimaeffekt gegenüber Fleischalternativen (siehe Klimarechner des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu)).
Es gibt viele Ansätze für „saubere“ Fleischalternativen und neben klassischen pflanzenbasierten Alternativprodukten wie etwa Tofu und neuen Produkten wie „BeyondMeat“ könnte z.B. auch kultiviertes Fleisch, umgangssprachlich auch Laborfleisch genannt, eine Lösung darstellen. Hierbei werden Gewebezellen im Labor gezüchtet und in Fleischprodukte verarbeitet. Noch ist die Technologie sehr teuer, aber wenn eine groß angelegte Herstellung gelingt, könnte dies Tierleid verhindern und zugleich das Bedürfnis nach „echtem“ Fleisch stillen. Weitere Forschung ist darüber hinaus dringend notwendig, um die Bedürfnisse und das Wohlergehen von Tieren besser zu verstehen. Ein vertieftes Verständnis des Empfindungsvermögens verschiedener Tierarten wäre wünschenswert, um eine bessere ethische Entscheidungsgrundlage für Regulierungen zu besitzen.
Wann kommt es zum tierfreundlichen Wandel?
Seit großer legislativer Aktivität und wichtigen Beschlüssen Ende der 90er Jahre, wie der Richtlinie zum Schutz von Legehennen, gab es in den vergangenen zwei Dekaden eher verhaltene Fortschritte im EU-Tierschutz. Jetzt scheinen sich aber neue politische Möglichkeiten zu eröffnen: Die Kommission hat jüngst ihre sogenannte „Farm-to-Fork“-Strategie vorgestellt, die Maßstäbe für die zukünftige, nachhaltige landwirtschaftliche Versorgung setzen wird. In diesem Rahmen sollen bis Ende 2023 die bisherigen Tierwohl-Richtlinien überarbeitet werden.
Zudem gibt es Bewegung bezüglich eines Tierwohllabels, das von der deutschen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) unterstützt wird, die derzeit die Ratssitzungen leitet. Zusätzliche Dynamik entsteht mit der Europäischen Bürgerinitiative „End the Cage Age“, die am 2. Oktober 2020 offiziell der EU-Kommission überreicht wurde. Wenn es den Tierschützer*innen gelingt, das Thema prominent auf die Agenda zu bringen und die öffentliche Unterstützung, die sich seit Jahren in Umfragen abzeichnet, in politischen Druck zu übersetzen, wird Europa vielleicht schon bald globale Maßstäbe im Tierschutz setzen.
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