Die Ereignisse
Es war noch Nacht, als sowjetische Panzer am 21. August in Prag einrollten. Gleichzeitig hatten sie eine Reihe weiterer strategisch wichtiger Städte der Tschechoslowakei besetzt. Als der Morgen anbrach, wollten die Tschechoslowaken ihren Augen nicht trauen: Trotzig liefen sie mit ihrer Nationalfahne durch die Straßen der Stadt, umringten die Panzer und riefen: „Freiheit, Freiheit, Freiheit!“ Wenige Wochen und an die 100 tote Zivilisten später hatte der Prager Frühling sein Ende gefunden. Mit ihm war die letzte große Demokratiebewegung in der Tschechoslowakei vor 1989 in einem Blutbad untergegangen.
Vorangegangen war eine kurze Periode von Liberalisierungen in der tschechischen Politik. Die Pläne der kommunistischen Führung unter Generalsekretär Alexander Dubček sahen unter anderem die Einführung einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ und eine schrittweise Abschaffung der Zensur vor. Dubček nannte diesen Kompromiss aus Sozialismus und Liberalismus „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Die Sowjetunion fürchtete um ihre Existenzberechtigung.
Der Invasion folgten 20 Jahre in einer Art politischem Koma-Zustand, der in Tschechien als „Normalisierung“ bezeichnet wird. Der Ausdruck, der auf den ersten Blick unschuldig klingt, bedeutete in Wahrheit die vollkommene Unterdrückung freier Meinungsäußerung und die De-Politisierung der tschechoslowakischen Bürger. Sie sollten sich in erster Linie um ihre Familie und ihren Beruf kümmern und sich aus der Politik strengstens heraushalten. Nur einige wenige Dissidenten um den späteren Präsidenten Václav Havel ließen sich nicht unterkriegen, von ihnen ging später die Demokratiebewegung der „Samtenen Revolution“ 1989 aus. Andere flohen kurz nach dem Einmarsch der sowjetischen Soldaten über die Grenze nach Österreich oder Deutschland.
Warum der Prager Frühling für uns wichtig ist
70 Jahre sind eine lange Zeit, aber doch wiederum nicht so lange, dass wir als junge Europäer den Prager Frühling nicht als Warnung sehen sollten. Zum einen hat seine Niederschlagung gezeigt, wie schnell aus einer positiven Entwicklung eine negative werden kann. Zum anderen erinnern die damaligen Ereignisse auch an den Mut der Tschechen, die laut und deutlich ihre Stimmen für Freiheit und Demokratie erhoben.
Für Tschechen und Slowaken im Besonderen, aber für ganz Europa im Allgemeinen muss der Prager Frühling auch ein Beispiel dafür sein, wie wichtig die Europäische Union für das Wohlbefinden unser aller ist. Nicht nur sind unsere Nationalstaaten nur gemeinsam stark und können sich in der Gemeinsamkeit gegen den Einfluss antidemokratisches Kräfte von außen wehren; der Prager Frühling zeigt auch, wie wichtig es ist, unsere im Laufe der Geschichte bitter erkämpften Menschenrechte zu verteidigen: Das Recht auf die Würde, die Freiheit und die Gleichheit des Menschen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Schutzsuchenden vor den Grenzen Europas, die vor menschenunwürdigen Zuständen fliehen - so wie damals Slowaken und Tschechen fliehend Schutz im demokratischen Westen gesucht haben.
All dies müssen wir zum Anlass nehmen, niemals aufzuhören die Errungenschaften der Demokratie in Europa zu verteidigen.
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