Am 1. Dezember 2009 ist der Lissabonner Vertrag in Kraft getreten. Er soll die EU mit ihren 27 Mitgliedstaaten handlungsfähiger, politisch effizienter und vor allem demokratischer machen. Gerade letzteres wird für die Zukunft und Erweiterung der EU immer entscheidender. Denn ohne die Zustimmung des europäischen Volkes kann sich die EU nicht erweitern, weiterentwickeln und seinen erfolgreichen Weg als Friedens-, Wirtschafts- und Klimaakteur fortführen.
Die geringe Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament oder auch die gescheiterten Referenden in den Niederlanden, Frankreich und zuletzt Irland haben gezeigt, dass die europäischen Bürger der EU noch immer nicht über den Weg trauen. Deshalb wurden in den Vertrag von Lissabon zahlreiche „demokratiefördernde“ Neuerungen und Instrumente implementiert. Neben institutionellen Veränderungen wie der Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlamentes bei der Gesetzgebung, der Bestimmung des Mitentscheidungsverfahren als „ordentliches Rechtsetzungsverfahren“ oder der Stärkung der nationalen Parlamente wurde in Artikel 11 Abs. 4 EUV die sogenannte Bürgerinitiative eingeführt. Dazu heißt es:
„Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.“
Schön und gut, mag man zunächst denken – klingt nach einem Plebiszit auf EU-Ebene, nach Rechtsetzung aus dem europäischen Volk heraus. Aber was heißt überhaupt „eine erhebliche Zahl von Mitgliedstaaten“? Wie soll das „Initiative ergreifen“ aussehen? Und was ist nach Ansicht der Kommission am Ende „geeignet“, um in einen Rechtsakt umgesetzt zu werden?
Gegenstand der Konsultation
Diese und andere juristische, administrative und praktische Fragen müssen geklärt werden, bevor das neue Instrument von den Bürgern sinnvoll angewendet werden kann. Deshalb hat die Europäische Kommission am 11. November 2009 ein Grünbuch (pdf) veröffentlicht, in der sie eigene Vorschläge macht und die Öffentlichkeit darin auffordert, zu den praktischen Einzelheiten und offenen Fragen der europäischen Bürgerinitiative Stellung zu nehmen. Die öffentliche Konsultation bietet dazu noch bis zum 31. Januar 2010 Gelegenheit. Dann wird die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Vorschlag für eine Verordnung vorlegen.
Erklärtes Ziel der Kommission ist es, das neue Recht der Bürger so schnell und effizient wie möglich umzusetzen. Um dies zu erreichen, sollten sich möglichst viele zivilgesellschaftliche Akteure an der Konsultation beteiligen und den Antworten auf die offenen Fragen im Grünbuch ihren Stempel aufdrücken. Einen guten Überblick liefert dabei eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Offene Fragen – konkrete Forderungen
Zunächst stellt sich die Frage, wie viele Mitgliedstaaten an einer Bürgerinitiative beteiligt sein müssen, um eine hinreichende Repräsentativität für ein „Unionsinteresse“ zu wahren. Ein Balanceakt: Es muss eine gewisse Anzahl von Mitgliedstaaten hinter der Initiative stehen, ohne dass das Verfahren durch einen zu hohen Schwellenwert unnötig erschwert wird. Schließlich geht es hierbei vor allem um mehr Bürgernähe. Die Kommission schlägt eine Mindestzahl von neun Mitgliedstaaten vor, was einem Drittel der Mitgliedsstaaten entspräche. Dem Europäischen Parlament (pdf) ist dies noch zuviel – die Abgeordneten schlugen einen Schwellenwert von sieben Mitgliedstaaten vor und orientierten sich damit am Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 EUV. Vertreter europäischer Verbände plädieren ebenfalls für eine niedrige Zahl, da sie den Erfolg einer Initiative bei einer höheren Mindestanzahl gefährdet sehen – also je niedriger, desto besser.
Unklar ist auch, wie sich im nächsten Schritt die eine Million europäischer Bürger zusammensetzen müssen? Für ein angemessenes Meinungsspektrum schlägt die Kommission ein Unterschriftenquorum vor. Um die enormen Bevölkerungsunterschiede ausgleichen zu können, sollte von mindestens 0,2% der Bevölkerung eines beteiligten Mitgliedstaates die Unterschrift gesammelt werden (eine Million von 500 Millionen europäische Bürgern 0,2%). Einwände kommen dabei besonders von Vertretern der großen Mitgliedsstaaten – so müssten allein in Deutschland 160.000 Unterschriften gesammelt werden, um das Quorum zu erfüllen. Hier könnte eine fixe Mindestzahl an Unterschriften Abhilfe schaffen. Auch über die Festlegung des Wahlalters muss in diesem Zusammenhang gesprochen werden. Dieses könnte beispielsweise an das Wahlalter des Mitgliedsstaates für die Wahlen zum Europäischen Parlament gekoppelt sein.
Besonders heikel ist das Thema Datenschutz. Wie sollen Unterschriften geleistet, überprüft und authentifiziert werden? Genügt ein einfacher Klick im Internet (Onlineinitiative) bzw. eine Unterstützerunterschrift bei einer Straßenaktion oder kann erst der Gang ins Meldeamt die Beteiligung an einer Initiative ermöglichen? Ein kompliziertes Prozedere könnte abschreckend wirken. Und dennoch muss die Kommission sicherstellen, dass auf EU-Ebene gemeinsame Verfahrensregeln für den Umgang mit Unterschriften gelten.
Auch Rechtssicherheit für Initiatoren ist enorm wichtig. Was passiert mit einer Initiative, die sich außerhalb der geltenden Verträge bewegt – sagen wir im Bereich des Steuerrechts – und für die die EU überhaupt keine Gesetzgebungskompetenz hat? Eine Zulässigkeitsprüfung lehnt die Kommission ab, was aber mit der Gefahr verbunden ist, dass eine vermeintlich erfolgreiche Initiative nach ihrer Beendigung aus inhaltlichen Gründen kassiert werden müsste. Den eine Millionen plus Unterzeichnern dürfte das sicher missfallen.
Und was passiert überhaupt, nachdem die nötigen Unterschriften gesammelt wurden? Ist die Kommission dann auch verpflichtet, einen Gesetzgebungsprozess anzustoßen, oder können „unpässliche“ Initiativen auf Kommissionsebene versanden? Eine Anhörungspflicht der Initiatoren in Brüssel könnte hier zu einer besseren Kontrolle beitragen und den Bürgern die EU zumindest ein Stück weit näher bringen.
Wenn alle Fragen geklärt sind, hat der Lissabonvertrag womöglich ein Instrument geschaffen, mit der zivilgesellschaftliche Akteure und Verbände wie die JEF ihre Ziele und Vorstellungen von Europa auf einer ganz neuen Ebene anstoßen können. Wie die Kommission am Ende mit den Resultaten umgeht, und wie viel heiße Luft nun eigentlich im Spiel ist, diese Frage mag man wohl erst in ein paar Jahren beantworten können.
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