Es mag Leute geben, die die Entscheidung von Antonis Samaras verstehen werden. Rundfunk kostet viel Geld: 300 Millionen Euro, so die aktuellen Zahlen, sollen die Sender im Jahr verschlingen. Auch der geringe Marktanteil von sechs Prozent ist für die Hauptnachrichtensendung von „ERT“ kein guter Wert. Auch die Mitarbeiterzahl des 1938 gegründeten Senders lag siebenmal höher als bei vergleichbaren privaten Sendern. Mit den strengen Auflagen der internationalen Geldgeber, die das Land vor der Staatspleite bewahrt haben, ist das nicht zu vereinbaren.
Dann gibt es die anderen, 2.625 Beschäftigte der Sendeanstalt „ERT“, die ihren Job verloren haben, unter ihnen Busfahrer und Fluglotsen. Auch Journalisten streikten nach der Schließung des Senders, vergangene Woche Dienstag, mehrere Tage lang. Als Folge erschienen keine Zeitungen. Ihre Arbeit wollen die Medienmacher erst wieder aufnehmen, wenn die griechische Regierung ihren Beschluss zurücknimmt. So beginnt ein Kampf für die Pressefreiheit in Griechenland. Das Ausmaß der ERT-Schließung ist von besonderer Tragweite, da der Sender neben vier Fernsehprogrammen und ebenso vielen Digital-Fernsehangeboten auch 29 weitere nationale Radiostationen unterhält.
Die deutsche Gesellschaft der „Verdi“ stuft diesen Eingriff der Regierung Athens als „schwerst denkbaren […] in die Pressefreiheit" ein. Gerade für ein Land wie Griechenland, das sich in einer politischen Umbruchphase befinde, sei die Abschaltung einer unabhängigen Rundfunkanstalt ein schwerer Schlag gegen die Meinungsbildung der Gesellschaft und die kritische Berichterstattung gegenüber Politik und Wirtschaft, so der stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft, Frank Werneke.
Griechenlands Grundrechte gefährdet
Die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) setzt sich schon seit Jahren für Pressefreiheit und gegen Zensur ein. Bereits neunmal veröffentlichte die ROG ihre „Rangliste der Pressefreiheit“, zuletzt im Januar 2013. Für den Test werden weltweit Fragebögen an Partnerorganisationen verschickt, die diese an ein breit gefächertes Netzwerk an Korrespondenten, Journalisten, Forschern, Juristen oder Menschenrechtlern weiterleiten. Beurteilt werden die Bedingungen, unter welchen die Journalisten im jeweiligen Land arbeiten können. In die Bewertung fließt mit ein, ob Medien zensiert werden, oder Journalisten von ihrer Arbeit mit Gewalt abgehalten werden.
Griechenland rangiert in dieser Liste auf dem 84., Deutschland auf dem 17. Platz. 179 Staaten sind offiziell gelistet. Außerdem hat Griechenland beim sogenannten „Press Freedom Index“ in den letzten Jahren enorm an Boden verloren: 2011 war das Land noch auf Platz 70 gelistet, mittlerweile steht es auf Platz 84. Eine traurige Bilanz für einen EU-Staat der, glaubt man der Auflistung, somit in einem wichtigen Grundrecht nicht mit Ländern wie Malawi, Benin oder Armenien konkurrieren kann.
ERT-Beschäftigte erreichen Wende im Sende-Streit
Für eine Wende im Sende-Streit sorgte eine Entscheidung des obersten griechischen Verwaltungsgerichts am vergangenen Montag. Durch einen Gewerkschafts-Eilantrag der „ERT“-Beschäftigten ordnete das Gericht den Weiterbetrieb des Senders an, bis die Samaras-Regierung ihre Pläne von einer „neuen, schlankeren“ Sendeanstalt verwirklicht hat – das soll im August der Fall sein. Auch Samaras selbst war bei einem Krisentreffen am Montagabend bemüht, die Wogen zu glätten. Seine Koalitionspartner, die sozialdemokratische „Pasok“ und die gemäßigte Linke, bestanden auf eine sofortige Wiederaufnahme des Sendebetriebs und drohten sogar mit einem Koalitionsbruch – Samaras hatte dessen Einstellung zuvor ohne Absprache mit seinen Koalitionspartnern beschlossen. Er bot seinen Partnern nun an, die Sender-Reform zu beaufsichtigen und den Koalitionsvertrag zu ändern, damit das Zusammenwirken der drei Parteien gestärkt werden kann.
Der Beschluss, den staatlichen Rundfunk „ERT“ zu schließen, hat die griechische Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert. Nicht zum ersten Mal hat die konservativ sozialdemokratische Regierung per Dekret am Parlament vorbeiregiert und so die demokratischen Grundsätze außer Kraft gesetzt. Gerade noch rechtzeitig wurden Samaras Pläne ausgebremst. Für Demokratie, Pressefreiheit und „ERT“-Beschäftigte ist es ein Sieg – zumindest auf Zeit.
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