Hat Deutschland verloren – auf dem Fußballfeld und am Verhandlungstisch? Merkel galt nach dem letzen EU-Gipfels als geschlagen, weil sie Zugeständnisse in Sachen Bankenrettung machen musste. Zukünftig sollen Staaten der Eurozone sich auch ohne schärfere Auflagen Kredite aus dem Rettungsfond besorgen können.
Vorbei die Zeit, als der Deutsche im Oberlehrertonfall jene Staaten belehrte, die angeblich ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Zumindest kann man das nur hoffen. Denn die bisherige Strategie der Bundesregierung basiert auf Trugschlüssen.
Beschlossen: Bankenrettung durch Bankenunion
Beschlossen wurde zum einen, Banken direkten Zugang zu Finanzhilfen aus dem Europäischen Rettungsfond zu ermöglichen. Ziel ist es, die Möglichkeit zu schaffen, Bankenrettungen von nationalen Haushalten zu entkoppeln. Das macht Sinn, denn die Rettung von Banken ist teuer und muss von den Staaten am Kapitalmarkt refinanziert werden. Das Ergebnis ist eine höhere Staatsverschuldung und ein höherer Zins auf Staatsanleihen, was wiederum eine höhere Verschuldung bedeutet. Dieser Teufelskreis soll nun durch eine Bankenunion durchbrochen werden. Bedingung ist eine gemeinsame Bankenaufsicht, die die Kreditinstitute kontrolliert. Auch das ist gut, denn wenn Risiken kollektiviert werden, sollte auch die Kontrolle kollektiviert werden.
Insgesamt bedeutet das einen weiteren kleinen Schritt in Richtung europäischer Integration. Ein fader Beigeschmack bleibt jedoch trotzdem, folgt die Maßnahme jener Politik der kleinen Schritte nach dem Motto: das Feuer schnell auszutreten, bevor ein Flächenbrand entsteht, wie er derzeit in Spanien befürchtet wird. Letztendlich ist die Rechnung eine einfache: Bevor Spanien vor dem Bankrott gerettet werden muss, ist es wesentlich billiger, Spaniens Banken zu retten.
Beschlossen: Keine weiteren Auflagen
Zum zweiten wurde beschlossen, Staaten auch ohne zusätzliche Auflagen Finanzhilfen gewähren zu können. Auch das ist gut so, denn Auflagen gibt es genug. Wer sich einmal die Memorandum of Understandings durchgelesen hat, die zwischen IMF, Europäischer Kommission und Empfängerstaaten ausgehandelt wurden, wird erstaunt sein, wie detailverliebt ausformuliert wird, wo welche Einsparungen gemacht werden sollen und welche Reformen wann anzuschieben sind.
Diese Maßnahmen greifen tief in die Souveränitätsrechte der Staaten ein und sind nicht dadurch zu rechtfertigen, dass die Vereinbarungen in Verhandlungen mit den jeweiligen gewählten Regierungen getroffen worden sind, und zwar wegen Mangels an Alternativen. Wer die Wahl hat zwischen den Auflagen der Verhandlungskommission und dem Staatsbankrott, hat keine Wahl.
Kontrollmechanismen gibt es bereits
Aber abgesehen von den Memorandums of Understanding verfügt die Eurozone über weitere Kontroll- und Sanktionsmechanismen, wie einen reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt, über den empfindliche Sanktionen verhängt werden können. Zudem legte die EU Kommission im März dieses Jahres einen Vorschlag auf den Tisch, die Konditionalität von EU-Fördergeldern auszuweiten. Demnach müssten Staaten, die EU-Fördergelder erhalten wollen, eine mit den europäischen Leitlinien konforme Wirtschaftspolitik betreiben.
Bisher war das nur für Gelder aus dem Kohäsionsfond der Fall und die Kriterien der Konditionalität wurden selten angewandt: Seit der Einführung der Konditionalität 2006 wurden erstmals 2012 Gelder, die für Ungarn bestimmt waren, suspendiert. Der Vorschlag der Kommission sieht vor, die Konditionalität unter anderem auf den Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Fischereifonds und den Sozialfonds zu erweitern. Brechstangen, um Reformen zu erzwingen, gibt es also genug.
Die große Enttäuschung
Das enttäuschende an dem Gipfel ist nicht, dass Merkel ihre Forderungen nicht durchsetzen konnte, sondern vielmehr, dass den Entscheidungsträgern wieder einmal der Mut fehlte, die grundlegenden Misskonzeptionen der Währungsunion zu beheben und endlich eine kohärente Krisenpolitik zu finden.
Dazu muss zunächst einmal und gerade in Deutschland mit einigen Märchen aufgeräumt werden:
1) Deutschland ist nicht Zahlmeister der Union, sondern hat bisher am meisten von der Eurozone profitiert – insbesondere während der Krise!
Die einfache Rechnung, wer zahlt wie viel in den EU Haushalt ein und wer holt wie viel wieder raus, ist zu kurzsichtig. Deutschland profitiert als Exportland von der europäischen Binnennachfrage und hat mit Lohndumping und Handelsüberschüssen zum Entstehen der Krise maßgeblich mit beigetragen.
2) Das Schuldenniveau ist nicht der Grund für die Krise!
Das Schuldenniveau Spaniens ist derzeit etwa vergleichbar mit dem Deutschlands (ca. 80% des BIP). Trotzdem zahlt Spanien mehr als 6% Zinsen auf seine Staatsanleihen, während Deutschland zweitweise einen negativen Zinssatz zahlte, also unter der Inflationsrate. Während das Vereinigte Königreich (UK) vor der Krise etwa 5% auf Langzeitanleihen zahlte und damit etwa 1% weniger als Spanien, hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt.
Obwohl das Schuldenniveau von beiden Staaten vergleichbar gestiegen ist, zahlte Spanien in 2011 einen durchschnittlichen Zinssatz von 5,4% und die UK einen von 3,1% und das obwohl auch der britische Finanzsektor empfindlich von der Krise getroffen wurde. Dass Deutschland sich zur selben Zeit mit Geld zu Konditionen unterhalb der Inflationsrate versorgen kann, ist zwar pervers, angesichts freier Kapitalflüsse in einer Währungsunion sowie einer restriktiven Sparpolitik in Zeiten der Rezession aber auch logisch.
Der Grund, warum die Zinsen in der UK nicht gleichermaßen gestiegen sind wie in Spanien, hat damit zu tun, dass jene Gläubiger nicht dem Risiko eines Zahlungsausfalls ausgesetzt sind. Die Liquidität der UK ist durch die nationale Zentralbank gesichert, die zur Not einspringen kann, um Staatsanleihen aufzukaufen. Spaniens Liquidität wird hingegen dadurch bedroht, das Kapital nach Deutschland abwandert und gleichzeitig keine spanische Zentralbank existiert, die spanische Staatsanleihen kaufen könnte. So erklärt sich auch, wie Deutschland seine Schuldverschreibungen zu Niedrigstzinsen auf den Markt bringen kann und so eine Menge Geld spart.
3) Deutschland ist kein Vorbild für die Europäische Union!
Das Wachstumsmodell Deutschlands beruht auf Exporten und drückt sich in seinem Handelsüberschuss aus. Wo ein Überschuss ist, da muss auf der anderen Seite auch irgendwo ein Defizit sein. Diese Handelsungleichgewichte haben maßgeblich zur Verschärfung der Krise mit beigetragen. Sicherlich fördert Deutschland seinen Status als Exportland durch Investitionen in Forschung und Entwicklung. Doch leider nicht nur, sondern auch durch restriktive Lohnentwicklungen.
Das ist auf Dauer schädlich für die Währungsunion, nicht nur aufgrund der Gefahr des Lohndumpings, sondern auch und vor allem weil es der Binnennachfrage schadet. Wenn Deutschland sich damit brüstet, während der Krise Jobs geschaffen zu haben, dann sind damit hauptsächlich prekäre Beschäftigungsverhältnisse gemeint. 75% der 2010 entstandenen Jobs zählten zu atypischen Arbeitsverhältnissen wie Zeitverträge. Davon ist die Hälfte im Bereich der Zeitarbeit anzusiedeln. Längst hat die International Labour Organization auf die Gefahren von exportorientierten Wachstumsmodellen und sinkenden Löhnen hingewiesen und dem ein Modell gegenüber gestellt, das sich am Wachstum durch Binnennachfrage orientiert.
Wirtschaftliche oder politische Union?
Durch Flickschusterei wie bisher kann die Eurozone am Ende nicht gerettet werden. Freie Kapitalflüsse schaffen eine perverse Situation in der das Geld dorthin fließt, wo es nicht gebraucht wird. Die mühsamen Verhandlungen zum Schnüren immer neuer Rettungspakete dauern zu lange, sind halbherzig und führen am Ende dazu, dass Menschen auf der Straße landen.
Die zögerliche Sparpolitik hat die sozialen Kosten der Währungsunion in Spanien, Griechenland und Portugal an den Rand des Erträglichen getrieben und der Widerstand gegen das deutsche Sparkdiktat mehrt sich. Deshalb muss sich Deutschland schnell überlegen, ob die Währungsunion als rein wirtschaftliche oder als politische Union gestaltet werden soll. Als politische Union braucht die Eurozone mehr als Rettungspakete, sondern einen signifikanten Haushalt, der durch automatische Transfers die sozialen und wirtschaftlichen Folgen bei zukünftigen Krisen abfedert und effektive Konjunkturpakete auch in krisengeschüttelten Ländern ermöglicht.
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