Wie kaum ein anderer Regierungschef steht Italiens ehemaliger Ministerpräsident Silvio Berlusconi für den Einfluss der Politik auf die Medien. Verteidiger der Pressefreiheit denken mit Grauen an italienische Zustände. Und Berlusconi, der 1994 sowie von 2001 bis 2006 und von 2008 bis 2011 italienischer Ministerpräsident war, liefert seinen Kritikern die Belege für ihre Vorwürfe auf dem Silbertablett. Ausgerechnet auf einer Pressekonferenz, schreibt das Internationale Presseinstitut, das die Medienfreiheit in Italien untersucht hat, sorgte Berlusconi beispielsweise im Jahr 2002 für die Entlassung von drei Journalisten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (RAI), die sich zuvor kritisch über ihn geäußert hatten. Diese hätten die RAI „auf kriminelle Weise“ genutzt, sagte er zur Begründung – und forderte den Verwaltungsrat auf, dafür zu sorgen, „dass so etwas nicht noch einmal geschieht“. Der Verwaltungsrat reagierte wie gewünscht und entließ die drei Journalisten. Italiener kennen mehr solcher Geschichten: Mehrfach rief Berlusconi bei politischen Talkshows während der Sendung an, um sich zu beschweren, dass er oder ihm nahestehende Politiker zu schlecht dargestellt würden. Als Konsequenz dieser und anderer Einmischungen stufte die Nicht-Regierungsorganisation Freedom House Italien in Bezug auf die Freiheit der Presse als einziges westeuropäisches Land nur als „teilweise frei“ ein. Alle anderen westeuropäischen Staaten (mit Ausnahme Nordirlands) gelten dagegen als „frei“.
Doch obwohl Berlusconi wie kaum ein anderer die enge Verbindung von Politik und Medien in Italien illustriert, ist er nicht Erfinder sondern Nutznießer des Systems.
Beispiel RAI: Schon seit die RAI 1954 gegründet wurde, haben Regierung und Parlament starken Einfluss auf die Inhalte der Sendungen genommen, auch wenn sich die exakte Form der Kontrolle gewandelt hat. Heute entscheidet ein Verwaltungsrat über wichtige Positionen wie beispielsweise den ausführenden Direktor und die Chefs der drei Fernsehsender. Der Verwaltungsrat wird von Mehrheit und Opposition im Parlament sowie der Regierung in Rom bestimmt. Diese Regelung ist in Italien wenig umstritten. Auch Mitglieder der Mitte-Links-Partei Partito Democratico (PD) halten es für legitim, dass das Parlament über die Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bestimmt, schreibt das Internationale Presseinstitut. Das verwundert nur auf den ersten Blick. Denn da die RAI nach einem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts überparteilich sein muss, „wurden die (…) größeren Parteien kurzerhand mit je einer eigenen Nachrichtensendung ausstaffiert“, schreibt der Historiker Christian Jansen. Die Grenze zwischen Politik und Medien verwischt nicht nur bei Berlusconi: Michele Santoro, einer der von Berlusconi entlassenen Journalisten, war beispielsweise selbst politisch aktiv und wurde für die Mitte-Links-Koalition „Uniti nell’Ulivo“ ins Europaparlament gewählt.
Beispiel Mediaset: Berlusconis Firma Mediaset erreicht im Fernsehen mit ihren drei Sendern einen Marktanteil von etwa 40 Prozent. Dass ein einzelner Medienunternehmer eine solch dominierende Stellung erlangen konnte, war politisch gewollt. Bis 1976 war der Betrieb von privaten Fernseh- und Rundfunksender in Italien verboten. Dann erklärte das italienische Verfassungsgericht das Monopol der RAI nur auf nationaler Eben für gültig, nicht aber auf regionaler Ebene, da es gegen das Recht auf Meinungsfreiheit verstieß. Der Bauunternehmer Silvio Berlusconi stieg in den Fernsehmarkt ein und wurde rasch der erfolgreichste Anbieter. Um das Verbot landesweiter Ausstrahlungen zu umgehen, lief auf seinen regionalen Sendern parallel dasselbe Programm. 1984 wurde er deshalb verurteilt, drei seiner regionalen Sender abzuschalten. Doch mit Hilfe von Regierungsverordnungen konnte er dieses Urteil umgehen und die Sender behalten. Das erste italienische Mediengesetz von 1990 half Berlusconi, seine Stellung zu sichern. Pressekonzernen wurde untersagt, eigene Sender zu unterhalten, was Berlusconi mögliche Konkurrenten vom Hals hielt. Und obwohl Medienunternehmen eigentlich nur zwei Sender besitzen durften, handelte Berlusconi, der drei Sender kontrollierte, eine Übergangszeit bis zum Jahr 2003 aus. In der Zwischenzeit kippte er die Zwei-Sender-Regelung mittels eines Referendums, für das seine eigenen Sender massiv Stimmung machten. Als Regierungschef setzte er schließlich 2004 ein neues Mediengesetz durch, das die Zwei-Sender-Regelung nicht mehr enthielt.
Beispiel Zeitungen: Da das Mediengesetz von 1990 Pressekonzernen den Betrieb von Fernsehsendern untersagte, war Berlusconi gezwungen, seine Tageszeitung Il Giornale zu verkaufen. Ein Käufer wurde 1994 innerhalb der eigenen Familie gefunden. Seither wird Il Giornale von Berlusconis Bruder Paolo herausgegeben – und steht politisch fest auf Berlusconis Seite. Die politische Ausrichtung einer Zeitung ist in Italien aber nicht ungewöhnlich. Viele Zeitungen werden von großen Unternehmen, Interessenverbänden oder Parteien herausgegeben und einige überregionale Zeitungen haben ein relativ klares politisches Profil, schreibt der Politikwissenschaftler Stefan Köppl. So berichtete die „La Repubblica“ beispielsweise oft dezidiert Berlusconi-kritisch. Das Internationale Presseinstitut erklärt deshalb, es entstehe der Eindruck, dass „Meinungspluralismus existiert, unabhängige Berichterstattung aber sehr selten ist“.
Silvio Berlusconi nutzt die von ihm kontrollierten Medien, um die eigene politische Agenda voranzutreiben. Die enge Verbindung von Medien und Politik trieb er auf die Spitze. Aber Berlusconi ist eher Symptom als Urheber dieser Verquickung. Sie wird nach seinem Rücktritt daher vielleicht gemildert, aber nicht verschwinden. Dazu wäre es notwendig, das Mediensystem insgesamt unabhängiger von der Politik zu machen – und nicht nur von Silvio Berlusconi.
Dieser Artikel erschien im neuen gedruckten Treffpunkt Europa, Mitgliedermagazin der JEF-Deutschland. Die aktuelle Ausgabe widmet sich den Medien als vierte Gewalt in Europa und ist auf der JEF-Webseite kostenlos erhältlich.
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