Giorgio Napolitano in Straßburg

Der italienische Präsident wirbt für die EU-Verfassung

, von  Übersetzt von par Till Burckhardt, Nives Costa

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Der italienische Präsident wirbt für die EU-Verfassung

Am 14. Februar hat sich der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano, während seines Auftritts in der Plenarsitzung des EU-Parlaments, in die Diskussion über die Zukunft der europäischen Verfassung eingeschaltet. Seit seiner Wahl an die Spitze der italienischen Republik am 10. Mai 2006, hat Napolitano mehrmals darauf hingewiesen, dass Italien seit den Anfängen der Gemeinschaft die politische und gar historische Aufgabe übernimmt, die europäische Integration voranzutreiben.

Die Rede des Staatspräsidenten, der einst in der Straßburger Versammlung saß, konzentriert sich auf die unmittelbare Zukunft des Verfassungtextes, der 2005 von den Franzosen und den Holländern im Rahmen von zwei Volksabstimmungen abgelehnt wurde. Er kommt sofort zum gordischen Knoten, zur Ursache des jetzigen Engpasses: Die Referenda in Frankreich und in Holland haben die Volksstimmung europaweit erschüttet und sich als kalte Dusche für jene, die glaubten bald am Ziel zu sein, erwiesen. Die gelungenen Ratifizierungsprozesse in 18 Mitgliedsstaaten haben lange nicht so viel Nachdruck bekommen. Napolitano macht es gut, dieses kontroverse Thema aufzugreifen: Man hört oft, dass „das Volk“ in Frankreich und Holland die Verfassung verworfen hat. Man könnte fast glauben, dass diese negativen Aussagen ein größeres Gewicht als die Zustimmung vieler Parlamente hätten. Die vermutlich breitere demokratische Tragweite der Volksabstimmungen ist bestreitbar. Es ist hingegen sicher, dass die Missachtung der demokratischen Entscheidungen in 18 Mitgliedsstaaten einen ernsten Präzedenzfall schaffen würde, den das in einer Legitimitätskrise steckende Europa keineswegs brauchen kann.

Die Mitgliedsländer, welche die Verfassung ratifiziert haben, verdienen Respekt

Wie es Napolitano hervorgehoben hat, „verdienen die Mitgliedsländer die in Vertretung von 275 Millionen Europäischen Bürgern [...]“ die Verfassunscharta ratifiziert haben „Respekt, um sich an die in Rom unterzeichnete Verpflichtung gehalten zu haben“. Die Verfassung wieder aufzumachen, käme dem „Öffnen der Büchse der Pandora“ gleich: Dies würde die Überlegungszeit, in der die Union heutzutage feststeckt (auf unbeschränkte Zeit?) verlängern. Es ist kein Geheimnis, dass einige Staaten wie Großbritannien, Polen und die Tschechische Republik diese Möglichkeit nicht unbedingt negativ auffassen. Es handelt sich vielleicht um die beste Gelegenheit in historischer Perspektive, den Ratifizierungsprozess zu unterbrechen und am Status quo festzuhalten.

Es lohnt sich hervorzuheben, wie Napolitano andere Risiken angedeutet hat, die dieses Mal sich gerade jenen Ländern, die das Öffnen der Büchse der Pandora vorschlagen, in den Weg stellen könnten. Die Infragestellung der Verfassung, könnte sich als eine Gelegenheit für alle betroffenen Interessengruppen erweisen: Die einen würden Korrekturen nach unten verlangen, die anderen jedoch könnten aber vehement nach oben stoßen. Der italienische Präsident hat ein Szenario auf den Tisch gebracht, welches die Briten nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen sehen möchten: die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips im EU-Rat und für die Ratifizierung der zukünftigen Verträge. Dieser politische Abschnitt der Rede ermahnt die Euroskeptiker, nicht mit dem Feuer zu spielen.

die Verfassung wieder aufzumachen... käme dem Öffnen der Büchse der Pandora gleich

Inzwischen kommt von Gérard Onesta, grüner Vizepräsident des EU-Parlaments, der Kompromissvorschlag, die Form zu verändern und den Inhalt zu behalten, und somit die Verfassung im Respekt des Votums der französischen und holländischen Bürger zu retten. Aus der aktuellen Verfassung würden zwei neue Texte entstehen. Der Erste würde aus rund einhundert Artikeln mit Verfassungswert bestehen, und die Grundsätze sowie die in Nizza entworfene Grundrechte-Charta enthalten. Über diesen Teil müsste eine EU-weite Volksbefragung stattfinden. Der zweite Teil müsste hingegen wie die sonstigen internationalen Verträge von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Dies könnte eine mögliche Lösung sein, wobei einige Mitgliedsstaaten für alle internationalen Verträge eine Ratifikation durch Volksabstimmung vorsehen.

Die beste Lösung bleibt die Annahme der Verfassung in einer Version, die dem jetzigen Text nichts wegnimmt und keine Änderungen „nach unten“ vorsieht. Kann man dementsprechend über einen neuen Impuls aus dem Block der Gründerstaaten reden? Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das eventuelle Scheitern der Verfassung als „historischen Fehler“ bezeichnet, während die französische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal – die in der Vergangenheit widersprüchliche Meinungen geäußert hat – vorschlägt 2009 ein zweites Referendum abzuhalten.

Über die institutionelle Rhetorik der Gründerväter wie Jean Monnet und Altiero Spinelli hinaus – womit in der Straßburger Versammlung alle einverstanden sind – hat die Rede Napolitanos einen besonderen Wert. In einem Moment, wo von jeder Seite Vorschläge über mögliche Änderungen des Verfassungstextes kommen, die sogar das Wort „Verfassung“ in Frage stellen, erweckt die Rede den Sinn für Verantwortung der politischen Führungskräfte Europas und den Zusammenschluss der Front jener, die das baldige Inkrafttreten der Europäischen Verfassung sehen möchten.

Abbildung:

Flikr

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Ihr Kommentar
  • Am 10. Februar 2009 um 14:35, von  Beatrix C. Als Antwort Ratifikation per Volksabstimmung

    Könnte man nicht wie im Bericht angedeutet gesamteuropäisch über bestimmte Dinge, wie beispielsweise die Ratifikation, abstimmen? Ich habe da gerade gestern so einen Link zu einer Seite in Österreich gefunden. Das scheint mir eine sinnvolle Maßnahme zu sein. Der Link:

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