Die Presse ist sich uneinig
Schlagzeilen zu europäischen Privatvermögen haben sich in den letzten Wochen überboten. „Die armen Deutschen verwalten ihre Finanzen schlecht“, behauptet presseurop. „Die Europäische Zentralbank hat offensichtlich Informationen zurückgehalten“, kontert der Standard. Ebenso spekuliert the guardian: „Versucht uns die Europäische Zentralbank hinters Licht zu führen?". Doch es gibt auch einige Stimmen, die diesen harten Tönen kritisch gegenüberstehen. Auf der Homepage von Nachdenkseiten findet sich sogar das Statement: „Aus Statistiken kann man viele Schlüsse ziehen – richtige wie falsche. Und man kann auch statistisch belegen, dass die Deutschen die „Ärmsten im Euroraum“ sind. Doch nicht alles, was statistisch belegbar ist, ist auch logisch nachvollziehbar.“
Unter welchen Bedingungen die Studie der EZB genossen werden darf, ist auf den ersten Blick jedoch nicht erkennbar. Die erhobenen Daten für die Untersuchung stammen von 62.000 Haushalten aus 15 der 17 Eurostaaten. Um eine Einschätzung über die Qualität der Aussage „Arme Deutsche – Reiche Zyprioten“ machen zu können, werden aber weitere Informationen benötigt. Zu diesen Informationen zählen beispielsweise, die von der Studie erwarteten Ergebnisse. Schnell fällt auf: Im Zentrum der PHF-Studie zur Vermögensverteilung im Euroraum stehen mehrere Fragen. Welcher materielle Besitz lässt sich in den einzelnen Staaten des Euro-Raums nachweisen? Wie hoch ist die Verschuldung der Privathaushalte? Und wie ist das Vermögen generell verteilt?
Rente spielt bei Vermögensverteilung keine Rolle
Die hauptsächliche Kritik an der Berichterstattung und auch der PHF-Studie geht auf die Beurteilung der Vermögensverteilung zurück. Als Maß für diese Behauptungen dienen zwei Werte. Beide sollen das durchschnittliche Nettovermögen, also das Sach- und Finanzvermögen von Privathaushalten abzüglich der Schulden, darstellen. Der erste Wert (der Mittelwert) beträgt 76.400 Euro für die untersuchte Eurozone - die eine Hälfte der Haushalte besitzt mehr, die andere weniger. Interessant ist, dass der Durchschnittswert in der EZB-Studie mit 265.000 Euro deutlich über dem Mittelwert liegt. Ein großer Abstand zwischen Mittelwert und Durchschnittswert sei demnach ein Beleg für eine ungleiche Verteilung der Vermögen, schreiben die EZB-Studienautoren selbst. Eine Betrachtung der Studie unter Einbezug des Durchschnitts führt also nicht zur Aussage „Deutschland ist arm!“. Vielmehr sind Vermögen in Deutschland besonders ungleich verteilt. Die Kleinstaaten Zypern (267.000€) und Luxemburg (398.000€) stehen aber trotz allem weit über den Flächenstaaten Österreich (76.000€) und Deutschland (51.000€). Die Erklärung hierfür ist einfach. Die zentraleuropäische Mittel-, und Unterschicht lebt von einer vergleichsweise sehr hohen gesetzlichen Rente. Genau diese wurde in der Studie allerdings nicht berücksichtigt. Beispielsweise besitzt ein durchschnittlicher Renten-Haushalt von zwei Personen ca. 200.000 Euro, bei einem Beamtenhaushalt sind es sogar ca. 800.000 Euro in Deutschland. Die Nichteinbeziehung von Rentenansprüchen ist somit der gewichtigste Faktor, warum die Ergebnisse der einzelnen Länder nicht vergleichbar sind.
Auch muss die ebenfalls diskutierte Verschuldung der Privathaushalte stark kritisiert werden. Es stimmt zwar, dass 43,7% der Haushalte im Euroraum Schulden haben. Jedoch ermittelt die PHF-Studie diese Vergleichswerte auf Basis von Haushalten und nicht auf der von Einzelpersonen. Länder mit höheren Haushaltsgrößen besitzen dann automatisch mehr Vermögen, als solche mit geringeren Haushaltsgrößen. Doch warum ist das so? Die Erklärung lautet: Wenn ein Land besonders viele Single-Haushalte besitzt, dann wirkt sich das als Vermögenszerteilung am Beispiel der Privathaushalte aus. Umgekehrt sorgt Jugendarbeitslosigkeit für Einheitsvermögen. Viele Jugendliche waren dazu gezwungen in Mittelmeerstaaten im Elternhaus zu bleiben. Fast jeder zweite Haushalt, der von der deutschen Sektion der PHF-Studie befragt wurde, ist ein Einpersonenhaushalt. Der Verzicht auf immaterielle Güter und öffentliche Dienstleistungen ist darüber hinaus kritisch. Wenn beispielsweise die Eltern und Großeltern für die Studienkosten ihrer Kinder sparen müssen, so hätte dies einen positiven Effekt auf die Vermögensstatistik. Zahlt der Staat das Studium, bleibt dieser Effekt aus. Die klare Ignoranz von öffentlichen Gütern ist also nicht tragbar.
Falsche Wahrnehmung der Studie
Höchst brisant gestaltet sich schließlich die Frage des Sachvermögens in der gesamteuropäischen Presse. Das Immobilieneigentum wird durch die öffentlich gewordenen Zahlen sehr energisch diskutiert. Aus der PHF-Studie werden hauptsächlich folgende Fakten deutlich: das Wohneigentum privater Haushalte im Euroraum liegt bei gerade einmal 60.1%. Ungefähr ein Fünftel der Häuser sind mit Hypotheken belegt, weniger als die Hälfte sind abbezahlt. Dabei werden in den bisheriger Meldungen besonders die angeblichen Unterschiede zwischen Deutschland und beispielsweise Spanien hervorgehoben. Laut der Studie belegen die Deutschen beim Wohneigentum den letzten Platz. Hierzulande sollen nur 44,2% der Haushalte eine eigene Immobilie besitzen. Auf dem zweiten Platz nach Spitzenreiter Slowakei folgt Spanien mit 82,7% Hausbesitzern. Entgegen der meisten Zahlen, die aus dem Jahr 2010 stammen, wurden gerade in Spanien die Daten aus einer Vorkrisenzeit (2008) erhoben. Dies relativiert die Ergebnisse wieder, denn Spanien ist vor allem durch eine Immobilienkrise mit in die Ländergruppe, die saniert werden muss, hineingerutscht. Ein vergleichbarer Wert aus der Krisenzeit dürfte deutlich unter der genannten Prozentzahl liegen.
Letztlich bleibt nicht viel übrig von der Behauptung der „armen Deutschen“. Sowohl die Presse, als auch die PHF-Studie selbst sind an vielen Stellen missverständlich gewesen. Der Umgang mit der schon lange vorher bekannten Studie und der erstmaligen Verkündung am Dienstag, nachdem das Rettungspaket für Zypern im Bundestag geschnürt worden war, hat nicht zur Sachlichkeit der Diskussion beigetragen. Schon damals wurde gemunkelt, ob die Brisanz der Studie nicht falsch wahrgenommen werden könnte. Nun wissen wir, dass genau dies der Fall war.
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