Die EU und Lateinamerika - eine Beziehung am Scheideweg

, von  Simon Schmitz

Die EU und Lateinamerika - eine Beziehung am Scheideweg
Seit 1999 finden etwa alle zwei Jahre Gipfeltreffen zwischen der EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik statt, zuletzt im Januar 2013 in Santiago de Chile. Beide Kontinente haben sich in der Vergangenheit jedoch stark voneinander entfremdet. Foto: © President of the European Council 2013: „Closing ceremony of EU-Celac 2013 summit“, Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Beide Kontinente haben sich in der Vergangenheit stark voneinander entfremdet. Das zeigt nicht nur die Rolle Europas im Kontext der erzwungenen Zwischenlandung von Boliviens Präsident Morales in Wien, der zurzeit aussichtslos wirkenden Situation von Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London oder den verhärteten Fronten in der Debatte um die Legalisierung von weichen Drogen. Spätestens seit dem wirtschaftlichen Aufstieg Lateinamerikas wenden sich viele links gerichtete Regierungen nach Asien, um dort Handel ohne Conditionality führen zu können. Höchste Zeit für die EU, die strategische Partnerschaft neu zu denken.

Die Feierlichkeiten anlässlich des „Kolumbus-Tages“ am 12. Oktober dieses Jahres lassen viel Raum für Spekulationen über den aktuellen Stand der europäisch-lateinamerikanischen Beziehung: Während in Spanien an den italienischen Conquistador und Nationalheld Cristóbal Colón erinnert wurde, nahmen einige lateinamerikanische Präsidenten diesen Tag zum Anlass, um an den daraus folgenden Genozid an tausenden Indigenen zu erinnern. Chávez´ Nachfolger Nicolás Maduro etwa zeigte sich erzürnt über den „indigenen Holocaust in Amerika“, während in Bolivien Präsident Evo Morales den Spieß umdrehte und den „Tag der Entkolonialisierung“ feierte.

Haben sich die beiden Kontinente so stark voneinander entfernt?

Betrachtet man den Stand auf institutionalisierter Ebene ergibt sich ein positiveres Bild über die Beziehungen beider Kontinente. Im Jahre 1999 wurde in Rio de Janeiro der erste EU-Lateinamerika und Karibik Gipfel abgehalten und eine "strategische Partnerschaft" verkündet. Zur damaligen Zeit sprach noch niemand von den BRICS Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), deren Einfluss in Lateinamerika überschaubar war. Neben den USA, die traditionell der wichtigste Handelspartner der Region ist, nutzte die EU die Situation, um bilaterale Freihandelsabkommen mit Chile und Mexiko zu schließen. Eine Unterschrift fehlt vielen Abkommen bis heute. Besonders der anfänglich mit Spannung erwartete regionale Integrationsprozess der Staatengemeinschaften Mercosur oder die Andengemeinschaft wird bis heute ausgebremst durch zwischenstaatliche Unstimmigkeiten. Allen voran Argentinien und Brasilien verhindern weitere Integrationsschritte aufgrund alter Rivalitäten und gegenseitigem wirtschaftlichen Protektionismus. Hinzu kommt, dass seit der Schulden- und Bankenkrise das europäische Entwicklungsmodell stark an Vorbildcharakter in der Region verloren hat.

Büßt Europa seine Machtposition in Lateinamerika ein?

Laut der Lateinamerikanischen Wirtschaftskommission CEPAL exportieren alle größeren Staaten vermehrt in den asiatischen und pazifischen Wirtschaftsraum. So lieferte Brasilien 2010 fast dreimal so viele Waren nach Asien wie noch zehn Jahre zuvor. Im Gegensatz dazu stagnieren Europas Anteile am lateinamerikanischen Export oder nehmen gar ab. Die Folge: Chinas Einfluss auf Südamerika steigt- mit rasantem Tempo. Zweistellige Milliardenbeträge investiert das Reich der Mitte in Infrastrukturprojekte in Panama, den Bergbau in Peru oder in wichtige Förderungsanlagen von Lithium in Bolivien. Anders als die EU bindet China seine Entwicklungsprojekte und Wirtschaftsverträge nicht an Konditionen, wie die Einhaltung des Prinzips der good governance. Chinesische Firmen profitieren davon, denn unangenehme Fragen zu den anhaltenden Verletzungen der Oppositionsrechte in den populistisch-nationalistisch regierten Staaten wie Bolivien, Ecuador oder Venezuela werden von ihrer Regierung nicht gestellt.

Bislang prägten vor allem die ehemaligen Kolonialmächte Spanien und Portugal Europas Lateinamerikapolitik. Rund die Hälfte der europäischen Direktinvestitionen kommen immer noch aus Spanien. Dies mag ein Grund dafür sein, dass das bisherige Verhältnis von neokolonialen Einteilungen in Industrie- beziehungsweise Entwicklungsländer geprägt war, welches vor allem in asymmetrischen Freihandelsvertragsverhandlungen deutlich wurde. Diese Sichtweise verkennt jedoch die bemerkenswert rasante Armutsbekämpfung und die daher wachsende Mittelschicht -die verstärkt ihre Rechte einfordert- allen voran in Brasilien. Daraus ergibt sich eine bisher ungewohnte Ausgangssituation, in der viele Länder Südamerikas mittlerweile der EU selbstbewusst auf Augenhöhe begegnen.

Fragen zur Energie- und Ressourcensicherheit werden in Europa immer dringender. Das Augenmerk dabei auf Russland und den Mittleren- und Nahen Osten zu legen, ist geopolitisch nachvollziehbar. Eine Annäherung an einige lateinamerikanische Staaten könnte in Zukunft aber unausweichlich sein: In Venezuela werden mehr Erdölvorkommen vermutet als in Saudi-Arabien, zudem verfügt es über riesige Gasreserven unter der Erde. Allein Brasilien besitzt 65 Prozent der Lithium-Kupfer-Zinn- und Eisenvorkommen.

Die alten Kategorien -Kolonialherren und Kolonialisierte- die sich bis heute in den Nationalfeiern widerspiegeln, sind überholt. Der rasche wirtschaftliche Aufstieg des Kontinents sollte von der Europäischen Union als Chance erkannt werden, um auf Augenhöhe weitere Abkommen zu schließen. Dafür ist jedoch eine klar definierte Lateinamerikastrategie der EU nötig, genau wie die Eingliederung weiterer europäischer Staaten in den Handel mit dem aufstrebenden Kontinent.

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