Die Grenze ist endlich offen!

, von  Niklas Kramer

Die Grenze ist endlich offen!
Deutsch-Polnische Brücke Frankfurt/Oder und Slubice. Seit dem 1. Mai gibt es keine Arbeitsbeschränkungen für polnische Arbeitnehmer mehr. Bestimmte Rechte vorbehalten von endless autumn

Seit gestern ist der deutsche Arbeitsmarkt für den Osten offen. Eine Tagung an der Europauniversität Viadrina unweit der deutsch-polnischen Grenze in Frankfurt/Oder beleuchtete am Freitag die politischen und rechtlichen Fragen. Die eingeladenen Experten traten den Ängsten der Populisten entgegen. Fazit: Der Wegfall der Beschränkungen kommt viel zu spät.

Während sich draußen die Frühlingssonne in der Oder spiegelt, versammelt sich im restaurierten Senatssaal der Frankfurter Universität ein überschaubares deutsch-polnisches Fachpublikum. Arbeitsrechtler, Gewerkschafter und IHK-Vertreter fragen sich, was es bedeutet, dass sich nun polnische, tschechische und ungarische Arbeiter ungehindert in Deutschland auf einen Job bewerben können.

Schröders Regelung hat Europas Werte mit Füßen getreten

„Ich bin sehr froh, dass diese diskriminierende Regelung endlich vorbei ist“, sagt etwa der Europarechtler Carsten Nowak. Die sozialstaatlichen und wirtschaftlichen Bedenken, die damals dazu geführt haben, dass Gerhard Schröder im Beitrittsabkommen mit den osteuropäischen Staaten eine vertragliche Abweichung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit durchgesetzt hatte, hätten sich als falsch erwiesen. Die Regelung habe stattdessen die europäischen Werte der Gleichheit und Freiheit mit Füßen getreten, so Nowak. In neuen Abweichungsabkommen für mögliche Beitrittsländer wie die Türkei, sieht Nowak sogar einen Rechtsverstoß. Man könne nicht mehr annehmen, dass sich die Mitgliedstaaten auf alles einigen dürfen. Auf die Frage, ob es nicht eine Flexibilität im Rahmen derartige Beitritte geben müsse, antwortet er lachend: „Irgendjemand muss sich mal zum Gralshüter der Einheitlichkeit des europäischen Rechts machen. Take it or leave it.“

Sozialstaatstourismus ausgeschlossen. Wir bekommen nur Nettozahler.

Den Bedenken der Populisten treten die Sozial- und Arbeitsrechtler Eva Kocher und Eberhard Eichenhofer in ihren Vorträgen mit überzeugenden Argumenten entgegen. Die europarechtlichen Regelungen verbieten einen Zuzug in die Sozialhilfe ausdrücklich. Wohlfahrtsstaatliche Leistungen seien an den Status der Erwerbsarbeit gekoppelt. Das gelte selbst für die Arbeitssuchenden. „Wir haben kein Sinti und Roma Problem. Wir bekommen im Gegenteil nur Nettozahler!“, freut sich Eichenhofer. Der Professor aus Jena beschreibt begeistert die Vorteile: „Europa ermöglicht die Entwicklung grenzüberschreitender Räume“. Das europäische Sozialrecht habe eine kluge Koordinierung geschaffen, die vor allem die Integration der Menschen in Europa befördert. Dass die gemalte Angst des Lohndumpings sei so nicht haltbar sei, zeigt Kocher auf. Bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit gehe es nur um nach deutschen Tarifen bezahlte Beschäftigungen, erklärt sie. Die einzige Gefahr bestehe bei zwischenzeitlich in Deutschland erbrachten Dienstleistungen, wobei das Recht des Herkunftslandes gelte. Hier erlaube das Europarecht aber ausdrückliche „allgemeinverbindliche Regelungen für Mindeststandards“, wobei der deutsche Gesetzgeber etwa mit branchenspezifischen Mindestlöhnen oder dem Entsendegesetz durchaus reagiert habe. Zwar gebe es wie überall ein Durchsetzungsproblem, die Schwarzarbeiter hätten sich allerdings durch die alten Vorbehalte auch nicht abhalten lassen, so Kocher.

Politische Chancen vertan. Wettbewerb um die schlauen Köpfe.

Die politischen und sozialen Dimensionen werden vor allem am Schluss der Tagung beleuchtet. Der Staatssekretär aus den Arbeitsministerium Brandenburg, Wolfgang Schröder, meint, dass man die Chancen verpasst hat. Deutschland habe viel zu spät auf den Fachkräftemangel reagiert. Auch bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, habe der deutsche Gesetzgeber geschlafen. „Prognosen sind immer schwierig. Aber unsere im Auftrag gegeben Studien malen alle ein nüchternes Bild“, sagt er. Die Migranten würden, wenn überhaupt, in die Ballungsräume nach Stuttgart, München und in das Ruhrgebiet gehen. Polen habe enorm aufgeholt und sich dem deutschen Lohnniveau zunehmen angenähert. Der Unterschied liege nur noch durchschnittlich bei 1 zu 3 und Migrationsentscheidungen würden eben längst nicht nur aufgrund des Geldes getroffen, so Schröder. Man habe längst einen deutsch-polnischen Wettbewerb um die schlauen Köpfe. Der Fachkräftemangel in Brandenburg sei dramatisch. Während England und Schweden die Zeichen erkannt hatten, habe in Deutschland eine alarmistischer bis ignoranter Diskurs stattgefunden. Der Staatssekretär schätzt die Zukunft dennoch positiv ein, etwa durch verstärkte Bildung und einen Ausbau der deutsch-polnischen Beziehungen. Die Gewerkschafter aus dem Publikum sehen das eher kritisch. In der Oderpartnerschaft sei kein Ansatz für eine integrierte deutsch-polnische Arbeitsmarktpolitik zu erkennen, so ein DGB-Vertreter. Auch die aus Warschau angereiste Professorin Krystyna Iglicka sieht den Wettbewerb ebenfalls nicht positiv. „Polen muss sich auch Sorgen machen“, sagt sie.

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