Langfristige Konsequenzen für das deutsch-polnische Verhältnis
In der Nachkriegszeit organisierten sich die Vertriebenen in Landsmannschaften. Diese in Deutschland sowie in Österreich geschaffenen Verbände gruppierten diejenigen, die aus derselben Gegend vertrieben wurden. Im Jahre 1957 wurde der Bund der Vertriebenen als Dachorganisation der meisten deutschen Landsmannschaften geschaffen.
Diese Organisation übte in der Nachkriegszeit einen deutlichen Einfluss auf die deutsche Politik, z.B. mit einer eigenen Partei, der GB/BHE (Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten), die sogar zwei Minister im zweiten Kabinett Adenauers stellte. Nach dieser Periode verlor die Vertriebenenbewegung an Gewicht, unter anderen, weil ihre Forderungen in dem Kontext der Vergangenheitsbewältigung keine wahre Resonanz in der Bevölkerung fanden.
Entzündete Debatte nach dem Fall des eisernen Vorhangs
Nach dem Fall des eisernen Vorhangs stellte sich allerdings erneut die Frage: Wo soll die östliche Grenze des neuen Deutschland festgelegt werden? Der Bundestag hat im Jahre 1990 die Oder-Neiße Grenze bestätigt. Die damals frisch gewählte CDU-Abgeordnete Erika Steinbach hatte für Aufmerksamkeit gesorgt, als sie dagegen stimmte. Seit 1998 ist sie Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, was in der polnischen Öffentlichkeit tiefe Ängste schürt. In diesem Land hat die CDU-Abgeordnete einen sehr schlechten Ruf. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage in Polen ist zu dem überraschenden Ergebnis gekommen, dass Erika Steinbach nach Wladimir Putin als zweitgefährlichste Person für Polen genannt wurde. Damit ist sie in der Vorstellung der meisten polnischen Bürger sogar gefährlicher als der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad.
Manche Beobachter betonen, dass Steinbach innerhalb des Bundes der Vertriebenen eher zu dem gemäßigten Flügel gehört. Nichtsdestotrotz lässt sich die polnische Angst vor Erika Steinbach u.a. darauf zurückführen, dass die von dem Bund der Vertriebenen geschaffene „Preußische Treuhand“ allein im Jahre 2006 22 Einzelbeschwerde an den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht hat, um deutsche Eigentumsansprüche durchzusetzen.
Solche juristische Fälle sind in den Medien intensiv kommentiert und manchmal vereinfacht dargestellt worden, was in Polen die Angst vor dem „Rückkehr der Deutschen“ verstärkt hat. Schließlich zieht dies auch politischen Konsequenzen nach sich: Während der Beitrittsverhandlungen hat Polen eine Übergangsperiode von 12 Jahren, während der Ausländer kein Land in Polen kaufen dürfen, mit Erfolg gefordert.
Zentrum gegen Vertreibung : die Kontroverse
Im Jahre 1990 hat der Bund der Vertriebenen die Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“ gegründet. Zweck dieses Verbands ist, Druck für eine Erinnerungsstätte in Berlin zu machen. Vor allem die Tatsache, dass das Zentrum seinen Sitz in Berlin haben sollte, ist äußerst problematisch. In Polen wird dieses Symbol als einen Versuch betrachtet, die deutsche Geschichte neu zu interpretieren. Es wird befürchtet, dass eine Erleichterung des deutschen Schuldgefühls für neue Eigentumsansprüche den Weg ebnet.
Aus diesem Grund haben die Gegner des Projekts alternative Städte für ein solches Zentrum vorgeschlagen, darunter Breslau oder Sarajewo. Ziel dieser Vorschläge ist, die Problematik der Vertreibung in einer europäischen eher als aus einer deutschen Perspektive darzustellen. Dadurch könnten die Konsequenzen für das deutsch-polnische Verhältnis auch gemildert werden.
Diese ganze Affäre setzt die Bundesregierung unter Druck. Nach wie vor scheint die Bundeskanzlerin an ihrer Unterstützerin Erika Steinbach festzuhalten, obwohl die Opposition sowie der sozial-demokratischen Koalitionspartner ihre Kritik gegen das Projekt eines „Zentrums gegen Vertreibung“ deutlich ausgedrückt haben. Diese Frage ist während der letzten Koalitionsverhandlungen, die sich im Jahre 2005 um mehrere Monate verzögert haben, fast zu einem Stolperstein geworden. Nach gespannten Verhandlungen haben sich die CDU/CSU und die SPD auf einem „sichtbares Zeichen“ in Berlin geeinigt.
Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung : welche Rolle für Steinbach?
Die Gründung einer Stiftung zur Verwaltung dieses etwas schwammigen „Zeichens“ ist auch vorgesehen. Jedoch zieht diese Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ neue Kontroverse nach sich, nicht zuletzt weil das Schreckensbild Steinbach hier wieder auftaucht. Für die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen war nämlich einen Sitz in dem Stiftungsrat geplant.
Darauf hat der polnischen Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, der auch einen Auschwitz-Überleber ist, empört reagiert: Er hat angekündigt, dass Steinbach dafür so gut geeignet wäre wie einen Antisemit für die deutsch-israelischen Diplomatie. Dieser Streit hat das deutsch-polnische Verhältnis erneut geschädigt, und schließlich sollte Steinbach infolgedessen auf ihren Sitz in dem Stiftungsrat verzichten. Der Bund der Vertriebenen hat angekündigt, dass dieser Sitz als Protestsymbol unbesetzt bleiben würde.
Es ist auffällig, dass diese Vertreibung nach 60 Jahren die deutsch-polnische Beziehungen immer noch stark belasten. Dies liegt zum Teil daran, dass die Vergangenheitsbewältigung im Polen anders als in Deutschland stattfand. Fragen wie die Vertreibung der Deutschen rückten nämlich in dem Hintergrund, während der Völkermord das Hauptthema war. Das lässt sich auch gut erklären und rechtfertigen, nur trägt es auch zu der Verschleierung mancher Taten bei. In dieser Hinsicht könnte eine Initiative für eine gemeinsame Vergangenheitsbewältigung interessante Ergebnisse leisten.
Von deutschen Politikern wird immer wieder betont, dass die deutsch-polnische Beziehung ähnlich wie die deutsch-französische gestalten werden sollte. Es ist aber merkwürdig, dass die Vorbereitung von deutsch-polnischen Geschichtsbüchern viel problematischer als die der deutsch-französischen Bücher ist.
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