Die deutschen Bundestagswahlen aus französischer Sicht

Die Karten sind gelegt und stehen auf Status Quo

, von  Charles Nonne, übersetzt von Inga Wachsmann

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Die deutschen Bundestagswahlen aus französischer Sicht
Nicht nur bei der Wiederwahl des Regierungschefs scheiden sich bei deutschen und französischen Wählern die Geister. Foto: © Jürg Stuker: „Bureau de Vote Saint-Gall“, https://www.flickr.com/photos/jstuker/6955317558/. Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Generic: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Am 22. September sind 44 Millionen deutsche Bürger aufgerufen, ihre Repräsentanten im Bundestag zu wählen. Neben der im Ausland wohl bekannten konservativen Partei der Kanzlerin Angela Merkel (CDU-CSU) und der Sozialdemokratischen Partei (SPD), kämpfen die Liberalen (FDP), Grünen und Die Linke um Mandate. Deutschland steht im Zenit seiner wirtschaftlichen Macht, ist selbstsicher und politisch bestimmt. Die Wahlen werden in Frankreich, nebst obligatorischer Berichterstattung über ein demokratisches Ereignis im Nachbarland, als «Nicht-Event» wahrgenommen.

Geringe wirtschaftliche und politische Konsequenzen für Frankreich

Häufig und etwas verkürzt werden die Wahlen in Frankreich als ein weiteres Plebiszit für Angela Merkel dargestellt. Sie sei immer noch beliebt und ihre Wirtschaftspolitik fände bei einer Mehrheit der Deutschen Zuspruch.

Schaut man sich die Wirtschaftspolitik der Wahlprogramme der potenziellen Regierungsparteien an, wird es für Frankreich kaum einen Unterschied machen, wenn die Sozialdemokraten die Wahlen für sich entscheiden sollten. In einem Land, wo wichtige Reformen Konsens zwischen den Parteien sind, haben Wahlen selbst für den wichtigsten Wirtschaftspartner eine geringe Tragweite. Wie auch die Wahl ausgeht, die strenge Budgetpolitik wird sehr wahrscheinlich weitergeführt werden. Der deutsche Arbeitsmarkt, der in Frankreich viele Träumereien hervorruft, wird durch eine mögliche sozialdemokratische Regierung sicher nicht angetastet. Die Annäherungen zwischen der Parti socialiste in Frankreich und der SPD dürften keine Kehrtwende in der europäischen Arbeits- und Wirtschaftspolitik erreichen.

Auch die diplomatischen und kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern würden sich aufgrund der stabilen und von der Tagespolitik relativ unabhängigen Institutionen (Diplomatie, bilaterale und multilaterale Programme) nicht ändern.

Französische Medien interessieren sich kaum für die Kampagne

Wenige Wochen vor der Wahl beginnen sich die französischen Medien dafür zu interessieren. Die Fernsehdebatte zwischen den beiden Kontrahenten wurden in Frankreich ausgiebig kommentiert. Allerdings gibt es kaum Informationen über die Wahlprogramme der Parteien. Medien, Blogs und andere Informationskanäle interessieren sich mehr für nette Geschichten als für inhaltliche Debatten.

Frankreich bleibt in seinem politischen rechts-links-Denken verhaftet. Jegliche Analysen widmen sich ausschließlich den Christdemokraten und Sozialdemokraten, nicht aber weiteren Parteien wie den Liberalen (FDP) oder der Linken.

Folglich findet sich die Wahlkampagne in den französischen Medien nur sehr allgemein wieder. Eine schläfrige Veranstaltung im Vergleich zur Passion, die eine französische Präsidentschaftswahl oder auch die Kommunalwahlen in Frankreich auslösen.

Eine für Frankreich vollkommen untypische Kampagne

Der frontale und lebhafte Zweikampf von Vorstellungen und Argumenten der beiden Kandidaten der Rechten und der Linken hat bei der französischen Präsidentschaftswahl Tradition. Trotz Wahlumfragen gibt es erst wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang klare Tendenzen und die französische Politik hat in den letzten 30 Jahren häufig große Überraschungen erlebt.

In Deutschland gibt es diese Spannung nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei von Frau Merkel eine Mehrheit im Bundestag bekommen wird und weiterhin als Kanzlerin regieren kann, war nie größer als heute. Selbst die noch mehr als offene Koalitionsfrage zwischen der CDU/CSU unter Angela Merkel und anderen Parteien bringt keine Begeisterung und Spannung.

Unterschiede gibt es auch was den scheidenden Kandidaten angeht. Der französische Wähler hat selten Lust, seinen Präsidenten wieder zu wählen. Er ist häufig unbeliebt und wird mit nicht umgesetzten Reformen in Verbindung gebracht. Die Wahlstrategie setzt damit wohl kaum auf ein „Mich kennen Sie“, wie es Angela Merkel ihrem Kontrahenten Peer Steinbrück gegenüber tut. Die Deutschen verbinden mit der Kanzlerin allgemein ein recht positives Gefühl.

Die Wahlkampagne dieses Jahr wird klar von einer einzigen Persönlichkeit dominiert: Angela Merkel. Anders als in Frankreich wird gegen die amtierende Bundeskanzlerin, die in der Öffentlichkeit für ihre Verlässlichkeit beliebt ist, kaum gewettert und attackiert. Ihr sozialdemokratischer Gegner schafft es nicht, sich gegen dieses politische Schwergewicht durchzusetzen. Steinbrück steht in Beliebtheitsumfragen 30 Punkte hinter der Kanzlerin. In Frankreich liegen die Wahlabsichten für die beiden Kandidaten meist sehr nah beieinander.

Die wichtigen Themen der Kampagnen sind ebenfalls andere als in französischen Wahlkämpfen. In beiden Ländern stehen Wirtschaftsfragen im Mittelpunkt. In Deutschland ist die Debatte jedoch viel stärker international geprägt, insbesondere was die Position zur Eurozone angeht. Die Spitzenkandidaten müssen sich zu potenziellen weiteren Hilfspaketen für Griechenland äußern. In Frankreich sind außenpolitische Themen meist die Waisen des Wahlkampfs.

Schaut man sich die Wahlkampagne jenseits des Rheins an, werden große kulturelle Unterschiede bei den Wahltraditionen in Europa deutlich. Sollten wir wirklich europäische Wahlen bekommen und sollten Kandidaten unterschiedlicher Herkunft miteinander arbeiten und gemeinsam Wahlkampf machen, müssen wir diese Unterschiede beachten.

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