Die polnische Ratspräsidentschaft und ihre großen Ziele

, von  Fabian Fechner

Die polnische Ratspräsidentschaft und ihre großen Ziele
Der polnische Präsident Donald Tusk eröffnete die Ratspräsidentschaft am 1. Juli in Warschau © European Union, 2011

Am 1. Juli hat Polen die Ratspräsidentschaft in der EU übernommen. Es ist nach Slowenien, Tschechien und Ungarn der vierte osteuropäische Staat, der den rotierenden Vorsitz innehat. Zusammen mit Dänemark und Zypern startet Polen außerdem auch in eine neue Periode der Trio-Präsidentschaft. Zwar übernimmt mit Polen ein sehr europabegeistertes und wirtschaftlich erfolgreichesLand den Vorsitz, das auf Solidarität statt Nationalismus setzt. Doch die Eurokrise und zunehmenden EU-Skepsis stellen die Präsidentschaft vor einigen Herausforderungen.

Zum ersten Mal seit dem Beitritt im Jahre 2004 übernimmt mit Polen der größte Mitgliedsstaat der Osterweiterung die Führung des Rates der Europäischen Union. Wie scheinbar alles in dieser Zeit steht auch diese Präsidentschaft und ihre konzeptionelle Ausrichtung im Zeichen der Eurokrise und der Suche nach Auswegen.

So trägt einer der drei inhaltlichen Grundpfeiler des polnischen Programms den Titel „Europäische Integration als Quelle des Wachstums“. Man möchte im nächsten halben Jahr den Binnenmarkt weiterentwickeln, um sein Wachstumspotential besser auszunutzen.

Den Binnenmarkt nutzen

Einen Schwerpunkt legt die polnische Präsidentschaft dabei auf die Beseitigung des fortwährenden Mangels an Transparenz und einen Ausbau des Marktes für elektronische und digitale Dienstleistungen, wobei rechtliche Hürden für grenzübergreifende Online-Transaktionen beseitigt werden sollen. Zur Vereinfachung solcher Geschäfte möchte die Präsidentschaft die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Vertragsrechtes, des sogenannten „28. Regimes“ forcieren, das seit längerem diskutiert wird, aber nach wie vor sehr umstritten ist.

Darüber hinaus soll der Zugang zu Kapital für kleine und mittlere Unternehmen, gestärkt werden, da diese 60 Prozent des BIP und 70 Prozent der Arbeitsplätze in der EU ausmachen und auch in Polen das Rückgrat der nationalen Wirtschaft bilden.

Die polnische Ratspräsidentschaft fällt außerdem in eine Phase bedeutender Neuordnungen im Bereich der Verteilung finanzieller Mittel, für die man als vorsitzendes Mitgliedsland auf Grund ihrer Brisanz nicht unbedingt dankbar sein muss. Im Zuge der kürzlich durch den Vorschlag der Kommission eingeleiteten Diskussion über den mittelfristigen Finanzrahmen für 2014 bis 2020 strebt Polen vor allem an, die Bedeutung der Kohäsionspolitik als Schlüssel der Integration und Harmonisierung zu erhalten.

Außerdem möchte die Ratspräsidentschaft die Diskussion über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, welche für das Jahr 2013 angestrebt wird, intensivieren, um diese dauerhaft zu modernisieren und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirte zu sichern. Da von polnischer Seite an den umstrittenen Direktzahlungen festgehalten wird, bahnen sich hier in Zusammenhang mit der klammen Haushaltssituation intensive Diskussionen mit den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament an.

Europa absichern

Dieses Bestreben schließt direkt an den zweiten Pfeiler des strategischen Programms für die zweite Jahreshälfte an, der den Titel „Sicheres Europa“ trägt. Neben der Sicherung der Lebensmittelversorgung durch eine konkurrenzfähige Landwirtschaft, geht es hier auch um die Gewährleistung der Energieversorgung in der EU. Nach den Veränderungen und Turbulenzen durch das Reaktorunglück in Fukushima möchte man die Position der EU gegenüber ausländischen Energielieferanten stärken, was schon angesichts der Zerstrittenheit innerhalb der Union über die zukünftige Energiestrategie ein ambitioniertes Ziel darstellt.

Mit dem Blick auf die polnische Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland ergibt sich aber schnell, warum dieser Punkt weit oben auf der Tagesordnung steht. Außerdem strebt die polnische Ratspräsidentschaft an, die Reform von Frontex endgültig abzuschließen, um der Agentur mehr Handlungsfähigkeit in Krisensituationen zu verleihen.

Die Nachbarschaft pflegen

Daran schließt sich auch der letzte Themenbereich der Präsidentschaft an, in dem ein offeneres Europa angestrebt wird. In Bezug auf die Erweiterungspolitik hat Polen sich das Ziel gesetzt, die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien bis Jahresende abzuschließen und auch die Bestrebungen von Island, der Türkei und den Balkanstaaten werden von Polen unterstützt und sollen weiter vorangetrieben werden. Ein tatsächliches Ergebnis weiterer Verhandlungen ist aber in so kurzer Zeit nicht zu erwarten.

Des Weiteren strebt Polen erwartungsgemäß an, die östlichen Nachbarschaftsbeziehungen zu intensivieren. Vor allem bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ukraine und Moldawien sollen substanzielle Fortschritte gemacht werden und auch die Kooperation mit Russland soll in einen neuen Rahmen gefasst werden. Da der strategische Plan aber im Zuge der Trio-Präsidentschaft auf 18 Monate ausgelegt ist, in denen neben Dänemark auch Zypern die Ratspräsidentschaft übernehmen wird, soll auch die südliche Nachbarschaftspolitik weiterentwickelt werden. Gemeinsam möchte man durch engere Partnerschaften den Demokratieprozess in Nordafrika unterstützen, um beim Aufbau moderner Staaten mitzuwirken.

Bewertung

Alles in allem klingt das nach einem überaus ambitionierten Plan mit einer Reihe von Zielen, die sicherlich nicht alle in sechs Monaten erreicht werden können, wobei auch viel davon abhängt ob die Regierung von Donald Tusk im Oktober wiedergewählt wird oder nicht. Diese Unsicherheit erschwert die Umsetzung der polnischen Pläne ebenso wie die Tatsache, dass sich die Situation an den Finanzmärkten im nächsten halben Jahr wohl kaum beruhigen wird. Hinzu kommt, dass sich diese Präsidentschaft, ähnlich wie ihre Vorgänger, mit vielen Problemen und Themen beschäftigen werden muss, die bis jetzt noch gar nicht auf der Agenda stehen.

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