Alle sind sich einig. Die Regierungen der EU (außer einer, raten Sie welche) haben die Notwendigkeit einer Reform, mit der die EU wieder auf Kurs gebracht werden kann, erkannt. Sie sollten sich nun auf einen Zeitplan einigen und zwar bis zur Europawahl 2014. Die Krise die Europa seit 2008 beschäftigt ist Konsens und die Presse berichtet ausführlich und wie selbstverständlich darüber. Aber das Wie und Warum einer Reform bleibt unklar.
Neben substantiellen technischen Änderungen der Finanz-, Bank- und Budgetmechanismen und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus der gerade in der Ratifizierungsphase ist, gibt es für die eigentliche Reform (die von Angela Merkel als „politische Union“ bezeichnet wird) keinen Vorschlag oder offizielle und öffentliche Diskussionen. Jeder weiß jedoch genau worum es geht und der Katalog der wichtigen Themen die es zu diskutieren gibt, ist leicht erstellt:
– den Grundsätzen und Instrumenten der Finanzsolidarität zwischen den Mitgliedstaaten, des Budgetrechts und der gemeinsamen Beschlussfassung bei großen wirtschaftspolitischen Entscheidungen eine verfassungsmäßige Grundlage geben;
– der Union ein eigenständiges Budget geben, dass binnen zehn Jahren 5% des BNP der EU erreicht, damit die Politik der EU ausreichend finanziert ist;
– die Funktionsweise der EU demokratisieren und stärken, damit eine Legislative mit zwei Kammern entsteht (Volks- und Staatenvertretung) sowie eine wahre exekutive (die Kommission) die aus den Wahlen zum Europäischen Parlament hervorgeht und von diesem kontrolliert wird.
Außer diesen uns von der Krise auferlegten Themen sollten die Protagonisten der „politischen“ Reform weitere Fragen diskutieren, die für eine gut funktionierende EU ebenfalls essentiell sind:
– der Einstimmigkeit ein Ende bereiten, d.h. das Veto jedes einzelnen der 27 Mitgliedstaaten abschaffen, das für die wichtigen Entscheidungen der EU u.a. die Vertragsänderungen heute noch gilt;
– die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU auf eine neue, föderale Grundlage stellen, damit die heutigen chronischen Blockaden aufgelöst werden;
– eine Strategie für den Erweiterungsprozess erstellen, die der Funktionsweise und den Entwicklungen der EU entspricht und in der Zwischenzeit jeglichen Beitritt zur EU auf Eis legen;
– Instrumente für eine Differenzierung bei der Umsetzung gemeinsamer Politik in den einzelnen Mitgliedstaaten schaffen, die der Anzahl der Mitgliedstaaten sowie deren Vielfalt gerecht werden;
die Reform kann nach drei verschiedenen Methoden ablaufen: eine klassische Reform der Verträge, ein Revival des Verfassungsvertrags oder eine wahre europäische Verfassung.
In allen drei Fällen muss die Reform von einem Konvent vorbereitet werden, in dem Vertreter des Europäischen Parlaments, der nationalen Parlamente, der Regierungen und der Kommission vertreten sind. Der Konvent muss von Haus aus Entscheidungen treffen und mit der Methode des Konsens, nicht über formale Abstimmung, zu einem Projekt kommen. Der verabschiedete Text sollte zunächst den Regierungen, dann der Bevölkerung oder den Volksvertretern zur Verabschiedung vorgelegt werden.
Je nach dem wie weitreichend die Reform aussieht sollte die Ratifizierung durch ein europaweites Referendum geschehen, das in allen Mitgliedstaaten parallel organisiert würde. Die Vertragsänderung, der Verfassungsvertrag oder die europäische Verfassung würden in Kraft treten sobald 4/5 der Mitgliedstaaten – d.h. 20 von 28 – ihn/sie ratifiziert haben. Die Staaten, welche die Reform vorübergehend oder dauerhaft ablehnen, können mit der EU neue Beziehungen aushandeln.
Es handelt sich offensichtlich um eine föderale Reform die ich vorschlage.
Dies wird übrigens von einer zunehmenden Zahl von Beobachtern so gesehen. Einen Ausweg aus der Krise in der Europa jeden Tag mehr versinkt, sehen sie allein in einem föderalen Sprung nach vorne. Die politischen Verantwortlichen sind vorsichtig in ihren Formulierungen. Selbst Frau Merkel wiegt ihre Worte aufs feinste ab, um diese Reformen Stück für Stück umzusetzen.
Brüssel steht in den Meinungsumfragen in schlechtem Licht. Den europäischen Entscheidungsträgern wird ein großer Teil jener Verantwortung für den Ausbruch und das schlechte Management der Krise zugeschoben. Die Bürger davon zu überzeugen, dass der Weg aus der Krise über mehr Einheit und Solidarität zwischen den Staaten geht und nicht über einen protektionistischen Rückzug ins Nationale, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die die Entscheidungsträger heute bewältigen müssen. Es ist nicht sicher, dass sie alle bereit sind das Risiko einzugehen.
Jeder sollte eine öffentliche Debatte über die möglichen Reformen für wünschenswert erachten. Die beste Möglichkeit dafür, ist der nächste demokratische Meilenstein auf europäischer Ebene, die Europawahlen und die Neubestimmung der Europäischen Kommission im Jahr 2014. Aber um eine Debatte anzustoßen, muss die Kommission, das Parlament oder eine Regierung eine Diskussionsgrundlage schaffen.
Mangels dieser Diskussionsgrundlage können die Brüsseler Experten und/oder Verantwortlichen zündeln. Der Prozess muss also schnell angestoßen werden, damit wir die Gelegenheit 2014 nicht verpassen. Das Schicksal des europäischen Projekts steht auf dem Spiel und mit ihm die Zukunft der kommenden Generationen junger Europäer.
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