Europa auf die Schiene!

Warum der Schienenverkehr ausgebaut werden sollte und warum dies nicht geschieht.

, von  Christoph Sebald

Europa auf die Schiene!
101 057-8 mit EC in Aßling auf dem Weg zum Brenner Foto: Rayk Hentsch (mit freundlicher Genehmigung)

Verkehr – die Mutter des Binnenmarktes

Verkehr ist die Grundlage des EU-Binnenmarktes. „Mobilität von Gütern und Personen prägt die Lebensqualität der Bürger“, so die Kommission in ihrem 2011 erschienenen Weißbuch „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsplan“. Doch Verkehr sorgt nicht nur für wirtschaftliches Wachstum. Er schädigt auch die Umwelt und muss daher nachhaltiger gestaltet werden. Einerseits gilt es, den angestrebten Verkehrsbinnenraum an den Treibhausgaszielen der EU auszurichten, andererseits besteht ein erhebliches strategisches Interesse, sich von zunehmend teuren und unsicheren Ölimporten unabhängig zu machen.

Der europäische Güter- und Personenverkehr deckt bis zum heutigen Tag 96% seines Energiebedarfs mit Öl oder Ölerzeugnissen. Die Abhängigkeit von Ölimporten ist schlicht immens. Besonders Straßen- und Luftverkehr sind überlastet und die Verkehrsinfrastruktur zwischen östlichen und westlichen EU Mitgliedstaaten noch nicht hinreichend verbunden. Diesen Herausforderungen versucht die EU vor allem durch die Koordination nationaler Projekte sowie durch die Strukturfonds zu begegnen.

Der einheitliche europäische Verkehrsplan

In ihrem Weißbuch strebt die EU Kommission Verkehrswachstum an. Das Ziel ist ein dichtes Netz im Güter- und Personenverkehr zwischen Städten. Gleichzeitig will sie den verkehrsbedingten CO2 Ausstoß bis 2050 um 60% gegenüber 1990 senken. Dies soll durch gesteigerte Energieeffizienz der Verkehrsträger, die Verlagerung von Verkehr auf Schiff und Schiene sowie einer EU-weiten Koordination der Verkehrspolitik erfolgen. Vorrangig soll in das Schienennetz sowie Häfen und deren Anbindung an das Hinterland investiert werden.

Zentraler Binnenverkehrsträger ist dabei die Bahn. Bis 2030 sollen 30 Prozent, bis 2050 sogar 50 Prozent des Straßengüterverkehrs über 300 Km auf Bahn und Schiff verlagert werden. Weiterhin soll bis 2030 das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz verdreifacht werden und bis 2050 schließlich vollendet sein. Somit soll bis 2050 der Großteil der Personenbeförderung auf die Schiene entfallen. Neben einem einheitlichen europäischen Luftraum soll dann auch ein einheitlicher europäischer Schienenverkehrsraum geschaffen werden.

Die zur Umsetzung der Verkehrsstrategie nötigen Mittel sollen durch die Strukturfonds bereitgestellt werden. Daneben fördert die Europäische Investitionsbank (EIB) gezielt den Ausbau des Europäischen Zugleitsystems (ERTMS), das den grenzüberschreitenden Verkehr erleichtern soll. Klimaschutzziele und Nachhaltigkeit im Verkehr unterstützt sie durch Kredite, Investitionen und Beratung bei der Modernisierung der Netzinfrastruktur oder des Fuhrparks. Die EIB lanciert außerdem den Ausbau des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes und komplementiert somit die Bestrebungen der Kommission hinsichtlich des Verkehrsbinnenraums.

Die europäische Verkehrslage

Großen Absichten stehen jedoch nicht minder große Herausforderungen gegenüber. Dies wird bereits beim europäischen Güterverkehrsaufkommen ersichtlich. Die relative Bedeutung des Straßengüterverkehrs, gemessen als Anteil am gesamten Güterbinnenverkehr, nahm von 2000 bis 2009 gegenüber Bahn und Binnenschifffahrt EU-weit um 3,8 Prozent zu. Das Gesamtaufkommen des Güterbinnenverkehrs auf der Straße lag dabei um etwas mehr als das Vierfache über dem des Eisenbahngüterverkehrs (16,5 %), der Rest (5,9 %) des Güterverkehrsaufkommens in der EU-27 (2009) wurde auf den Binnenwasserstraßen befördert [1]. Selbst in Relation zum BIP ist das Güterverkehrsvolumen auf der Schiene in der EU zwischen 1995 und 2010 um durchschnittlich 2 Prozent gesunken [2]. Per Luftfracht wurden 2009 über 14 Millionen Tonnen befördert, was in etwa dem Transportvolumen der Binnenschifffahrt entspricht.

Noch unerfreulicher sieht es bezüglich des EU-weiten Personenverkehrs aus. Während die Fahrgastkilometer im Schienenverkehr zwischen 2004 und 2010 um etwa 5,5 % stiegen [3], wuchs das Fluggastaufkommen in der EU zwischen 2004 und 2009/10 um 53,8 % von 676 Millionen auf über 1,4 Milliarden beförderte Passagiere pro Jahr an [4]. In der EU stieg die Anzahl der Personenkraftwagen von 2004 bis 2009 um 6,1 % [5]. Diese Trends laufen den Plänen der Kommission klar zuwider.

Besonders der enorme Passagierzuwachs im Personenluftverkehr ist kritisch. Hierbei ist pikant, dass dies nicht zuletzt einer Steuerbefreiung des Flugzeugtreibstoffes geschuldet ist [6]. Diese geht auf das Chicagoer Abkommen von 1944 zurück, welches damals die kommerzielle zivile Luftfahrt fördern sollte. Der Zweck dieses Abkommens ist heute längst hinfällig. In ihrer Energierichtlinie von 2003 räumt die EU deshalb auch allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, den nationalen Flugverkehr zu besteuern. Jedoch scheiterte die Kommission 2010 mit einem Vorstoß zur EU-weiten Besteuerung von Kerosin am entschiedenen Widerstand von EU-Mitgliedstaaten mit starkem Tourismus.

Europäischer Bahnverkehr

Zwar kommt man mit TGV und ICE mittlerweile bequem von Paris nach München, doch verhindern nationale Egoismen und mangelnde Koordination noch immer die Ausweitung des transnationalen Schienenverkehrs. So verläuft der Ausbau eines einheitlichen Europäischen Zugsicherungssystems (ERTMS) aufgrund widerstrebender nationaler Bahngesellschaften noch immer schleppend. Diese fürchten den Wettbewerb auf dem eigenen Streckennetz. Nur in wenigen Mitgliedstaaten existieren unabhängige Netzagenturen und so gelingt es nationalen Bahnen immer wieder, etwa durch überteuerte Nutzungsentgelte, konkurrierende Unternehmen zu verdrängen [7].

Ein Hindernis für den Schienenfernverkehr sind außerdem nationale Tarif- und Fahrplansysteme, die transnationale Zugreisen erschweren. Seit 2011 versucht die EU diese zu harmonisieren und einen europäischen Reiseplaner einzurichten. Weitere Probleme sind, dass der Ausbau transnationaler Trassen nur schleppend voran geht, transnationale Verbindungen, insbesondere transnationale Nachtzugverbindungen, sogar aufgrund mangelnder Rentabilität eingestellt werden und die Tickets in manchen Ländern überteuert sind.

Abschließende Überlegungen

Kritische Stimmen attestieren der Kommission, ihre Ziele unrealistisch hoch angesetzt zu haben. Mit den gegenwärtigen Mitteln allerdings rückt der gemeinsame Verkehrsbinnenmarkt tatsächlich in weite Ferne. Angesichts der anstehenden Herausforderungen erscheint die Debatte um die Reduzierung des EU-Budgets dramatisch. Gerade in den neuen Mitgliedstaaten in Mittelost-Europa sind massive Investitionen in Schienennetz, Fuhrpark, aber auch regenerative Energiegewinnung nötig. Ohne zusätzliche Fördermittel aus den Strukturfonds ist ein Ausbau des transnationales Netzes in diesen Ländern sehr unwahrscheinlich.

Von entscheidender Bedeutung wird außerdem sein, in wieweit es der Kommission gelingt, die nationalen Verkehrs- und Umweltpolitiken zu koordinieren und ihr verkehrspolitisches Konzept durchzusetzen. So wäre etwa eine EU-weite Besteuerung von Kerosin überfällig und auch die steuerliche Mehrbelastung des Straßenverkehrs ist geboten. Unabhängige Netzagenturen müssen geschaffen, das europäische Zugsicherungssystem ausgebaut, sowie die Tarif- und Fahrpläne harmonisiert werden, um den transnationalen Bahnverkehr zu gewährleisten. Nationale Strecken sollten dabei weiterhin durch nationale Anbieter bedient werden und nur transnationale Verbindungen EU-weit ausgeschrieben werden.

Denn nicht Wettbewerb ist das Schlüsselkonzept für die Schiene, sondern eine kluge und zweckdienliche Politik der öffentlichen Hand. Ziel des Bahnverkehrs muss es sein, Personen und Güter günstig und zügig zu befördern sowie den Binnenmarkt, unter Rücksichtnahme auf die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit, zu seiner vollen Entfaltung zu bringen. Ohne gezielte Steuer- und Subventionspolitik wird das kaum zu machen sein. Klar ist schließlich auch: ohne einen massiven Ausbau regenerativer Energien sowie der Elektrifizierung der Verkehrsträger wird der Verkehrsbinnenmarkt, Bahn hin oder her, die Klimaschutzziele der Kommission verfehlen.

Dieser Artikel erschien im neuen gedruckten Treffpunkt Europa->http://www.jef.de/magazin/], Mitgliedermagazin der JEF-Deutschland. Die aktuelle Ausgabe widmet sich der Bedeutung von Mobilität für Europa und ist als kostenloser Download erhältlich.

Anmerkungen

[1Güterflugverkehr ist in dieser Statistik nicht enthalten.

[4http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=tran_r_avpa_nm&lang=de, (08.11.2012), Anm. für 2010 lagen leider noch nicht in allen Ländern Zahlen vor, weshalb teilweise die verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2009 verwendet wurden. Da 2010 in allen Ländern in denen Daten verfügbar waren, ein Anstieg gegenüber 2009 zu erkennen ist, kann man davon ausgehen, dass die tatsächliche Wachstumsrate noch etwas höher, also etwa bei 55 – 57% liegen dürfte. Der Personenluftverkehr wuchs zwischen 2004 und 2010 also etwa 10-mal schneller als der Personenverkehr auf der Schiene.

[6Eine Ausnahme bilden die Niederlande. In Deutschland und Österreich existiert seit 2011 eine Luftverkehrssteuer für Inlandsflüge (http://www.bund.net/themen_und_projekte/verkehr/luftverkehr/besteuerung/

Ihr Kommentar
  • Am 16. November 2012 um 14:55, von  Jakob Als Antwort Europa auf die Schiene!

    Gerade die Zugewinne des Flugtransports (sowohl Güter als auch Personen) finde ich erschreckend! Ich kann durchaus die Motive tourismusgeprägter Mitgliedstaaten nachvollziehen (ohne sie zu teilen), wenn sie eine europaweite Kerosin-Besteuerung verhindern wollen. Dem liegt aber einmal mehr das alte Problem zugrunde: Hier zeigen sich die Grenzen intergouvernementaler Handlungsstrukturen!

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