Föderalismus: Vom Bedürfniss zum Rezept

, von  Åsa Gunvén

Föderalismus: Vom Bedürfniss zum Rezept

Dass Föderalismus ein großartiges und auch ein notwendiges Rezept für Europa ist, wissen wir schon lange. Manchmal kommt es einem allerdings vor, als ob dieses Rezept einfach von oben zu uns gekommen sei, vielleicht vom „heiligem Kochbuch der staatliche Systeme“.

Glücklicherweise gibt es aber plausiblere Gründe für das System des Föderalismus, nämlich die Werte die zu Grunde liegen, um dieses besondere Rezept zu kreieren, um ebendiese Werte durchzusetzen.

So kann auch der Erfolg der europäischen Entwicklung, oder die Einführung von Föderalismus, nur durch die Fortschritte dieser Werte evaluiert werden. So wird auch der Kampf fur ein föderales Europa ein Kampf für diese Werte, deren bekannteste ich hier vorstellen möchte.

Erst kommt Frieden

Meine Oma ist während des letzten Weltkrieges in Deutschland aufgewachsen. Auch wenn sie keine Ahnung von Föderalismus oder Europäischen Integrationsfragen hat, lässt sie ihrer Meinung nicht lange auf sich warten, wenn wir zum Thema internationale Politik kommen – „Das einzige was zählt, ist dass wir die Grenzen abschaffen“, insistiert sie, „dass die Völker der Welt sich nähern, dass sie sich respektieren und in Frieden leben.“ So ist sie auch, ohne es zu wissen, eine überzeugte Föderalistin!

Föderalismus steht fest auf einem idealistischen Weltbild das sich an einem grenzenlosen und friedlichen Zusammenleben Europas, oder gar der Welt, orientiert. Es ist also nicht schwer zu verstehen, dass der Föderalismus gerade durch den Zweiten Weltkrieg, wie eine Friedensbewegung, stark angewachsen ist. Wenn Länder durch Integration von einander abhängig werden, verschwinden damit alle Gründe Krieg zu führen; denn Jedes Land, das ein anderes angreift, schadet sich damit letztes Endes selbst.

Die gegenseitige Abhängigkeit von Staaten wird gemäss dieser Theorie ein positiver Akt der staatlichen Gesellschaft. Das steht in starkem Gegensatz zu der traditionellen realpolitischen Doktrin von einer kompromisslosen Unabhängigkeit der Staaten. Und was sollte besser den Erfolg dieser föderalistischen Friedenstrategie zeigen, als die europäischen Integration?

Das Bedürfnis eines Rechtsstaates – und zwar auf jeder Ebene

In Bezug auf Krieg, stellt sich die Frage: „Welches sind die Rechte jedes Einselnen, und gibt es so etwas wie ein staatliches Monopolrecht in Bezug auf Souveränität – dieses auch den Individuen gegenüber?“

Der Föderalismus gründet sich auf einem Rechtsstaatsdenken und dem kompromisslosen Respekt der Menschenrechte. Innerhalb eines Staates muss den Individuen und der Gesellschaft durch „division of power“, ein Verfassungsschutz auf Freiheiten und Grundrechten gegenüber den Machthabern gewähleistet sein. Die „Kopenhagen-Kriterien“, die die Kandidatenstaaten der EU erfüllen müssen, um Mitglieder zu werden, fördert genau wie der Föderalismus dieses Model.

Damit wird auch klar, warum eine Verfassung so unglaublich wichtig für die Föderalisten ist – sei es auf staatlicher oder auf europäischer Ebene. Nur eine Verfassung die über dem Rechtssystem und den Machthabern steht, schafft es, die Menschenrechte zu garantieren und die Machthaber zu kontrollieren.

Es gibt zwei Probleme der Durchsetzung dieses Rechtsstaatsideales des Föderalismus. Zunächst ist die Etablierung und die Implementierung dieses Rechtsstaates nur vom „good-will“ der Machthaber abhängig. Das andere Problem ist, dass wenn wir in einer globalisierten Welt leben, sind nicht alle Beschlüsse, die die Gesellschaft und die Individuen beeinflussen, auf staatlicher Ebene gefasst sind. Dann bedarf es auch eine Kontrolle, die weiter als die staatlichen Grenzen geht.

Die föderalistische Lösung dieser Probleme ist jedoch einfach: Das Rechtsstaatsideal kann nicht an den Grenzen enden, eher muss dieses Ideal auf eine überstaatliche Ebene, sowie auf einer nationalen Ebene, gehoben werden. Nur so kann auch das internationale Recht, von „the law of sea“ bis zu „Verbrechen gegen die Menschenwürde“, legitim und handlungsfähig sein.

Das Rechtsstaatsideal kann nicht an den Grenzen enden, eher muss dieses Ideal auf eine überstaatliche Ebene, sowie auf einer nationalen Ebene, gehoben werden.

Noch wichtiger aber - nur mit dem uberstaatlichen verfassungsmäßigen Schutz der Menschenrechte, kann das Rechtsstaatsideal auf nationaler Ebene geschützt werden - selbst wo das „good will“ der Regierung fehlt. Die realpolitische Staatssouveränität ist gegen eine individuelle Souveränität ausgetauscht, wenn z.B. das Vetorecht abgeschafft und die zwangsmäßige Durchführung des Völkerrechts ermöglicht ist.

Das Interessante ist aber, dass diese Idee nicht gegen die Interessen der Staaten geht, sobald es ein effizientes internationales System schafft. Gerade deswegen haben ja die europäischen Staaten selbst einen Teil ihrer Souveränität an die überstaatlichen EU freiwillig abgegeben.

Die Abschaffung des Vetotrechts, die Überordnung von Europarecht und eine rechtliche Instanz für die Durchführung hat gezeigt, wie es möglich ist, einen überstaatlichen Rechtssaat aufzubauen. Auf Weltebene sind wir aber immer noch weit davon entfernt, dieses föderale Ideal durchzusetzen, auch wenn so etwas wie „The International Criminal Court“ ein Fortschritt in diese Richtung ist.

Eine Gesellschaft auf Pluralismus respekt. Toleranz zu bauen

Ein Universitätslehrer in International Security hat mich, als das totale Kaos innerhalb des Iraks anfing, gefragt, ob JEF nicht eine Sektion dort aufbauen könnte! Unsere Versicherung ist nicht ausreichend, aber abgesehen davon hatte er Recht, darauf hinzuweisen, wie der Föderalismus es schafft, potentielle Konflikte innerhalb einer Gesellschaft zu moderieren. Key-Values: Pluralismus und Toleranz. Die Welt, Europa und unsere lokale Gesellschaften sind durch verschiedene ethnische, kulturelle, politische, religiöse, sprachliche und viele andere Gruppen aufgeteilt, oder eher vereint!

Auch wenn man Staaten unendlich teilen könnte, müssten wir immer noch mit dieser Pluralität umgehen, um Frieden und Stabilität innerhalb unserer Gesellschaft zu erreichen. Pluralismus ist aber nicht nur ein Problem, womit man umgehen muss, es ist auch ein positiver Aspekt unsere Gesellschaft, etwas das uns bereichert und entwickelt. Ein kulturreiches Land ist nicht durch die Abwesenheit, sondern vielmehr durch die Anwesenheit von kultureller, sprachlicher, historischer, musikalischer Vielfalt zu definieren.

Pluralistische Aspekte unserer Gesellschaften sollten also eher ermuntert und gefördert, statt durch eine Harmonisierung abgeschafft werden! Ein föderales System schafft dieses durch die Teilung der Macht auf teils regionalen, nationalen und internationalen Ebenen, gemäß dem Prinzip von Subsidiarität, bzw. Dezentralisierung. „In Vielfalt vereint“ wird so das Motto eines föderalen Systems, etwas das die EU schon erkannt hat. Dieses Modell schafft es, dass regionale oder kulturelle Identitäten nicht in Konflikt mit einem gemeinsamen Vorranschreiten stehen.

Auf diese weise wird auch langsam eine multiple Identität aufgebaut, die das Zusammenleben ermöglicht. Eine multiple Identität als Schotte und Britte wäre sogar möglich – warum dann nicht eine multiple Identität als Kurde und Iraker? So könnte es auch möglich sein, die praktische Eigenschaft der englischen Sprache zu benutzen und gleichzeitig die schottische Minoritätssprache Galic weiterleben zu lassen. So wurde, dank dem Föderalismus eine Gesellschaft aufgebaut die sich auf Toleranz und Pluralismus gründet. Diese Eigenschaften ermöglichen nicht nur das friedensvolle Zusammenleben, sie wären auch hilfsreich in Bezug auf andere Probleme der Gesellschaft.

Demokratie ist nicht nur eine staatliches Konzept

Demokratie ist vielleicht teilweise, genau wie Föderalismus, eine Methode um Werte einzusetzen. Dass jeder ein Recht zu Mitbestimmung hat, dass jede Stimme gleich zählt, dass Transparenz eine Verantwortung der Machthaber garantiert, und weiter, dass das Volk die Möglichkeit hat, den Machthaber zu wählen oder abzuwählen, sind alles Teile des Konzeptes der Demokratie.

Die Demokratie ist nicht nur relevant innerhalb von Staaten, eher aber überhaupt wo Beschlusse gefasst werden. Wenn es sich z.B. um europäische Budgetfragen, über internationale Handelspolitik oder die Irak-Invasion handelt - das Organ, das den Beschluss fasst, sollte demokratisch gewählt sein, auch wenn es, wie die EU, WTO oder FN, überstaatlich ist!

Nur so schafft man die Transparenz, die Verantwortung und die Legitimität des politischen Systems. Demokratie bleibt aber, eigentlich ohne irgendwelche Motivation, ein System, das man nur innerhalb von Staaten benutzt. Nationale Souveränität, Machtbalance, oder manchmal Effizienz, bleibt immer noch der Grund des internationalen Systems.

Kurzsichtige, egoistische, nationalstaatlichen Interessen bekommen Priorität über der gemeinsamen Handlungsfähigkeit durch den Gebrauch eines Veto.

Anfangs ganz, und teilweise immer noch, hat sich die EU auf eine Output-Legitimität gegründet. Hier legitimieren die konkreten Resultate der EU-Institutionen den vorgehenden Beschluss, und so wird auch die effiziente Europäische Kommission legitim sein –auch wenn sie nicht gewählt ist. Aber wo bleibt diese Legitimität wenn Menschen, wie heute, keinen deutlichen out-put sehen?

Schafft man dann die demokratische Legitimität durch die Macht der Regierungen des Rates, oder durch Institutionen wie dem „Security Council“, wo jedes Land ein Recht zum Veto hat? Hier gibt es eine Vielfalt von Problemen.

Der Rat repräsentiert nicht wie ein Parlament die ganze Bevölkerung, und weiter wird die Rechenschaft schwierig, wenn die nationalen Regierungen eher für nationale als zu europäische Fragen gewählt sind. Bei dieser „Diplomatie-methode“ bleibt nicht zuletzt die Transparenz und Bürgerfreundlichkeit auf der Strecke.

Schließlich wendet sich jeder Gebrauch des Vetorechts gegen das demokratische Mitbestimmungskonzept, da es einer kleinen Minorität erlaubt, über die große Mehrheit zu entscheiden. Kurzsichtige, egoistische, nationalstaatlichen Interessen bekommen Priorität über der gemeinsamen Handlungsfähigkeit durch den Gebrauch eines Veto. So schaffen Demokratie und die Abschaffung des Veto, Effizienz, Handlungsfähigkeit und Bürgernähe - gemeinsame Außenpolitik ist nur ein Beispiel.

Die Lösung ist einfach: Beschlusse können nur, um demokratisch, legitim und sogar effizient zu sein, auf überstaatlichen genau wie auf nationalstaatlichen Ebenen, durch direktgewählte Parlamente bzw. Organe, gefasst werden. Um föderalistische Ideale von Demokratie auf jeder Ebene zu implementieren, sind wir in Europa nur halbwegs angekommen. In anderen internationalen Institutionen hat man nicht einmal damit angefangen.

Solidarität und Effektivität kommen zusammen

Schließlich kommen wir zu den Prioritäten eines Systems wie Europa, oder überhaupt einem föderalen Organismus. Ist eine föderales System nur aufgebaut, um politische und wirtschaftliche Effizienz zu schaffen, oder lag hier eher ein solidarischer Gedanke zwischen Völkern, zu Grunde?

Um ein funktionierendes Modell fur eine Gesellschaft zu schaffen, die von zukünftiger Stabilität, Sicherheit, Wolfühlen etc. beherrscht ist, brauchen wir unbedingt beides. Der föderale Aufbau zeigt uns, dass dies kein Widerspruch ist, vielmehr, dass die beide Prinzipien eher einander verstärken.

In einem gemeinsamen Binnenmarkt profitiert jedes Land von der Entwicklung und Umstrukturierung schwächerer Regionen. Wenn ein Land ein Fluss verschmutzt, und diese Schäden ein anderes Land betreffen, verlangen Volkswirtschaftliche Ownershipgedanken, dass der Verschmutzter die Schäden bezahlt.

Es ist nicht die Anwesenheit wirtschaftlicher Globalisierung, die die Probleme macht, es ist eher die Abwesenheit politischer Globalisierung

Dieses Effizienzbedürfnis ist aber eine Bedürfnis das auch das solidarisches Zusammenleben fördert. Hierbei wird auch der Frage von internationalem Regelwerk aktuell - die Frage wie wir mit der Globalisierung oder Europäisierung umgehen können und sollen. Die Globalisierung wird oft aufgrund seiner unsolidarischen und anarchistischen Struktur kritisiert, da es den Starken ermöglich den Schwachen auszubeuten.

Aber es ist nicht die Anwesenheit wirtschaftlicher Globalisierung, die die Probleme macht, es ist eher die Abwesenheit politischer Globalisierung. Innerhalb eines Landes kann ein Marktkapitalismus nur durch eine Regulierung funktionieren - warum sollte dann ein überstaatlicher Binnenmarkt ohne diese politische Regulierung funktionieren können?

Die Globalisierung und Interdependenzen zwischen Staaten zeigt deutlich, wie Effizienz und Solidarität nicht nur auf einer staatlichen aber auch uberstaatlischen Ebene durch ein politisches Systeme durchgesetzt werden muss. Einfach gesagt, wenn die Grenzen abgeschafft sind – sei es in unseren Köpfen oder auf den Weltkarte - sind die Probleme der anderen auch unsere Probleme.

Der Kampf um eine institutionelle Änderung des Weltsysteme und zum Beispiel die Schaffung einer Verfassung für Europa, geht also weiter als die beste organisatorische Lösung für staatliches Zusammenarbeit zu finden. Föderalismus versucht eher, durch sein politisches System Werte zu implementieren, ohne sich auf die nationalstaatliche Ebene zu begrenzen. So wird auch Föderalismus eine philosophische Theorie, die universelle Werte als Basis für die politischen Systeme und die Gesellschaft nimmt. Es ist ein starkes Argument für die föderalistischen Lösungen.

So wird auch Föderalismus in größeren Teilen der Gesellschaft außerhalb des Europäischen Verfassungskonventes relevant, und so ist es auch möglich, für jemanden der sich nicht mit den europäischen Institutionen beschäftigt, ein Föderalist zu sein. Diese Idee von Föderalismus ist nicht von einer Europäischen Verfassung abhängig, sie lebt so lange wie die Überzeugung der Föderalisten – so wie wir und meine Oma!

Dieser Artikel wurde ursprüglich im treffunkt.europa (Zeitschrift der JEF Deutschland, Ausgabe 02/2006) herausgegeben.

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