Gute Freundschaften hören beim Geld nicht auf

, von  Carolina Rehrmann

Gute Freundschaften hören beim Geld nicht auf
Die EU ist mehr als nur der Euro. © European Parliament

Zypern als Paradies russischer (Schwarzgeld-) Oligarchen, Angela Merkels Konterfei mit Hitler-Bart auf Plakaten - die aktuelle Krise auf der kleinen Mittelmeerinsel befeuern alte Klischees und pauschale Schuldzuweisungen. Das schadet der EU und verdeckt die komplexe Hintergründe. Ein Plädoyer für ein besseres, gegenseitiges Verständnis.

„Die Zypernidioten“

Die deutschen Boulevardmedien üben sich in den aktuellen Geschehnissen um Zypern einmal mehr in Pauschalurteilen und vermeintlichem Unverständnis. Damit haben sie die Stimmung in Deutschland und die Haltung gegenüber den Zyprioten innerhalb weniger Tage maßgeblich beeinflusst.

Überschriften und Kommentare wie „Die Zypernidioten“, und „Bye Bye Bankeninsel“ sind überheblich und begünstigen eine selektive Wahrnehmung auf die komplexen Hintergründe der aktuellen Auseinandersetzungen. Der Ton erinnert an die abschätzigen und diffamierenden Artikel des FOCUS und der Bild-Zeitung, in denen vor drei Jahren über die griechischen „Betrüger in der Euro-Familie“ geschrieben wurde.

Damals beantwortete die griechische Presse diese kollektiven Beleidigungen durch nicht minder diffamierende, stereotype Darstellungen der Deutschen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wurden dadurch nachhaltig beschädigt. Diese Entwicklungen sind ein beunruhigendes Zeichen dafür, wie schnell freundschaftliche, wenngleich auch klischeebehaftete Beziehungen zwischen zwei Ländern einer sozialen Routine der gegenseitigen Anschuldigungen weichen können. Woran liegt das? Ist der Umgang mit der Finanzkrise in Europa ein Zeichen dafür, dass die ökonomische und politische Integration nicht automatisch mit Identifikation und Solidarität zwischen seinen Bürgern einhergehen? Hört beim Geld die Freundschaft auf?

Wer vom Euro profitiert

Europa ist ein Vielfaches mehr als die Summe seiner Euros. Doch auch wer das Projekt Europa allein an ökonomischen Maßstäben beurteilt und die südeuropäischen Krisenländer als Gefahr für die Stabilität der Eurozone betrachtet, muss zugeben: Der Europäische Binnenmarkt nützt vor allem den wettbewerbsstarken, exportorientierten Wirtschaften. Dagegen hat sich das Handelsbilanzdefizit der strukturschwachen Länder vergrößert. Zugegeben, im Fall von Griechenland hat das auch hausgemachte Ursachen.

Zypern: Eine wütende Insel

Was aber ist mit dem Finanzstandort Zypern, der in der deutschen Presse in erster Linie als dubioses (Schwarz-)Gelddepot russischer Oligarchen dargestellt wird. Ist die wütende Reaktion der Zyprioten gerechtfertigt? „Wir werden in die Geschichte eingehen und am Ende als Sieger da stehen. Sagt das Merkel und Schäuble!“ schrie eine aufgebrachte Zypriotin am Abend der Abstimmung im zypriotischen Parlament in die Kamera. Andere verwandelten Merkel in Hitler und verbreiteten wilde Verschwörungstheorien. Dieses Verhalten einer aufgebrachten Minderheit – wenig kreativ und geschmacklos zugleich – irritiert und befremdet.

Wer die Hintergründe dieser spontanen, kollektiven Emotionen besser verstehen möchte, wird Erklärungen in der zypriotischen Geschichte finden. Bis heute ist ein Drittel der geteilten Insel besetzt. Die jüngste, konfliktreiche Vergangenheit Zyperns, in der das Schicksal der Insel immer wieder von geostrategischen Interessen äußerer Kräfte bestimmt wurde, hat auf beiden Inselteilen tiefe Wunden gerissen und den Nationalstolz in besonderer Weise mit der zypriotischen Identität verwoben.

Die Wut ist aber auch ein Zeichen von Machtlosigkeit und dramatischer Existenzangst. Sie symbolisiert damit die Kehrseite der undifferenzierten Gleichgültigkeit vieler tonangebender Staaten in Europa, in der die asymmetrischen ökonomischen Abhängigkeitsbeziehungen der Eurozone deutlich zum Ausdruck kommen.

Warum Zypern abhängig von den Banken ist

Die griechischen Zyprioten hatten, nach dem blutigen Bürgerkrieg und der gewaltsamen Teilung der Insel 1974 das Glück, dass ihr Bankensektor von der geographischen Lage Zyperns und dem Libanonkrieg profitiert hat. Damit verband sich das zypriotische Aufschwungswunder der siebziger und achtziger Jahre, das allerdings auch mit zweifelhaften Methoden und Konsequenzen einher ging. Eine davon ist, dass die kleine Insel keine nennenswerte Industrie hat. Sie lebt in erster Linie von den Finanzgeschäften und in zweiter Linie vom Tourismus. Die zypriotischen Banken hatten schließlich das Pech, zu viele griechische Staatsanleihen zu besitzen. Das ist auch aus finanzpolitischer Sicht eine mögliche Erklärung für den jähen Absturz Zyperns, das noch bis vor kurzem zu den Musterknaben der Eurozone gehörte.

Die Zyprioten sind zurecht wütend

Die Wut der Zyprioten ist gerechtfertigt. An der Mittelmeerinsel wurde aus finanzpolitischer Sicht ein Exempel statuiert. Hätte man etwa Luxemburg aufgrund seiner ökonomischen Verflechtungen und den damit verbundenen Interessen innerhalb Europas solcher Maßnahmen zu unterziehen gewagt? Den Finanzplatz Zypern hingegen hat die Troika mit dieser beispiellosen Maßnahme tief getroffen.

Welcher Großkunde zypriotischer Banken würde, sofern er sein Geld nicht schon längst abgezogen hat, das Risiko eingehen, in einer zweiten Krise einen weiteren Teil seines Kapitals zu verlieren? Durch die Entscheidung der tonangebenden Länder Europas hat sich die ökonomische Zukunft der Insel praktisch über Nacht verdüstert. Bluten müssen nun viele, die über Jahrzehnte in Pensionsfonds für ihren Lebensabend eingezahlt oder für ihre Kinder gespart haben (besonders in mediterranen Gesellschaften sehr üblich).

Ignoranz vernichtet Europa

Ohne auf die Hintergründe und Ursachen der globalen Finanzkrise einzugehen, die schließlich aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln beurteilt werden können, bleibt festzuhalten: Mit Überheblichkeit und Ignoranz wird Europa nicht weiter kommen. Sollte sich die Abwärtsspirale aus Entfremdung und pauschalen Schuldzuweisungen weiter drehen und sollten sich gerade die größten Profiteure der Eurozone, wie Deutschland, nicht um mehr Verständnis und einen differenzierten, konstruktiven Dialog bemühen, dann könnte es bald „Bye Bye Europa“ heißen. Jedenfalls im Hinblick auf das Europa, das seine Gründungsväter im Sinn hatten. Und das war ein Europa der Freundschaft und Solidarität.

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