Gastbeitrag

High Noon in Karlsruhe?

Das Bundesverfassungsgericht ist auf Annäherungskurs zum Europäischen Gerichtshof.

, von  Jonas Hein

High Noon in Karlsruhe?

Trotz vielerlei beängstigender Vorhersagen der medialen Dramaturgen und der deutschen Rechtswissenschaftslehre hat das Bundesverfassungsgericht das, seit dem Lissabon-Urteil, abgekühlte Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof wieder aufgefrischt – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt. In einer grundlegenden Entscheidung hat es Befürchtungen eines lang dauernden Konfrontationskurses beschwichtigt.

Ein Gastbeitrag der JEBz, Onlinemagazin der JEB.

Max Müller ist 60 Jahre alt und arbeitet bei einem Automobilzulieferer. Morgens nimmt er die Bahn zur Arbeit. Wurstbrot und Apfelschorle im Gepäck? Check. Hund war draußen? Check. Sportteil der Lokalzeitung? Mist, vergessen! „Schön… Rente,“ träumt Max. Nur noch fünf Jahre muss Max arbeiten, dann hat er seine Eigentumswohnung auf Mallorca abbezahlt.

Doch was Max Müller vergessen hat: er ist in einem befristeten Arbeitsverhältnis angestellt. Das heißt, sein Arbeitgeber kann ihm alle zwei Jahre fristlos kündigen, und zwar, bis er in Rente geht. So kommt es denn auch. Sein Chef kündigt dem glücklosen Max und der? Der will sich das nicht bieten lassen. Max Müller zieht also vor Gericht. Aber er konnte nicht wissen, dass er damit einen großen „Showdown“ des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes provozieren würde.

Die Vorgeschichte

Die Bundesregierung hatte solche befristeten Arbeitsverträge zugelassen, um den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und so gerade älteren Arbeitnehmern eine Chance auf eine, wenigstens vorübergehende, Einstellung zu geben. In der Folge wurden viele dieser befristeten Arbeitsverhältnisse geschlossen, denn die Unternehmen nahmen die flexiblen Kündigungsmöglichkeiten gerne in Anspruch und die Arbeitnehmer freuten sich, in ihrem Alter überhaupt noch eine Anstellung zu finden.

Also, alles gut? Nein, meinte der Europäische Gerichtshof. Das sei blanke Diskriminierung. Der Gerichtshof vertrat den Standpunkt, dass die Regelung der Bundesregierung Menschen aufgrund ihres Alters diskriminiere. Und das Verstoße gegen den Geist der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten. So hob das Gericht das europäische Prinzip der Altersdiskriminierung aus der Taufe. Es verpflichtete die deutschen Gerichte, die Regelung zu befristeten Arbeitsverträgen nicht anzuwenden. Max Müller sollte weiter arbeiten können.

Entsetzen bei den Experten

„Was!?“ riefen jetzt viele Rechtswissenschaftler. Der Europäische Gerichtshof überschreite hier ganz eindeutig seine Kompetenzen. Indem er Prinzipien herbei rufe, die so nirgendwo zu finden seien und jene sodann auf deutsche Gesetze anwende, sei es zu einer unzulässigen Handeln außerhalb des Rahmens gekommen, der ihm und allen anderen Organen der EU durch die Mitgliedstaaten vorgegeben sei. Vielmehr habe er sich ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt.

So ließ sich auch der Chef von Max Müller nicht beirren. Er zog vor das deutsche Bundesverfassungsgericht. Denn: hatte dieses nicht noch vor einem Jahr in seinem berühmten Urteil zum Vertrag von Lissabon der Europäischen Union die Grenzen aufgezeigt die das Grundgesetz ihr gebe? Ja, es hatte sich sogar erneut vorbehalten, für den Fall, dass die Europäische Union ihre Kompetenzen aus den Verträgen überschreite, diese zurückpfeifen zu können. Darüber hinaus zeigte es diejenigen Grenzen auf, die die Europäische Integration nicht überschreiten dürfe ohne das Grundgesetz auszuhöhlen.

Die Entscheidung in der Sache Max Müller wurde also mit Spannung erwartet. Würde das höchste deutsche Gericht die direkte Konfrontation mit dem Europäischen Gerichtshof suchen und dessen Entscheidung übergehen? Und: wer würde bei dem Duell den längeren Atem haben? Könnte es gar zu einem vollkommen Zerwürfnis der Union kommen, wenn ein Gericht allen 27 Mitgliedstaaten dar Recht diktiere?

Die Entscheidung

Aber Europa atmete auf. Das Bundesverfassungsgericht hat sein Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof rhetorisch aber auch inhaltlich konsolidiert. Es führt aus, die Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes veranlasse dazu, „Spannungslagen“ im Verhältnis zur EU in einer „wechselseitigen Rücksichtnahme“ aufzulösen. Das soll geschehen, indem das Gericht den Organen der EU zugesteht, ihre Aufgaben in einem weiten Beurteilungsspielraum wahrzunehmen. Es soll künftig nur zur Feststellung einer Kompetenzüberschreitung der EU kommen und damit zum direkten Eklat, wenn diese offensichtlich ist. Das war im Falle von Max Müller also nicht der Fall. Der? Nun, der jubelte und kann jetzt arbeiten bis das Haus in Mallorca zum Einzug für seinen Terrier und sich bereit steht.

Das BVerfG hielt es also nicht für nötig den Revolver zu zücken. Im Gegenteil: erst kürzlich, am 27. September, trafen sich die Herren Richter zu einer gemeinsamen Konferenz in Karlsruhe, beide Helden des Showdowns haben also die Friedenspfeife geraucht. Der Richter Udo di Fabio brachte hier die neue und längst überfällige Raumordnung der Integration auf einen markanten Punkt: „Gute Zusammenarbeit erfordert wechselseitige Selbstbeschränkung und Rücksichtnahme.“

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