Neelie Kroes: Information ist das neue Öl

Die EU-Kommissarin für die Digitale Agenda im Interview.

, von  Laurent Nicolas, Übersetzt von Vincent Venus

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Neelie Kroes: Information ist das neue Öl
Neelie Kroes stellte am 12. Dezember die Open Data Stratgie vor. © European Union, 2011

TP: Warum interessiert sich die Europäische Kommission für die Zugänglichmachung von Informationen? Ist Information das neue Öl?

Neelie Kroes: Der Aspekt, der die Kommission am meisten interessiert ist, dass in Sachen Information ohne großen Aufwand sehr viel erreicht werden kann. Das bürgerliche Recht auf Transparenz verlangt, dass Informationen, die bereits gesammelt und vom Steuerzahler finanziert wurden, allen zugänglich gemacht werden. Das ist auch der günstigste Weg, den wir kennen, um das Potential von Innovation voll auszuschöpfen. Auf diese Weise können wir Europäern helfen, jene Arbeitsplätze zu schaffen und jenes Wirtschaftswachstum zu erreichen, das wir heute so dringend benötigen.

Es stimmt also: Information ist das neue Öl. Daten sind der Grundstoff für das Informationsgewerbe, so wie Öl der Grundstoff für das Kraftstoff- und Plastikgewerbe ist. Daten gibt es überall, sie sind günstig und können sehr gewinnbringend sein, sowohl was Dienstleistungen, als auch den finanziellen Erlös angeht.

Neue Geschäftsmodelle können auf diese Informationen aufbauen, da es neue Möglichkeiten gibt, Informationen aus verschiedenen Quellen auszuwerten und grafisch darzustellen. Zugänglichgemachte Informationen sind auch ein machtvolles Instrument, um Dienstleistungen zu verbessern, da Entscheidungen auf Basis von wirklichen Anhaltspunkten und Nutzer generierten Angaben getroffen werden können. Es gibt bereits Applikationen, die auf öffentlichen und privaten Daten aufbauen, die dies eindrucksvoll belegen. Zum Beispiel Wheelmap.org, das Behinderten hilft, sich in ihren Gemeinden zu bewegen, oder eine Applikation in Estland, mit deren Hilfe Bürger Müll photographieren, und mit einer Ortsangabe versehen, an die Behörden schicken können. Dienstleistungen zur Schonung der Umwelt und deren Begutachtung könnten auch verbessert werden.

TP: Welche Informationen wollen Sie offenlegen, und warum? Sollten einige staatliche Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben? Was ist mit den Daten von Unternehmen?

Neelie Kroes: Jedes Mitgliedsland der EU kann und soll selber entscheiden, was es öffentlich machen möchte. Es gibt offensichtliche Ausnahmen, wie geheime Unternehmensdaten oder solche, die einem Copyright von dritter Seite unterliegen. Private Daten sind natürlich ebenfalls eine Ausnahme, wie solche zur Gesundheit. Dennoch argumentieren wir, dass staatliche Institutionen viel mehr Daten freigeben sollten, und wenn sie es tun, dann bitte zu gleichen Bedingungen für alle.

Unternehmensregister waren eine gute Grundlage für viele neue Firmen in den vergangenen 20 Jahren. Es gibt dafür großartige Beispiele in Sachen Transparenz, wie beispielsweise OpenCorporates. Zwei andere Beispiele finden sich in Dänemark und Frankreich (letzteres startete auch data.gouv.fr). Die dänische Behörde für Unternehmen und das Baugewerbe (DECA) erreichte einen Nutzeranstieg um 10.000 Prozent, nachdem sie die Nutzungsgebühr gesenkt hatte. Sie schuf einen Markt zehnmal so groß wie vor acht Jahren und die Steuereinnahmen, die auf den Informationen beruhen, sind viermal so groß wie der Verlust durch die niedrigeren Gebühren.

Durch die Senkung der Nutzungsgebühren wird ein neuer Markt von Nutzern gewonnen, vor allem mittlere und kleine Unternehmen. So hatte SIRCOM, der Kommunikationsdienstleister des französischen Ministeriums für Wirtschaft, Finanzen und Industrie, schon lange die Benzinpreise in Frankreich gesammelt. Das Unternehmen NAVX hat für diese Daten eine Lizenz zur kommerziellen Wiederverwendung erworben und die Datenbank verbessert, indem es die Informationen präziser machte. NAVX verwendet die Datenbank nun für sein GPS und die eigene Handyapplikation und verkauft sie an weitere Lizenznehmer. Damit nutzt NAVX die Daten sowohl direkt im Kundengeschäft, als auch im Geschäft mit anderen Firmen, wie GPS-Herstellern, Geoinformationsdiensten oder Mobilfunkbetreibern. Dank des Erfolges in Frankreich konnte das Unternehmen mittlerweile sogar in mindestens acht andere europäische Länder expandieren.

TP: Kann man den wirtschaftlichen Nutzen der europäischen Informationsstrategie messen? Wollen Sie eine Studie durchführen lassen, um Ihre Einschätzungen zu bestätigen und die Akteure in der Wirtschaft zu entlasten?

Neelie Kroes: Ja, die Kommission hat mit Graham Vickery zusammengearbeitet, der die Abteilung zur Informationswirtschaft bei der OECD in Paris leitet. Wir haben einen signifikante Nutzen festgestellt. Heute ist der staatliche Informationsmarkt ungefähr 30 Milliarden Euro wert. Aber der gesamtwirtschaftliche Nutzen beträgt 40 Milliarden Euro, wenn wir staatliche Informationen noch besser zugänglich machen. Vickerys Analyse ergab jedoch, dass die indirekten Gewinne durch die Öffnung am wichtigsten sind, da beispielsweise Innovationen gefördert würden. Wenn man diese indirekten Gewinne dazurechnet, summiert sich der jährliche Gewinn auf bis zu 140 Milliarden. Allerdings können wir nicht genau vorhersagen, was passieren wird und das ist auch gut so. Wir wissen nämlich, dass sobald man Informationen zugänglich macht, die Leute großartige, unvorhersehbare Dinge mit diesen anstellen.

Wir wären natürlich sehr erfreut, wenn wirtschaftliche Akteure die öffentlichen Informationen nutzen würden und es uns damit ermöglichen, den Gewinn besser messen zu können! Doch bisher konzentrieren wir uns darauf, einen Kulturwandel in den Behörden und der Politik der Mitgliedsländer zu fördern. Dadurch können die Europäer selber erfahren, wie viel es bringt, Informationen öffentlich zu machen.

TP: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Öffnung der europäischen Daten nicht nur jenen Gewinn bringt, die die größte Leistungsfähigkeit zu deren Verarbeitung haben – also den großen US-Konzernen? Anders formuliert: wie können wir eine europäische Informationsindustrie aufbauen, die Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Wachstum hier in Europa erreicht?

Neelie Kroes: Der wichtigste Schritt ist, Informationen zu einem gering Preis und zu gleichen Bedingungen verfügbar zu machen. Für die meisten Informationen wird die Öffnung nichts oder nur sehr wenig kosten. Es ist auch wichtig, dass sich die potentiellen Nutzer der Daten beschweren können, wenn sie glauben, dass sie unberechtigterweise bezahlen müssen. Wiederverwerter werden sich bei einer unabhängigen Behörde beschweren können. Im Streitfall wird die Beweislast, dass die Wiederverwertungsgebühren gesetzeskonform sind, beim Staat und nicht, wie bisher, beim Wiederverwerter liegen.

Wir sollten aber nicht vergessen, dass offene Informationen lediglich ein Katalysator sind. Die Regierungen können nicht die gesamte Arbeit leisten – wir brauchen Unternehmer, die auf diesen Markt aufspringen und das beste aus ihm machen. Unsere Rolle ist es zu helfen, aber der echte Fortschritt wird nicht von mir gemacht, sondern von den Menschen, die diesen Artikel lesen.

Weitere Informationen:

 Die Seite der Europäischen Kommission.

 Die Seite von Neelie Kroes

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