Schengen im Check

Eine Bestandsaufnahme des Schengen-Abkommens.

, von  Isabelle Unger

Schengen im Check
Das Visa-Informationssystem (VIS) nahm im Oktober 2011 seine Arbeit auf. Es speichert die Daten der Einreisenden in einer zentralen Datenbank und soll den Schenren-Raum sicherer machen. © European Union, 2012

Die bekannteste der sogenannten vier Freiheiten des EU-Binnenmarktes ist wohl die der Personenfreizügigkeit. Auf Initiative der fünf EGKS-Gründungsmitglieder Belgien, Luxemburg, Frankreich, die Niederlande und Deutschland begann die Ausarbeitung eines entsprechenden Abkommens, das 1985 unterzeichnet wurde und 1995 in Kraft trat. 1997 fanden die Regelungen Eingang in den Amsterdam-Vertrag. Die Größeordnung ist dabei beträchtlich: Das Abkommen umfasst ein Gebiet von über 42.000 km See- und 7.700 km Landgrenzen und garantiert mittlerweile über 400 Millionen Bürgern aus 26 EU-Staaten das Reisen ohne Pass. Zudem bietet die Regelung die Möglichkeit, in jedem beliebigen Schengen-Mitgliedstaat zu leben und zu arbeiten (die Länder der EU-Osterweiterung ratifizierten das Abkommen mit dem Beitritt zur EU 2004, jedoch galten während einer Übergangszeit Einschränkungen bei der Arbeitserlaubnis in Deutschland und Österreich, für Rumänien/Bulgarien: noch bis 31.12.2013).

Zur besseren Evaluierung der Funktionsfähigkeit des Schengen-Abkommens kündigte die Kommission im September letzten Jahres einen neuen Überprüfungsmodus an, in dessen Rahmen sie dem Europäischen Parlament sowie dem Rat in halbjährlichem Rhythmus einen Bericht über die Schengen-Kooperation zukommen lässt. Der erste dieser Berichte wurde im Mai 2012 veröffentlicht und bezieht sich auf einen Beobachtungszeitraum von 1. November 2011 bis 30. April 2012.

Schengen als Erfolgsmodell

Ein besonderer Vorteil des Abkommens ist die Freiheit für die EU-Bürger, die seit Bestehen der Regelungen ohne Passkontrolle im Schengen-Raum reisen und ihren Wohnort frei wählen können. Zudem bedeutet der Verzicht auf Kontrollen an den Binnengrenzen sowie die Zusammenlegung von Ressourcen eine finanzielle und informationelle Kostenersparnis für die Mitgliedstaaten. Die Kommission selbst bezeichnet das Vertragswerk naturgemäß als einen „der wertvollsten Meilensteine der EU-Integration“.

Stellvertretend für das vorbildliche Funktionieren der Kooperation stehen das Schengen-Informations-System (SIS) sowie die Einrichtungen SIRENE und ViS. Während mittels SIS zuständige Behörden der Schengen-Staaten auf einen Pool von Informationen zu Personen- und Sachfahndungsausschreibungen zurückgreifen können (z.B. bei Personenkontrollen an Grenzen), bietet SIRENE zusätzliche Hintergrundinformationen und gilt laut Europäischer Kommission als Beispiel „mustergültiger Zusammenarbeit“. Das Visa-Informationssystem schließlich gibt Auskunft über erteilte, abgelehnte, annullierte, aufgehobene oder verlängerte Aufenthaltsbescheide gegenüber Angehörigen verschiedener Regionen. Bezüglich der ersten und zweiten Ländergruppe (1. Maghreb, 2. Naher Osten) ist die Umsetzung seit Oktober 2011 beziehungsweise Mai 2012 im Gange. Ab Oktober 2012 folgt die Entwicklung für den arabischen Raum. Somit fördern die beschriebenen Kooperationssysteme eine Vereinheitlichung des Asylrechts sowie der Kontrollen an Außengrenzen.

Vorhandene Defizite

Als eindeutige Schwachstelle des Schengen-Abkommens bezeichnet der Kommissions-Bericht die griechisch-türkische Grenzregion. Vor allem Flüchtlinge aus Afghanistan und Pakistan, aber auch vermehrt aus Ländern des Arabischen Frühlings, nutzen diese Landgrenze, um in die EU einzureisen. Von Oktober bis Dezember 2011 nahm die Zahl der illegalen Grenzübertritte auf 30.000 zu. 75% der Einreisenden nutzten dabei die Außengrenze Griechenlands.

Ein weiteres Defizit bildet die Tatsache, dass nicht alle Mitgliedstaaten der EU zugleich auch an Schengen partizipieren. Großbritannien nimmt an der polizeilich-justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, an Programmen zur Drogenbekämpfung sowie am SIS teil, nicht jedoch an der Personenfreizügigkeit. Dänemark kündigte im Frühjahr dieses Jahres an, Kontrollen an seinen Grenzen wieder aufnehmen zu wollen und bildet insofern einen Sonderfall, als dass es die Schengen-Regelungen in vollem Umfang anwendet, allerdings im Rahmen der Ratifizierung Vorbehalte in Bezug auf die Umsetzung künftiger Entscheidungen in diesem Bereich formulierte. Eine Mitwirkung an der Weiterentwicklung des Abkommens wird von Fall zu Fall geprüft. Die Niederlande unterlaufen das Vertragswerk mit der aktuellen Ankündigung, in Grenznähe Überwachungskameras einsetzen zu wollen. Zwar berührt die Abschaffung der Kontrollen an Binnengrenzen nicht die Ausübung polizeilicher Befugnisse im Rahmen des nationalen Rechts, dies gilt jedoch nur solange, wie diese Untersuchungen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen besitzen (z.B. Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität, Bedrohung der öffentlichen Sicherheit). Die Kommission prüft das Vorhaben der Noch-Regierung Rutte zurzeit.

Ein Bericht des Europäischen Parlaments betont die Bedeutung eines vollständig freien Personenverkehrs innerhalb des Schengen-Raums. Kontrollen an Binnengrenzen seien nur in „schweren und unmittelbaren“ Ausnahmefällen zu erlauben. Folgerichtig lehnten die Parlamentarier im Juni eine von Deutschland und Frankreich angestoßene Reform ab, die es den Mitgliedstaaten erlauben sollte, auf Vorschlag des Rates für bis zu sechs Monate Binnen-Grenzkontrollen durchzuführen. Zuvor hatten sich die Kommission, der ein stärkeres Mitspracherecht zugesagt worden war, und die nationalen Regierungen auf ein entsprechendes Vorgehen geeinigt.

Gemäß Art. 23 des Schengener Grenzkodex ist es einem Mitgliedstaat im Falle schwerwiegender Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit (z.B. G20-Gipfel) erlaubt, für 30 Tage Kontrollen an seinen Staatsgrenzen vorzunehmen, allerdings muss die Kommission hierüber umgehend informiert werden. Zudem ist ein Bericht notwendig, der Auskunft über die ergriffenen Maßnahmen und deren Wirksamkeit gibt.

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