Schweratmiges Anti-Raucher-Gesetz

, von  Sabrina Schönborn

Schweratmiges Anti-Raucher-Gesetz
Der europäische Gesundheitsausschuss möchte mit drastischen Bildern auf Zigarettenschachteln die Bürger vom Rauchen abhalten. Doch die Tabak-Lobby wehrt sich vehement dagegen. © European Union 2012

Verfaulte Zähne, schwarze Lungenflügel und nekrotische Zehen: Solche Schockbilder könnten demnächst von jeder in der EU verkauften Zigarettenschachtel prangen - zumindest wenn die bereits mehrfach verschobene Gesetzesabstimmung am 8. Oktober im Sinne des europäischen Gesundheitsausschusses verläuft. Doch die Verhandlungen stocken.

Tabakprodukte unattraktiv

Seit Oktober 2003 sind in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich sichtbare Warnhinweise auf beiden Seiten der Zigarettenpackung vorgeschrieben. Dabei müssen die allgemeinen Hinweise, etwa „Rauchen tötet“, mindestens 30 Prozent und die ergänzenden Hinweise wie „Raucher sterben früher“ mindestens 40 Prozent der Packungsbreitseite einnehmen.

Der neueste Gesetzesentwurf vom europäischen Gesundheitsausschuss sieht nun vor, dass diese Regulierungen weiter verschärft werden. Rund 75 Prozent der Packung sollen in Zukunft von Warntexten und abschreckenden Bildern bedeckt sein, bei Tabakschachteln zum Selbstdrehen soll es mindestens die Hälfte sein. Desweiteren werden Zusatzgeschmacksstoffe und die Zugabe von Vitaminen, Koffein, Taurin und Farbstoffen verboten. „Tabakerzeugnisse müssen wie Tabakerzeugnisse aussehen und schmecken, und dieser Vorschlag stellt sicher, dass ansprechende Verpackungen und Aromen nicht als Marketingstrategie eingesetzt werden“, erklärt EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg.

Sucht verhindern, bevor sie entsteht

Ein besonderes Anliegen sei es, Jugendliche vom Erstkonsum abzuhalten. „94 Prozent aller Raucher haben vor ihrem 25. Geburtstag zur ersten Zigarette gegriffen“, warnt SPD-Abgeordneter Matthias Groote in einem Zeitungsinterview. Aus diesem Grund sollen Werbemittel und Geschmacksrichtungen, die besonders auf junge Raucher zugeschnitten sind, verboten werden. Auch kostenlose Probezigaretten sollen in Zukunft nicht mehr zum Probieren verführen.

Tatsächlich haben laut einer Studie der DAK schon die Hälfte der unter Fünfzehnjährigen zumindest „mal gezogen“. Jugendliche gar nicht erst mit Nikotin in Berührung kommen zu lassen scheint die erfolgreichste Strategie zur Suchtprävention zu sein. Das Problem: In fast allen Fällen geben junge Süchtige den Einfluss ihres Freundeskreise und Gruppendruck als Grund für den Einstieg an. Dagegen können auch Verbote nichts ändern. Eine Studie in Großbritannien, wo Schockbilder auf Zigarettenpackungen seit 2008 vorgeschrieben sind, zeigt, dass Warnhinweise und Photos Nichtraucher in ihrer Einstellung überzeugen, aber Süchtige in der Regel nicht zum Umdenken bewegen können.

Protest der Lobbyisten

Die geplanten Regelungen treffen wie erwartet auf großen Widerstand in der Tabakindustrie. „Die geplanten Maßnahmen sind maßlos, überzogen und ihre Wirkung zudem höchst zweifelhaft“, sagt der Dirk Pangritz, Geschäftsführer des Deutschen Zigarettenverbands. Auch der Deutschlandchef der Tabakfirma BAT, Ad Schenk bemängelt: „In dieser Form stellen die Vorstellungen der EU-Kommission einen massiven Eingriff in die unternehmerische Freiheit und eine Gängelung und Bevormundung des Verbrauchers in bislang unbekanntem Ausmaß dar. Sie verstoßen ganz elementar gegen Marken- und deutsche Grundrechte und stellen eine massive Stärkung der EU-Bürokratie dar.“

Forderungen nach Bedenkzeit

Linda McAvans, Mitglied des europäischen Gesundheitsausschusses, gab die Initiative für die Verhandlungen, die ursprünglich am 9.September beginnen sollte. Der Vorlagentext für die Gesetzesänderung sei der EU-Kommission im Schnellverfahren zugeleitet worden, sodass den Abgeordneten nicht genügend Zeit zur Meinungsbildung geblieben sei, begründet Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Europäischen Parlament die einmonatige Verzögerung. Aus den Reihen der Grünen erhebt sich jedoch die Anklage, das Verfahren werde durch Interessensvertreter behindert. Man sei „schamlos der Tabak-Lobby gefolgt“, kritisiert Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms.

Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei um eine Verschiebungstaktik handelt, hoch. Selbst wenn die Beratungen am 8. Oktober stattfinden, wird die Frist für die Verabschiedung knapp. EU-Gesetzgebungen, sind besonders zeitaufwendig, da drei Institutionen an diesem Verfahren beteiligt sind: Das Europäische Parlament, der EU-Ministerrat und die EU-Kommission. Vom Beginn der Beratungen bis zur Abstimmung dauert es in der Regel ein Jahr. Doch Anfang 2014 übernimmt Griechenland die Ratspräsidentschaft. Der Südstaat hat bisher wenige Ambitionen im Kampf gegen Nikotin gezeigt. Im Mai wird das Europäische Parlament neu gewählt, ab April finden keine Sitzungen mehr statt.

Anti-Rauch-Kampagne als finanzieller Drahtseilakt

Die Tabaklobby befürchtet durch die geplanten Änderungen weitere Umsatzeinbußen. Bereits jetzt sind ihre Einnahmen rückläufig. Aufgrund der stetig steigenden Tabaksteuer muss der Verkaufspreis immer wieder angehoben werden und die Verbraucher schränken ihren Konsum entsprechend ein. Auch gehen 73 Prozent aller Einnahmen an den Staat.

Rund 12 Milliarden Euro fließen auf diese Weise jedes Jahr in die Bundeskasse. Setzt die Bundesregierung bei ihrem Kampf für die Gesundheit ihrer Bürger also das Wohlergehen ihres eigenen Haushalts aufs Spiel? Zumindest ist die Zukunft raucherfeindlicher Kampagnen angesichts fehlender Möglichkeiten zur Gegenfinanzierung zweifelhaft. Auch die immensen Kosten von rund 34 Milliarden Euro, die das Rauchen im Gesundheitswesen verursacht, trägt der Bund nicht selbst. So deckt der gesamte jährliche Zuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen nicht einmal die Hälfte der Kosten, die durch den Konsum von Tabakprodukten entstehen.

Wie grün und rauchfrei kann also ein Staat werden, der rund 15 Prozent seiner Einnahmen aus Mineralöl- und Tabaksteuer bezieht?

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