Sonntagabend, ICE 10 von Frankfurt Hauptbahnhof nach Brüssel. Die deutschen „Expats“, wie sie sich liebevoll selbst nennen, treten die Fahrt zurück nach Brüssel an. Die drei Stunden und sechs Minuten Zugfahrt versammeln eine bunte Mischung – erster Teil einer Typologie Deutscher in, oder besser, auf dem Weg nach Brüssel.
Typ I: Der Ambitionierte (ledig, kinderlos)
Der Ambitionierte tritt in zwei Varianten auf: ein Mal mit Familie, ein Mal ohne. Letztere Subspezies steigt ausschließlich in Frankfurt Fernbahnhof zu – das gibt dem ganzen irgendwie einen kosmopolitischen Anstrich. Leicht genervt, dass es noch nicht standardmäßig zur ersten Klasse reicht, bahnt sich der Ambitionierte den Weg zu seinem Tisch, nicht ohne dabei mehreren Mitreisenden seinen Alurollkoffer über die Füße zu ziehen. Am Platz angekommen beansprucht er Steckdose, 75% des Tisches und einen zweiten Sitzplatz für den halben Meter Akten, der noch bis Brüssel bearbeitet werden will.
Nachdem Kommissionsmitteilungen, Impact Assessments und sonstige wichtige Papiere feinsäuberlich über den Tisch verteilt sind, schaltet der Ambitionierte erst einmal sein Smartphone auf laut. Schließlich geht es jetzt darum, den inoffiziellen Wettbewerb im Abteil um die meisten empfangene SMS und Emails bis zum ersten Tunnel nach ca. 1,2 km zu gewinnen. Nach gefühlten 15 Signaltönen widmet er sich dann endlich dem Studium seiner Akten.
Solange Typ I mit seinen Unterlagen beschäftigt ist, bleibt die Fahrt im Abteil vergleichsweise ruhig und erträglich. Für Unterbrechungen sorgen nur die Signaltöne seines Handys und das darauf folgende hektische Tippen oder der vergebliche Versuch – im Ruheabteil! - eine Telefonverbindung zwischen Montabaur und Siegburg/Bonn aufzubauen.
Typ II: Der Ambitionierte (mit Kernfamilie)
Doch die Ruhe währt nicht lang, höchstens bis Köln. Denn jetzt droht Konkurrenz. Typ 2, mindestens genauso ambitioniert, aber im Besitz einer kleinen Kernfamilie (Frau, Kind, Hund), die er leider am Bahnhof zurücklassen muss, steigt zu. An seinem Platz angekommen winkt der Neuzugestiegene noch artig aus dem Fenster, sobald die Familie außer Sicht ist, kramt auch er schnell die Akten raus. Es gilt immerhin ein ganzes Wochenende aufzuholen!
Der familienlose Platzhirsch sucht derweil nach Wegen sein Revier zu verteidigen und den Arbeitsfluss des Kontrahenten zu stören. Die erste und einfachste Methode besteht darin die Tastentöne seines Smartphones zu aktivieren, was er auch ohne zu zögern tut. Offensichtlich lässt sich Typ 2, trainiert durch sein 18 Monate altes Kind, durch solche Störversuche nicht aus der Ruhe bringen. Kurz nach Aachen legt er die Akten kurz zu Seite und packt das von der Frau geschnürte Lunchpaket aus. Als dann auch noch Frau und Tochter zum „Gute Nacht“ sagen anrufen und der Familienvater in das Handy säuselt wird es Typ I zu viel. Doch bevor er zum Gegenschlag ausholen kann, betritt der Albtraum beider Typen das Abteil. „’Tschuldigung, ist hier noch frei?“ fragt die mit Hüftrucksack, zwei Stofftaschen und einem Schlafsack ausgestattete Praktikantin...
Fortsetzung folgt!
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