Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stehen im Rampenlicht der Öffentlichkeit wie selten zuvor. Von Tallinn bis nach Lissabon und von Athen bis Kopenhagen beherrschen dieselben Schlagzeilen die Tagespresse und die gleichen Sondersendungen die Rundfunkprogramme. Junge Menschen diskutieren quer über den Kontinent via Facebook und Twitter den Fortbestand der Gemeinschaftswährung und die Zukunft der EU.
Formiert sich hier die vielbeschworene, aber in den Augen der Kritiker nie erreichte europäische Öffentlichkeit? Entsteht ein paneuropäischer Kommunikationsraum, in dem die Leute über Grenzen hinweg miteinander in Kontakt treten, um gemeinsame Probleme zu lösen? Oder gleichen die derzeitigen Ereignisse einem Strohfeuer, das erlischt, sobald neue und national relevantere Themen auf die Agenda kommen?
Vieles spricht leider für Letzteres. Bereits während der BSE-Krise oder dem Sturz der EU-Kommission unter Jacques Santer vor einigen Jahren standen Brüssel und die EU im Fokus der Berichterstattung nationaler Medien. Diese paneuropäische „Skandalöffentlichkeit“ war aber nur von kurzer Dauer, bald waren wieder andere, national gefärbte Themen von größerer Bedeutung.
Meist abseits des Medienrummels: Europa
Während es für Stars, Sternchen und Skandale ein Leichtes ist, einen Sendeplatz oder eine Zeitungsseite zu füllen, haben es (europa-)politische Ereignisse meistens schwer. Eine ganze Reihe von Hürden steht der wackeren Europa entgegen, wenn sie um die Aufmerksamkeit der Journalisten buhlt.
Der Nachrichtenwert, der durch Faktoren wie z. B. Konfliktpotential, Dramatik oder Personalisierbarkeit bestimmt wird, ist bei der EU relativ gering. Kommission und Rat tagen meistens unter Ausschluss der Öffentlichkeit und sind nur indirekt durch Wahlen legitimiert, weshalb sie auch weitgehend von der Zustimmung der Bürger und damit auch der Öffentlichkeit unabhängig sind. Das Europäische Parlament als einziges direkt gewähltes Organ neigt nicht gerade dazu, Differenzen seiner Mitglieder im Plenum zu inszenieren, wie es im Bundestag der Fall ist und wie es den Medien (und ihren Nutzern) gefällt.
Neben den institutionellen Strukturen stehen der Ausbildung einer europäischen Öffentlichkeit auch kulturelle Schranken im Weg. Die höchste Barriere liegt auf der Hand – oder besser gesagt auf der Zunge: In Europa gibt es mehr als 100 Sprachen, davon sind 23 Amtssprachen der EU. Deren offizielle Sprachenpolitik zielt darauf ab, die sprachliche Vielfalt zu schützen und Sprachkenntnisse zu fördern.
Das Ziel der Kommission ist ein Europa, in dem alle neben ihrer Muttersprache mindestens zwei weitere (EU-)Sprachen beherrschen. Eine interessante Variante dieses Konzepts bietet das Modell des rezeptiven Multilingualismus. Dieses sieht vor, dass man möglichst viele Fremdsprachen vorwiegend passiv beherrscht, sie also lesen und verstehen kann, ohne sie fließend sprechen oder schreiben zu können. Ein prominenter Befürworter dieses Ansatzes ist Umberto Ecco, der sich eine europäische Gemeinschaft von Menschen wünscht, „die in der Lage sind, den Geist, das Aroma, die Atmosphäre einer anderen Sprache zu erfassen.“
„In Vielfalt geeint“ lautet der europäische Wahlspruch auch in der Sprachenpolitik. Kulturelle und sprachliche Vielfalt ist sicher richtig und wichtig, allerdings schießt die EU mit ihrem „Muttersprache plus 2“-Ansatz über das Ziel hinaus und malt sich ihr Wunschbild des kosmopolitischen und polyglotten Europäers. Die Mehrzahl der EU-Bürger neigt jedoch wenig zum Fremdsprachenlernen, wie spezielle Eurobarometer-Umfragen belegen. Nur die Hälfte der Europäer kann sich demnach damit anfreunden, zwei Fremdsprachen zu lernen.
Selbst wenn alle eines schönen Tages tatsächlich drei Sprachen sehr gut beherrschten, würde zwar die Wahrscheinlichkeit steigen, dass ein irischer Bauer, der seinen Urlaub am Schwarzen Meer in Bulgarien verbringt, mit einem dort ansässigen Fischer Französisch parliert. Europäische Öffentlichkeit und paneuropäische Medien würden dadurch aber nicht gestärkt.
Englisch als second first language
Fast drei Viertel der Europäer wünschen sich eine gemeinsame Kommunikationssprache. Auch wenn hierfür immer wieder Esperanto oder sogar Latein ins Spiel gebracht werden, gibt es eigentlich nur eine Sprache, die als europäische Gemeinschaftssprache in Frage kommt und den kommunikativen Anschluss an eine globalisierte Welt darstellt: Englisch. Und das aus gutem Grund: Mehr als eine halbe Milliarde Menschen auf der Welt sprechen Englisch. Sie ist die offizielle oder co-offizielle Sprache in fast 50 Staaten der Erde sowie Amts- und Arbeitssprache der wichtigsten internationalen Organisationen und der globalen Wirtschaft.
Englisch ist zwar noch davon entfernt, „zweite Erstsprache“ (Jürgen Habermas) der Europäer zu werden, als erste Zweitsprache hat sie sich aber etablieren können und ist zur lingua franca unseres Kontinents geworden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten sich dieser Tatsache stellen und damit aufhören, Luftschlösser zu bauen, in denen nur polyglotte und gut ausgebildete Akademiker einen Platz finden. Der Ausbau einer gemeinsamen Kommunikationssprache würde nicht nur eine europäische Öffentlichkeit befördern, sondern auch die europäische Identität stärken.
1. Am 27. Juni 2011 um 14:24, von Aymeric L. Als Antwort Turmbau zu Brüssel
Zum Thema Englisch als zweite Erstsprache der Europäer, empfehle ich diese sehr interessante Studie der Europäischen Kommission : „Lingua Franca: Chimera or reality“. http://ec.europa.eu/dgs/translation/publications/studies/lingua_franca_en.pdf
Das Bericht zeigt u. a., inwiefern Englisch schon zu einer Lingua Franca geworden ist, deren Regel nicht mehr von den Muttersprachlern bestimmt werden.
Ich muss aber zugeben, dass es mir völlig unlogisch scheinen würde, die Sprache Gross Britaniens als einzige Amtssprache zu machen, wenn Cameron täglich versucht, die EU, das Euro, die Idee eines vereinten Europas zu demontieren. Ist Gross Britanien nicht das einzige Land Europas, in dem das Lernen einer Fremdsprache nicht mehr verpflichtend ist?
Es gibt leider keine Alternative zum Englischen als Lingua Franca, aber solch eine Entscheindung sollte mit klaren Ausgleichungen einhergehen. Es wäre z. B. unakzeptabel, dass die ganzen europäischen Lobbying- und Beratungsektoren und halböffentlichen Sektoren weiterhin von den Engländern und Amerikanern dominiert blieben. Wir brauchen eine echte europäische Politik gegen die „Muttersprache Englisch erforderlich“.
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