Wen bewegt Europa? - Teil vier

, von  Christian Simon

Wen bewegt Europa? - Teil vier
In einer vierteiligen Interviewserie hat Treffpunkteuropa.de Deutsche aller politischen Richtungen gefragt, warum sie für Europa sind. Foto: © European Commission / 2007

Treffpunkteuropa.de hat bekannte Persönlichkeiten aller politischen Richtungen befragt, was ihnen an Europa liegt. Sie berichten von ihrer eigenen Sichtweise auf die EU und ihren Verbesserungsvorschlägen. Im vierten und letzten Teil der Interviewreihe beantwortet Gerhard Baum unsere Fragen. Der FDP-Politiker war unter Helmut Schmidt Innenminister. Er setzt sich weltweit für Menschen- und Bürgerrechte ein - ob als UNO-Menschenrechtsbeauftragter im Sudan oder auf Demonstrationen gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Baum ist Träger des Theodor-Heuss-Preises und des Großen Verdienstkreuzes.

Herr Baum, provokant gefragt: Zentralisierung und Entdemokratisierung, immer weniger Einfluss der Bürger, Überwachung und Internetkontrolle - wie kann man als Liberaler eigentlich für Europa sein?

Europa ist eine der wichtigsten Aufgabe der heutigen Politik. Wir befinden uns in Europa in einer Dynamik, die, wenn abgebrochen, Europa ins Abseits stellen würde. Auch bei allen sicherlich vorhandenen Mängeln muss der europäische Weg weitergeführt werden.

Europa hat verschiedene Dimensionen: Eine ökonomische Dimension, eine politische und sicherlich auch eine Wertedimension. Die Union ist ein gelungenes Projekt der Aufklärung, eines von wenigen. Uns verbinden in Europa Werte, die so nur in wenigen anderen Staaten gelebt werden. Deutschland vor allen anderen kommt dabei eine zentrale Verantwortung für das Gelingen dieses europäischen Projektes zu, etwa durch eine Politik zur Durchsetzung der Menschenrechte.

Viele Menschen, besonders aus der Generation der „digital natives“, betrachteten Programme wie ACTA als massiven Eingriff in ihre persönliche Freiheit. Ist die EU eine Gefahr für die Freiheit des Einzelnen?

Als Reaktion auf die Barbarei der Nazis haben wir ein besonders stark an der Menschenwürde orientiertes Werteverständnis, und dazu gehört auch das Recht auf Privatheit. Das wird auch vom Bundesverfassungsgericht immer wieder so bestätigt. In anderen Staaten gibt es andere Verfassungstraditionen, es ist deshalb verständlich, dass andere Länder uns auf diesem Weg nur bedingt folgen. Die Konfliktlinien im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit verlaufen dort unter Umständen anders als hier.

Wir müssen deshalb in Europa für unsere Positionen werben. Die Diskussion um den Schutz der Privatsphäre muss von einer europäischen Zivilgesellschaft geführt werden, einer Zivilgesellschaft, die für europäische Werte eintritt. Vorläufig ist ACTA ja vom Tisch.

Durch das US-Abhörprogramm PRISM wurden und werden millionenfach Daten europäischer Bürger gespeichert, auch der britische Geheimdienst hört munter mit. Wo sehen Sie die Möglichkeiten der EU, zum Schutz der Bürgerrechte einzugreifen?

Hier muss sich die Europäische Union eindeutig positionieren. Die Betonung liegt dabei auf „Union“. Als solche sind wir stärker als die einzelnen Nationalstaaten und haben eine stärkere Verhandlungsposition. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der europäischen Datenschutzgrundverordnung zu, über die in Brüssel zurzeit heftig gestritten wird. Diese muss, wenn sie wirksam sein soll, das Menschenrecht auf Privatheit explizit schützen.

Ein Aussetzen der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TAFTA, wie sie stellenweise gefordert wird, halte ich aber für verfehlt. Die Europäische Union könnte die Verhandlungen vielmehr nutzen, um unsere Vorstellungen vom Datenschutz durchzusetzen. Wichtiger als dieses Handelsabkommen ist in diesem Fall ohnehin die „Safe Harbor“ Entscheidung der Europäischen Kommission, die europäischen Unternehmen den Transfer persönlicher Daten in die USA erlaubt. Auch dort muss man ansetzen und das Abkommen neu verhandeln.

Bei einer Buchvorstellung Anfang Juni diesen Jahres sagte Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung: „Noch immer bauen wir an einem Europa, das dem Ideal von Freiheit und Demokratie aus liberaler Perspektive gerecht wird.“ Welche Projekte halten Sie dabei für besonders wichtig?

Besonders müssen wir sehen, wie wir Europa auf eine solide demokratische Basis stellen. Ich habe die Befürchtung, dass auch die nächste Europawahl wieder eine nationale Wahl wird, in der die Menschen ihre nationale Regierung abstrafen. Die Wahlkämpfer sind gefordert, einen dezidiert europäischen Wahlkampf zu führen. Bisher war es ja oft so, dass Europawahlkampf gegen Europa gemacht wurde, Parteien also mit antieuropäischen Positionen in die Europawahl gezogen sind. Es ist leider ein recht beliebter Sport, Europa schlecht zu reden - das wirkt sich auch auf die Wahl aus.

treffpunkteuropa.de ist das Magazin der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF). Was ist Ihrer Meinung nach die Rolle unserer Generation im Kampf für ein vereintes Europa?

Ihre Generation muss kleinliche Zweifel und Unsicherheiten unterordnen unter die immer noch lebendige Idee von Europa. Den jungen Leuten erscheint Europa oft als selbstverständlich. Es darf aber nicht als gegeben hingenommen werden, sondern sein Bestehen und sein Erhalt müssen wieder wichtig werden. Das ist eine der größten Aufgaben der jungen Generation. Europa muss gelebt werden.

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