TPO: Sie sind Geschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen in Deutschland (VKU) sowie Präsident des europäischen Spitzenverbandes der CEEP. Was sind Ihre Aufgaben?
Als Hauptgeschäftsführer des VKU vertrete ich über 1.400 kommunalwirtschaftliche Unternehmen in den Bereichen Energie, Wasser/Abwasser und Abfallwirtschaft. Mit 235.000 Beschäftigten wurden 2010 Umsatzerlöse von rund 95 Milliarden Euro erwirtschaftet und etwa 8 Milliarden Euro investiert.
Als Präsident des CEEP vertrete ich die öffentlichen Arbeitgeber und Unternehmen aus ganz Europa, darunter 16.000 öffentliche Unternehmen. Dieses Amt führe ich seit Dezember 2011 aus. Der CEEP repräsentiert zudem die öffentlichen Arbeitgeber im sektorübergreifenden Europäischen Sozialdialog. Der Europäische Sozialdialog ist in den Artikeln 154 und 155 AEUV verankert und ein Instrument, die europäische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik im Sinne der Erbringer öffentlicher Dienstleistungen aktiv mitzugestalten.
Der öffentliche Dienstleistungssektor gehört zu den größten Branchen in der EU. Dort arbeiten 30 Prozent aller Beschäftigten, das entspricht etwa 64 Millionen Arbeitnehmern. Mehr als 500.000 Dienstleistungsanbieter versorgen laut CEEP Erhebungen rund 500 Millionen Europäer. Die führenden Infrastrukturnetzwerke Elektrizität, Gas, Wasser, Abwasser, Abfall, Postdienste, Telekommunikation, Öffentlicher Personennahverkehr investieren erhebliche Summen in die europäische Wirtschaft. Ihr Anteil an den Gesamtinvestitionen der EU betrug im Jahr 2006 rund 153 Milliarden Euro, wie vom CEEP im Jahr 2010 statistisch erfasst wurde.
TPO: Sie treten als starker Kritiker gegenüber der Dienstleistungskonzessionsrichtlinie (vor allem im Bereich Wasser) auf, die derzeit auf dem EU-Verhandlungstisch steht. Warum?
Die Richtlinie stellt einen tiefen Eingriff in die kommunalwirtschaftlichen Strukturen der Wasserwirtschaft in Deutschland dar. Wenn die EU-Kommission ihre Pläne verwirklicht, droht vielen Städten und Gemeinden, zukünftig nicht mehr selbst darüber entscheiden zu können, wie die Wasserver- und Abwasserentsorgung in ihren Gebiet organisiert sind.
Das gilt insbesondere für das in Deutschland typische Modell des Mehrspartenunternehmens, das die Bürger nicht nur mit Wasser versorgt, sondern auch in Sektoren wie der Energieversorgung, der Abfallversorgung oder dem Nahverkehr tätig ist. Ebenso gilt dies für die kommunalen Unternehmen, die aufgrund von Modernisierungsbestrebungen eine Partnerschaft mit einem privaten Unternehmen eingegangen sind.
TPO: Die Befürworter, allen voran die Kommission, heben hervor, dass es eine Rechtslücke zu schließen gilt. Es gäbe eine Tendenz auf Konzessionen zurückzugreifen, um die sonstigen Vergaberegeln zu umgehen. Anders gesagt: Die Marktabschottungen mit angeblich sehr hohen Geldsummen gerade auch in der Wasserwirtschaft und korruptionsartigen Absprachen auch im Bereich der Konzessionen müsse aufhören, um mehr Effizienz zu gewährleisten. Unterliegen die Befürworter hier nur einer Binnenmarkts- oder Wettbewerbsillusion?
Trinkwasserversorgung ist eine örtliche Angelegenheit und kommunale Aufgabe. Die EU sollte die in ihren Grundlagenverträgen festgeschriebene Achtung vor der kommunalen Selbstverwaltung ernster nehmen. Die Bürgerinnen und Bürger sind von diesem Modell überzeugt. Es steht für sie für Qualität und Versorgungssicherheit zu einem angemessenen Preis bei ihrem wichtigsten Lebensmittel, für lokale Entscheidungswege, auf die sie direkt Einfluss nehmen. Wenn die EU das ändern will, kann sie sich jedenfalls nicht auf das Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland berufen.
Sinnvoll wäre es, die Entscheidungsbefugnis über die Organisation der Wasserversorgung bei den Kommunen zu belassen. Natürlich gibt es auch jetzt schon Anforderungen, die auch erfüllt werden. Durch den Entwurf bekommt das alles aber eine neue Qualität. Eine Aufrechterhaltung des Status Quo wird für viele Kommunen gar nicht oder durch volkswirtschaftliche unsinnige Restrukturierungen möglich sein. Eine Tendenz, mithilfe des Konzessionsmodells das Vergaberecht zu umgehen, können wir nicht erkennen.
Konzessionen und Aufträge im Sinne des formellen Vergaberechts sind aber schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Struktur nicht beliebig austauschbar. Während es bei einem öffentlichen Auftrag ein zweiseitiges Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gibt, ist die Sache bei der Konzession komplexer: Ein Auftraggeber beauftragt einen Auftragnehmer mit der Durchführung einer Dienstleistung, die aber nicht vom Auftraggeber, sondern von den Nutzern der Dienstleistung, z.B. den Trinkwasserverbrauchern vergütet wird. Dieses Modell können Kommunen nur in spezifischen Situationen wie der Trinkwasserversorgung nutzen. Funktionstüchtige Trinkwassernetze erfordern hohe Investitionen für deren Instandhaltung.
Dies rechtfertigt den Abschluss langlaufender Konzessionsverträge, um die Amortisation sicherzustellen. Korruptive Absprachen sind uns in diesem Zusammenhang in Deutschland nicht bekannt; ob das für alle EU-Mitgliedstaaten gilt, können wir nicht beurteilen.
TPO: Gleichzeitig wird aufgeworfen, dass auch in die kommunale Selbstverwaltung nicht übermäßig eingegriffen würde, da die Kommunen ja den Beschaffungsbedarf selber festlegen dürfen. Auch eine Kommerzialisierung sei ausgeschlossen, denn bei den Zuschlagskriterien geht es keineswegs nur um den Preis, sondern vielmehr um die Ausgestaltung der inhaltlichen Kriterien nach den jeweiligen Anforderungen. Was sagen Sie dazu?
Städte und Gemeinden sind für die Trinkwasserversorgung in ihrem Gebiet verantwortlich. In der Regel erfüllen sie diese Aufgabe durch einen kommunalen Wasserversorger. Zukünftig wird vielen Städten und Gemeinden dieser Weg verbaut. Ziel der Initiatoren der Richtlinie ist es, sehr viel stärker als bisher Public-Private-Partnership-Modelle in der Wasserwirtschaft zu etablieren, bei denen das Betreiben öffentlicher Infrastrukturen durch Private übernommen werden soll.
Das Mittel dazu ist der grundsätzliche Ausschreibungszwang. Ausnahmeregelungen, die die Richtlinie zum Beispiel für die interkommunale Zusammenarbeit oder auch für rein kommunale Strukturen der Wasserversorgung vorsieht, greifen nicht; sie gehen am deutschen Modell vorbei. Und die Richtlinie öffnet den direkten Weg zu den Vergabekammern.
TPO: Kommen wir zu der Kehrseite des Vergaberechts: Dem EU-Beihilfenrecht. Also die Regeln, die bestimmen, wann Staaten bzw. Kommunen etwas von öffentlicher Seite wettbewerbskonform finanzieren dürfen. Hier hat der zuständige Kommissar Joaquín Almunia kürzlich betreffend der Daseinsvorsorge eine Reform getroffen. Sind Sie aus Ihrer Sicht zufrieden damit?
Die grundlegende Überarbeitung des EU-Beihilferechts ist ein Anliegen, welches die EU-Kommission noch in der laufenden Legislaturperiode abschließen möchte. Dazu gehört nicht nur das im Dezember 2011 vorgelegte neue Beihilfepaket für die Leistungen der Daseinsvorsorge, sondern auch die Überarbeitung diverser Beihilfeleitlinien wie z.B. jene für den Breitbandausbau, Umweltbeihilfen oder Regionalbeihilfen.
Der VKU begrüßt grundsätzlich den Ansatz der Kommission, für mehr Klarheit in diesem Rechtsbereich zu sorgen und die Anwendung der Vorschriften zu erleichtern. Der VKU hat für kommunale Unternehmen unter anderem durchgesetzt, dass im Bereich der Daseinsvorsorge Beihilfen an Unternehmen, die unter einem Wert von 500.000 Euro über einen Zeitraum von drei Jahren bleiben, von der Anmeldepflicht frei gestellt sind. Der ursprünglich vorgeschlagene Wert war viel niedriger.
TPO: Wo sehen Sie noch Probleme im Beihilfenrecht? Sehen Sie einen Nachteil für große Kommunen und deren Finanzierungspraxis?
Die Einführung höherer Beihilfegrenzen im Bereich der Daseinsvorsorge ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für die Praxis wären z.B. auch die unmittelbare Berechtigung kommunaler Unternehmen zur Teilnahme an Förderprogrammen der EU hilfreich sowie praktikable Vorgaben für die Vergabe von Kommunalkrediten bzw. Kommunalbürgschaften. Daneben haben wir noch einige andere Forderungen. Insgesamt geht es darum, dass sich die EU auf jene Vorhaben konzentriert, die wirklich binnenmarktrelevant sind und alles andere gemäß dem Subsidiaritätsprinzip den Mitgliedstaaten überlässt.
TPO: Hegen Sie Hoffnung, dass sich über eine diskutierte Rahmenrichtlinie etwas positiv für die Daseinsvorsorge ändern lässt?
Von einer EU-Rahmenrichtlinie zur Daseinsvorsorge halten wir weder als VKU noch als CEEP etwas. Zumal das Instrument hier vermutlich sogar nach dem Vertrag von Lissabon eine Verordnung wäre. Eine solche könnte nie den immensen unterschiedlichen Ausgestaltungen der kommunalen Selbstverwaltung in einer EU-27 (28) Rechnung tragen. Das liegt am unterschiedlichen Fokus, mit dem die Mitgliedstaaten auf ihre Leistungen der Daseinsvorsorge blicken.
TPO: Wie ist es so als Interessensvertreter in Brüssel zu arbeiten? Ist das nicht eine harte und manchmal frustrierende Arbeit?
Unsere Unternehmen und Mitglieder erkennen zunehmend, dass sie sich den Entscheidungen aus Brüssel stellen müssen und sich pro-aktiv an diesen beteiligen müssen. Daher erhalten wir viel Rückendeckung von unserer Mitgliedschaft für unsere Europaarbeit.
TPO: Reden Sie lieber mit EU-Parlamentariern oder Kommissionsbeamten?
Beide Institutionen haben ihre spezifischen Aufgaben und sind daher je nach dem Zeitpunkt, in dem wir uns in der Gesetzgebung befinden gleich wichtig und werden daher auch gleichberechtigt von uns adressiert.
Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es eine dritte Institution gibt, die in der Gesetzgebung ebenso wichtig ist und das ist der Ministerrat. Die Mitgliedstaaten haben nach wie vor einen erheblichen Einfluss auf die Europaarbeit, weswegen es ebenso wichtig ist, gleichzeitig mit der EU-Kommission und dem EU Parlament gleichzeitig auch die Ministerien in Berlin anzusprechen.
TPO: Die meisten bei uns im Verband der Jungen Europäischen Föderalisten sind Studenten und sind nach dem Studium auf Jobsuche. Was braucht man so für Fähigkeiten als Interessensvertreter in Brüssel oder in Berlin?
Das A und O eines Interessenvertreters ist die soziale Kompetenz, die Kommunikationsfähigkeit und Integrität und damit einhergehen – was die Europaarbeit besonders betrifft – auch die Kompromissfähigkeit. Unsere Arbeit wird nicht am Schreibtisch gemacht. Sollte man sich das Ziel setzen, Interessensvertreter werden zu wollen, muss man sich darüber bewusst sein, dass dies viele Gespräche und viele Reisen erfordert und damit viel Flexibilität abverlangt. Das ist kein 9-to-5-Job.
TPO: Die JEF fordert vor dem Hintergrund der aktuellen Euro-Krise weitere Schritte Richtung einer europäischen Föderation zu gehen. Als kritische junge Europäer verstehen wir hier explizit keinen Zentralismus, sondern Subsidiarität und eine sinnvolle Kompetenzverteilung. Als Vertreter kommunaler Unternehmen: Könnten Sie uns hier zustimmen?
Sowohl der VKU als auch der CEEP stehen hinter einem starken Europa. Die großen Herausforderungen der EU zum Beispiel die Finanz- und Wirtschaftskrise oder die Jugendarbeitslosigkeit können wir nur gemeinsam lösen. Dazu braucht es einer starken EU. Wenn man eine gemeinsame Währung hat, kommt man nicht um eine gemeinsame Fiskalpolitik herum – auf dem Weg sind wir gerade.
Man wird ebenfalls nicht umhin kommen, zu prüfen, ob Instrumente wie Infrastrukturbonds oder Regionalfonds ökonomisch sinnvoll eingesetzt werden. Doch ob Brüssel die dezentrale Versorgung mit Wasser regeln oder Vorgaben zu wassersparenden Armaturen machen sollte, das möchte ich mit drei Fragezeichen versehen.
Der Jurist Hans-Joachim Reck ist seit 2007 Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) und seit 2011 Präsident des Europäischen Zentralverbandes der öffentlichen Arbeitgeber und Unternehmen in Europa (CEEP - European Centre of Employers and Enterprises providing Public services).
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