Ich laufe durch die Fußgängerzone von Düren, einer 90.000 Einwohner Stadt zwischen Aachen und Köln. Plötzlich erblicke ich zwei Männer und bleibe stehen. Nur 100 Meter von mir entfernt haben sie sich positioniert. Der eine lehnt sich an einen Stand, der andere steht davor und hält Broschüren in der Hand. Eingerahmt wird die Szene durch zwei blaue Info-Tafeln: „Mut zur Wahrheit“ steht auf der einen.
„Das gibt’s doch nicht“, denke ich. Doch, die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist offenbar gut genug organisiert, um hier in der Provinz Präsenz zu zeigen. Ich harre inne und überlege, was ich machen soll. „Geh hin!“, ruft eine Stimme in mir. „Konfrontiere diese Leute! Du hast drei Jahre European Studies studiert, du kannst sie argumentativ fertig machen“. Doch dann meldet sich ein anderer Gedanke zu Wort: „Und was, wenn nicht? Wenn sie besser vorbereitet sind als du? Und überhaupt, das würde doch sowieso nichts ändern.“ So in Gedanken versunken, laufe ich auf und ab. Wie ein Tiger am Gitter seines Zoogeheges, jedoch immer auf Abstand. Schließlich hole ich mein Handy aus der Tasche, mache ein Foto und wende mich ab.
Am Abend ärgere ich mich über meine Feigheit. Es ist einfach, die Alternative für Deutschland in Artikeln für ihre Ideen anzugreifen. Aber sie persönlich zu konfrontieren, erfordert mehr Courage. Ich hätte es tun sollen.
Denn dieser Vorfall illustriert ein Problem, dem sich die JEF und andere Pro-Europäer seit Jahrzehnten verweigern: wir wirken nicht auf der Straße. Dort, wo wir auch mit jenen reden könnten, die nicht wissen, wie das Europäische Parlament funktioniert und was den Rat der Europäischen Union vom Europäischen Rat unterscheidet. Beispiel: Schon in den 1970er Jahren steht im JEF-Mitgliedermagazin, dass wir uns weniger akademisch und besser verständlich ausdrücken müssen. Geschehen ist seitdem nichts, wie ein Blick auf unser Grundsatzprogramm belegt. Unser Traum vom europäischen Bundesstaat wird allerdings nicht wahr werden, wenn wir nicht die Massen überzeugen. Denn in einer Demokratie ist nun einmal jede Stimme gleichwertig und nur, weil der JEFer im Durchschnitt zehn mal so viel von Europa versteht wie ein Fabrikarbeiter, hat sie oder er dennoch nicht mehr Stimmrecht.
Daraus folgt: Wir JEFer müssen uns fit machen, um andere mit unseren Vorstellungen von Europa konfrontieren zu können. Die anstehende Akademie zum Thema Föderalismus ist ein guter erster Schritt. Weitere Fortbildungen könnten auf Landesebene organisiert werden. Außerdem könnten wir es wie die Parteien im Bundestagswahlkampf machen: Sie stellen ihren Wahlkämpfern Karten zu Verfügung, auf denen die Parteiforderungen mit Argumenten und Zahlen gestützt sind. Denkbar wären Gedankenstützen zum Europaparlament, dem Demokratiedefizit, dem EU-Budget und dergleichen. Mit diesen Karten im Gedächtnis oder Hand, hätte ich die AfD-Männer leichter konfrontieren können.
Europa ist mehr als die Wirtschafts- und Finanzkrise. Europa sind die Menschen und ihren Erfahrungen mit der EU. Das wollen wir sichtbar machen. Deswegen erscheint nun jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de die Kolumne „Wir in Europa“. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden.
1. Am 3. September 2013 um 18:22, von Marcel Wollscheid Als Antwort Zu feige für die Konfrontation
Hallo Vincent,
ich finde einen Gedankengang in diesem Artikel doch sehr unglücklich dargelegt:
„Denn in einer Demokratie ist nun einmal jede Stimme gleichwertig und nur, weil der JEFer im Durchschnitt zehn mal so viel von Europa versteht wie ein Fabrikarbeiter, hat sie oder er dennoch nicht mehr Stimmrecht.“
Ich wage zu behaupten, dass du mit dieser unterschwelligen Einstellung niemanden von Europa überzeugen können wirst.
Das Problem, der Vertrauensverlust in die Europäische Union, liegt meiner Meinung nach nicht am mangelnden Wissen in der Bevölkerung. Der Vertrauensverlust geht doch viel mehr auf die Staatengemeinschaft selbst zurück. Beispiele dafür sind der mehrfache Bruch der Stabilitätspakte oder die faktische Aussetzung der No-Bailout Klausel. Europa hat sich in diesen Punkten unfähig und unverlässlich gezeigt, seine eigens auferlegten Regeln einzuhalten. Das war der Nährboden für die Euro-Krise und das Entstehen von Gruppen a la AfD. Die Menschen vergessen das nicht.
Die JEF sollten darauf nicht mit Belehrung reagieren. Es ist wichtig, mit Leidenschaft die europäische Idee zu vertreten. Ebenso wichtig wird es aber sein, neues Vertrauen für das politische Konstrukt Europa gewinnen. Das gelingt nur durch die Macht des Faktischen: eine Europäische Union, die ihre eigenen Regeln einhält und gerade in Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion Stabilität und Verlässlichkeit ausstrahlt. Damit lässt sich nicht nur neues Vertrauen gewinnen - sondern auch die Argumentation gegen die AfD.
Danke für deinen Einsatz & viele Grüße, Marcel Wollscheid
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