EU-Taxonomie: Erdgas und Atomkraft nun nachhaltig?

Alles im eigenen Interesse

, von  Sarah-Juliane Ruge

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Der fossile Brennstoff Erdgas soll neben Atomkraft und erneuerbaren Energien nach Plänen der EU-Kommission unter bestimmten Voraussetzungen als „nachhaltig“ eingestuft werden können. Foto: European Union, 2021 / Aurore Martignoni / Copyright

Sind Erdgas und Atomkraft grün und nachhaltig? Seit dem 02. Februar 2022 offensichtlich schon - das hat die EU-Kommission beschlossen. Sie legt in der Taxonomieverordnung fest, dass Investitionen in Atom- und Erdgasenergie unter bestimmten Voraussetzungen als klimafreundlich eingestuft werden können.

So sollen Kernkraftwerke als nachhaltig gelten, sofern ein Plan zur Entsorgung hoch radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird und die Anlagen den neuesten technischen Standards entsprechen. Gaskraftwerke sollen unter anderem dann als nachhaltig eingestuft werden, wenn sie bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen betrieben werden.

Im Vorfeld hatte es massive Kritik aus der Bevölkerung sowie aus mehreren Mitgliedsländern an dem Vorschlag gegeben, der die beiden Energiequellen als Brückentechnologie deklariert. Doch so groß wie es erscheint, ist der Widerstand gegen die Regelung gar nicht. Der Grund: Viele Länder profitieren von der Verschiebung und die Voraussetzungen der Mitgliedsstaaten könnten teilweise unterschiedlicher nicht sein.

Frankreichs Liebe zur Atomkraft

Einer der größten Befürworter der Atomkraft ist Frankreich. Das Land setzt schon lange - sowohl allgemein als auch in Nachhaltigkeitsfragen - bei der Energieversorgung voll auf Kernenergie. Über 70 Prozent des im Jahr 2020 erzeugten Stroms kam aus Atomkraftwerken. Zum Vergleich: In Deutschland waren es im selben Jahr etwa 11 Prozent. Aktuell hat das Land 56 Reaktoren an 18 Standorten. Am 10. Februar verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron eine “Renaissance” der Atompolitik. Er versprach den Bau von 6 bis 14 neuen Atomkraftwerken. Mit Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie würden die bestehenden Werke als grün eingestuft werden - sofern sie die oben genannten Voraussetzungen erfüllen. Die Instandhaltungskosten sowie der Bau neuer Werke wäre so eine nachhaltige Investition und würde von der EU gefördert werden.

In Bezug auf die Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomieverordnung ist Frankreich zwar der Größte aber nicht der einzige Befürworter. Auch Finnland, Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, sowie Slowenien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien gehören dazu. Zusätzlich haben weitere Mitgliedsstaaten angegeben, ihre Einstellung zur Atomkraft überdenken zu wollen. Sollten sie sich zur Atomenergie bekennen, wären die Befürworter der Technologie in der EU in der Mehrheit.

Das “grüne” Gas

Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 wurde bereits ein großer Teil der deutschen Atomkraftwerke vom Netz genommen. Von den verbliebenen sechs wurden 2021 drei weitere heruntergefahren. Die Abschaltung der letzten drei soll zum Ende diesen Jahres folgen. Es ist daher wenig überraschend, dass die Bundesregierung sich klar gegen die Einstufung von Atomenergie als nachhaltig ausspricht. Anders sieht es da bei Erdgas aus. Dieses nutzt Deutschland bereits als Brückenlösung, um seinen Energiebedarf zu decken. Langfristig sollen regenerative Energien wie Solar und Windkraft, fossile Brennstoffe - zu denen auch Erdgas gehört - überflüssig machen. Bis es soweit ist, kommt die Taxonomieverordnung zu Erdgas Deutschland durchaus entgegen.

Ähnlich sieht es beim östlichen Nachbarn aus. Polen deckt aktuell 70 Prozent seines Energiebedarfs mit Kohle. Als Alternative zum CO2-lastigen Energieträger will das Land künftig vermehrt auf Erdgas setzen - und anders als Deutschland auch auf Atomenergie. Auch in anderen osteuropäischen Ländern ist der Anteil an Kohleenergie massiv. Der Umstieg auf regenerative Energiequellen ist für sie teuer und umständlich. Gas und Atomkraft scheinen daher die naheliegenden Alternativen, um einen Übergang zu gestalten. Teilweise verfügen die Länder, so wie etwa Tschechien, bereits über Atommeiler.

Die Argumente dagegen

Für einen großen Teil der Mitgliedstaaten bietet die Taxonomieverordnnung zu Atom- und Erdgasenergie finanzielle und logistische Vorteile. Doch es gibt auch Staaten, die sich gegen den Beschluss stellen. Einer davon ist Österreich. Was erneuerbare Energien angeht, liegt Österreich EU-weit nach Norwegen auf Platz 2. Rund 76 Prozent der Energieversorgung des Alpenlandes wird aus erneuerbaren Energien gewonnen - der Großteil davon durch Wasserkraft. Die österreichische Regierung will nun mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Beschluss vorgehen. Klimaschutzministerin Leonore Gewesseler (Grüne) bezeichnet die Entscheidung der Kommission zu Atomkraft und Erdgas als “Greenwashing-Programm”. Auch Luxemburg ist gegen die Entscheidung der Kommission. Das Land will sich offenbar der Klage anschließen. Neben Österreich und Luxemburg sprachen sich kürzlich auch der spanische Regierungschef Pedro Sanchez und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen gegen die Taxonomie-Aufnahme von Gas und Atomkraft aus.

Die Gegner der Verordnung sehen vor allem folgende Gefahren: Durch die neuen Anreize für Gas und Atomkraft könnten Investitionen in regenerative Energien unattraktiv werden. Der CO2-Ausstoß der EU könnte so langsamer sinken als nötig. Und die Gefahr durch Atomkraft - zum einen durch einen möglichen GAU, zum anderen durch mehr radioaktiven Müll - steigt deutlich. Sie sehen in dem Vorschlag der Kommission einen Verstoß gegen die Vorraussetzung der Taxonomieverordnung, die unter anderem besagen, dass die Technologien keine “erhebliche Beeinträchtigung anderer Umweltziele” verursachen dürfen.

Wie geht es weiter?

Der Vorschlag der EU-Kommission ist ein delegierter Rechtsakt. Nach vier Monaten wird er rechtskräftig. Verhindern ließe sich das nun nur noch, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten - also 55 Prozent der Mitgliedsländer, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten - oder das Europäische Parlament mit einer absoluten Mehrheit dagegen stimmt. Das dies passiert, ist unwahrscheinlich. Eine Nichtigkeitsklage vor dem EuGh, wie sie Österreich anstrebt, hätte angesichts dessen wohl noch größere Chancen auf Erfolg. Diese Klage kann allerdings erst offiziell eingereicht werden, wenn der Vorschlag der Kommission nach vier Monaten rechtskräftig ist. Die Richter hätten somit das letzte Wort bei der Weichenstellung der europäischen Energiepolitik der nächsten Jahrzehnte.

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