Queere Menschen in Polen

Am Ende des Regenbogens: “LGBT-ideologiefreie Zonen” in Polen

, von  Benedikt Putz

Am Ende des Regenbogens: “LGBT-ideologiefreie Zonen” in Polen
Pride-Parade 2018 in Częstochowa Foto: Wikimedia Commons / Silar / Copyright

Seit knapp drei Jahren ist die Situation der LGBT+ Community in Polen ein zentrales Thema in der europäischen Medienlandschaft. Angefangen mit den ersten “anti-LGBT-Ideologie-Erklärungen” in der Woiwodschaft Lublin und den gewalttätigen Ausschreitungen rund um den Equality March im ostpolnischen Białystok im Frühling und Sommer 2019, hat sich die Lage nicht verbessert. Im Rainbow Europe Index der NGO ILGA Europe landet Polen 2022 zum dritten Mal infolge auf dem letzten Platz der EU-Mitgliedstaaten. Der Blick auf Polen lohnt sich also, um mehr über die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten generell zu erfahren.

Mein Zugang zu diesem Thema ist ein sehr persönlicher. Ich habe in Polen gelebt und fühle mich dem Land weiterhin sehr verbunden. Das Schreiben dieses Artikels ist für mich daher keine leichte Aufgabe, aber ich versuche, durch meinen Einblick in die politische Kultur Polens eine andere Perspektive auf dieses Thema darzustellen. In Polen wird die Diskussion um die Rechte sexueller Minderheiten mindestens genauso emotional und hart geführt wie im Rest Europas. Es gibt jedoch einige Eigenheiten dieser Diskussion in unserem Nachbarland, die sich aus dessen sehr spezieller Geschichte ergeben und aus der westeuropäischen Perspektive oft nur schwer eingeordnet werden können.

Polen: Toleranz im Herzen Europas

Um die aktuelle Situation besser nachvollziehen zu können, lohnt sich ein Blick in die bewegte Geschichte Polens. Vom Spätmittelalter bis weit ins 18. Jahrhundert war Polen-Litauen einer der bedeutendsten und größten Staaten Europas. Während Polen heute zwar immer noch das sechstgrößte Land der Europäischen Union ist, spielt eine andere historische Gegebenheit eine weitaus größere Rolle in diesem Zusammenhang.

Die polnische Geschichte ist über weite Strecken durch eine besondere Form der Toleranz geprägt. Während es anderswo in Europe wie im Heiligen Römischen Reich oder im Königreich Frankreich zur Verfolgung von Jüd*innen bzw. Protestant*innen kam, galt Polen stets als „sicherer Hafen“. Hier herrschte zwar keine absolute Toleranz, die eine Gleichstellung aller Bevölkerungsgruppen garantierte, aber im Vergleich zu vielen anderen Ländern war die Lage deutlich besser. So überrascht es wenig, dass in der jüdisch-aschkenasischen Kultur Polen vom Spätmittelalter bis ins 18. Jahrhundert als „Paradies“ bezeichnet wurde. Insbesondere vor dem Hintergrund der Gräueltaten, die durch fremde Mächte auf polnischem Boden verübt worden, tritt diese historische friedliche Koexistenz in den Vordergrund.

Die Bedeutung und „Nutzung“ der Vergangenheit

Für das politische Selbstverständnis Polens spielt die eigene Geschichte eine übergeordnete Rolle. Und so wird auch im Zusammenhang mit den “anti-LGBT-Ideologie-Erklärungen” stets auf die eigene Vergangenheit verwiesen. Laut dem de facto Regierungschef Jarosław Kaczyński könne Polen nämlich gar nicht intolerant sein und jegliche Kritik an der aktuellen Situation sei nur eine Verurteilung ’von außen’, die in Polen sowieso auf taube Ohren stoßen müsse. Viele dieser Maßnahmen sind jedoch genau das: diskriminierend und intolerant. Besonders aus deutscher Sicht ergibt sich dadurch ein komplexes Spannungsverhältnis. Vielmehr ist dies jedoch auch eine Herausforderung auf europäischer Ebene, da jegliche Gegenmaßnahmen aus Brüssel mit dem Ziel, die Lage für sexuelle Minderheiten in Polen zu verbessern, von der PiS-Regierung als Fremdeinmischungen ohne Legitimation abgetan werden.

Das zentrale Narrativ der politischen Rechten in Polen lässt sich unter dem Motto „Bóg, Honor, Ojczyzna“ (Gott, Ehre, Vaterland) zusammenfassen. Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien wie die Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) oder die Oppositionspartei Konfederacja benutzen die polnische Geschichte, um eine Legitimationsgrundlage für ihre Position zu schaffen. Im Falle der “LGBT-ideologiefreie Zonen” bedeutet dies, dass sexuelle Minderheiten als „unpolnisch“ und „unchristlich“ dargestellt werden und als Bedrohung für die polnische Einigkeit und Unabhängigkeit verkauft werden. Vor dem Hintergrund, dass Polen von 1795 bis 1918 nicht als eigenständiger Staat existierte und im 20. Jahrhundert den Invasionen durch NS-Deutschland und Sowjet-Russland zum Opfer fiel, trifft diese Darstellung von sexuellen Minderheiten als Bedrohung auf fruchtbaren Boden.

Eine gespaltene Gesellschaft

Wie in vielen Staaten ziehen sich auch durch Polen heute einige Trennlinien. Auf der einen Seite gibt es die progressiv-liberal eingestellten Großstadtbewohner*innen, jungen Leute, Besserverdienende und Pol*innen im Westen des Landes und auf der anderen Seite die traditionalistisch-konservative Landbevölkerung im Osten und den älteren Teil der Bevölkerung. Auch wenn diese Gräben nicht immer eindeutig und unüberwindbar sind, stehen sich heute zwei verhärtete Fronten in Polen gegenüber. Das Resultat dessen sind gewalttätige Ausschreitungen im Zuge von Demonstrationen und extreme Diskriminierungsmaßnahmen wie die „anti-LGBT-Ideologie-Erklärungen“ einiger Gemeinden, Landkreise und Woiwodschaften in Ostpolen.

Dieses Problem wird durch die traditionellen Institutionen Polens weiter verstärkt. Vor allem die katholische Kirche spielt dabei eine zentrale Rolle. Während der Teilungen Polens und der Zeit der sozialistischen Diktatur stellte sie stets ein Gegengewicht zur herrschenden Macht dar und war somit die wichtigste Institution für die Bewahrung der polnischen Sprache und Kultur. Diese in der Geschichte verankerte Position der Kirche wird heute jedoch oft als Plattform für Hassbotschaften gegen Minderheiten missbraucht. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist der Krakauer Erzbischof Jędraszewski, der nur wenige Tage nach der Gewalt gegen den CSD in Białystok die „Regenbogenplage“ in eine Reihe mit der „roten Plage“ der sozialistischen Gewaltherrschaft stellte. Dies wurde weder durch den Vatikan noch durch andere polnische Diözesen verurteilt und somit scheint der Weg für solche Hassbotschaften von kirchlicher Seite stets offen zu sein.

Ein harter Kampf für Gleichberechtigung

Die queere Community und Teile der polnische Zivilgesellschaft schauen dem Treiben aber nicht einfach tatenlos zu. Der Kampf für Gleichberechtigung wird so hart wie in kaum einem anderen Land Europas geführt und es kommt regelmäßig zu Großdemonstration in den Großstädten des Landes. Dazu nimmt der Protest inzwischen viele verschiedene Formen an und Kreativität steht dabei stets im Mittelpunkt. Vor allem soziale Netzwerke werden viel genutzt, um sich den rechts-nationalistischen Narrativen der PiS-Regierung und zu widersetzen. In einem Land, in dem sowohl die Justiz als auch die Medien immer mehr auf Regierungslinie sind, erfordert auch dies eine Menge Mut und Risikobereitschaft. Daran scheint es aber nicht zu mangeln.

Der wohl bekannteste polnische LGBT-Aktivist ist der in Schweden geborene Bart Staszewski. Durch seinen künstlerischen Umgang mit den “anti-LGBT-Ideologie-Erklärungen” erlangte er weltweit Aufmerksamkeit für die sich verschlechternde Lage sexueller Minderheiten in Polen. Staszewski, Organisator des ersten Gleichberechtigungsmarschs in Lublin, starte Ende 2019 eine Fotokampagne, um auf die “anti-LGBT-Ideologie-Erklärungen” aufmerksam zu machen. Dabei fotografiert er sich mit einem Schild mit der Aufschrift „LGBT-freie Zone“ in mehreren Sprachen vor den Ortsschildern der Gemeinden, die eine solche Erklärung unterzeichnet haben. Dank dieser Aktion gerieten einige der Gemeinden so stark unter Druck, dass sie ihre “anti-LGBT-Ideologie-Erklärungen” zurücknehmen mussten. Bart Staszewskis unermüdlicher Einsatz für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten in Polen ist zweifelsohne das bekannteste Beispiel, aber bei weitem nicht das einzige. Es gibt eine Vielzahl mutiger Pol*innen, die entschlossen vorangehen und die Unterdrückung nicht länger hinnehmen wollen.

Ein (hoffnungsvoller) Blick in die Zukunft

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist wie wir mit der Situation umgehen können und wollen. Ein Stillschweigen über die aktuelle Lage von sexuellen Minderheiten in Polen ist jedenfalls keine Möglichkeit. Sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention als auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verpflichten die Unterzeichnerstaaten zur Gewährleistung von Freiheits- und Grundrechten. Beide wurden von Polen als Mitgliedstaat des Europarats und der EU ratifiziert. Ein gleichberechtigtes Leben frei von Diskriminierung sollte also auch in Polen für alle Menschen gewährleistet sein.

Zukünftige Maßnahmen müssen sich jedoch mehr an der politischen Realität Polens orientieren. Wir sollten inzwischen gelernt haben, dass politische Drohungen von Seiten der Europäischen Kommission wenig hilfreich sind. Auch wenn dies leichter und effizienter erscheinen mag, ist dieses Problem so einfach nicht zu lösen. Ein möglicher Lösungsansatz könnte sich vor allem an den gemeinsamen Interessen Polens und dem Rest Europas orientieren. Insbesondere im Kontext der russischen Invasion in der Ukraine hat sich in Europa ein weiteres Mal die Kluft zwischen liberalen Demokratien und autoritären Terrorregimen aufgetan. Die polnische Jugend scheint dies auf jeden Fall verstanden zu haben und die überragende Zustimmung für die Werte der EU in Polen zeigt, dass es ein großes Potenzial für eine zukünftige Besserung der Lebensumstände für sexuelle Minderheiten gibt. Die nächsten Jahre und insbesondere die kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen werden eines zeigen: Quo vadis Polonia?

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