Die Krise des Nationalstaates am Anfang des 20. Jahrhunderts fand in den beiden Weltkriegen, der großen Depression, dem Faschismus und dem Nationalsozialismus ihren Ausdruck. Tatsächlich konnte diese Staatsform nicht den Übergang von der ersten zur zweiten Welle der industriellen Revolution beherrschen. Stattdessen gelangten große Staaten wie die USA und die UdSSR an die Spitze der Weltmacht und brachten gleichzeitig den Zerfall der europäischen Nationen mit sich.
Was die aktuelle Krise von den vorherigen unterscheidet ist der Widerspruch zwischen der Globalisierung der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Neu ist auch die makroregionale Dimension der größten Staaten, die aber weder die Finanz- und Wirtschaftskrise meistern, noch die Finanzoligarchen unter Kontrolle halten können. Die Arbeitslosigkeit hat eine Rekordhöhe von 26 Millionen erreicht. Das entspricht etwa 12 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung.
Die Wirtschaftskrise entwickelt sich so zunehmend zu einer sozialen Krise. Und die darauß entstehenden Proteste gegen die Sparpolitik bergen das Risiko einer institutionellen Krise. Mittendrin steht die EU, kann aber nur eingeschränkt handeln, weil sie zwar mit einer einheitlichen Währung ausgestattet ist, aber keine eigene Regierung hat. Um die Krise zu lösen braucht es eine radikale Veränderung in der Art, wie die Welt regiert wird. Die Rolle des Markts und der politischen Institutionen muss neu definiert werden. Internationale Wirtschaftsorganisationen sollten gestärkt und demokratisiert werden, um den globalen Markt steuern zu können. Bisher sind wir der Meinung, dass durch wirtschaftliche Erholung und Wachstum neue Arbeitsplätze entstehen. Doch die neuesten Ereignisse wiederlegen diese Annahme. Stattdessen können neue Arbeitsplätze auch auf andere Weise geschaffen werden. Ebenso kann die Einführung neuer Technologien das Wachstum stimulieren, dabei aber nicht notwendigerweise neue Arbeitsplätze schaffen.
Erfolgreiche Unternehmen bauen Arbeitsplätze ab
Bisher hatte ein Rückgang der Beschäftigung in einem alten Sektor alternative Arbeitsplätze in einem neuen Sektor zu Folge. Fehlende Arbeitsplätze in der Landwirtschaft konnte die Industrie ausgleichen, arbeitslose Industriearbeiter fanden im Dienstleistungssektor eine neue Anstellung. Heute verschlucken Internetdienste wie E-Mail, Internetbanking und Magnet- oder Geldkarten unzählige Bürojobs in der öffentlichen Verwaltung, in Banken, Postämtern, Reisebüros und vielen anderen Bereichen. Folglich wird - bei einem Anstieg des Wirtschaftswachstums - in neue Technologien investiert, also in einen Bereich, wo weniger Mitarbeiter gebraucht werden. Ein Widerspruch der momentanen Situation ist, dass die erfolgreichsten und wettbewerbsfähigsten Unternehmen ihre Arbeitsplätze abbauen. Arbeitslosigkeit ist daher nicht mehr einfach nur die Folge eines negativen wirtschaftlichen Entwicklung, sondern vielmehr ein strukturelles Phänomen.
Neuer Wachstumsmotor: High-Tech-Innovation
Arbeitsplätze entstehen nur noch in Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Wohnungswirtschaft, soziale Dienste, Forschung und Bildung. Wir starten damit ein neues historisches Zeitalter: die wissenschaftliche Revolution der materiellen Produktion. Unter dem Impuls der Wissensgesellschaft kann sich ein neues Modell der ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung ausprägen, dessen Eigenschaften aber kaum wahrgenommen werden können. Arbeiter und Angestellte, die direkt in den Fabriken und Büros beschäftigt sind, werden schrittweise durch unabhängige Stellen, freiberufliche Tätigkeiten und kleine kooperative Unternehmen ersetzt. Neue Bedürfnisse setzen sich aufgrund der verbesserten Lebensqualität gegenüber herkömmlichen Waren und Dienstleistungen durch. Auch wenn der Produktionssektor keine neuen Arbeitsplätze schafft, erzeugt er Innovation, Wohlstand und einen hohen Wertzuwachs. Der neue Wachstumsmotor heißt High-Tech-Innovation, die bei erneuerbaren Energien, Medizin, Elektronik, Information und Kommunikation, Weltraumtechnik, Mode, Design und in weiteren Bereichen ihre Quellen findet.
Vollbeschäftigung ist ein Gemeinnutzen, der (wie der Umweltschutz) nicht durch den Markt bereitgestellt werden kann. Politiker verschiedener Regierungen teilen die Meinung, dass Märkte in der Lage sein sollten, sich selbst zu regulieren und daher keine staatliche Regulierung brauchen. Daher entziehen sie sich ihrer Verantwortung, den Markt stärker in die Pflicht zu nehmen und dafür Regeln udn Institutionen aufzustellen. Gleichzeitig schwächt die Globalisierung der Produktionsprozesse und Finanzmärkte, die Liberalisierung der Arbeitsmärkte und die massive Arbeitslosigkeit die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zunehmend. Die Arbeitsmärkte werden flexibler bei Löhnen, Arbeitszeiten und untypische Beschäftigungsformen. Die Lücke, die durch tatenlose Politiker und schwache Gewerkschaften entsteht, füllen nun die Finanzoligarchien und alle Arten von wirtschaftlichen und sozialen Machthabern, und ebnt somit den Weg für die Ausbreitung von organisierter Kriminalität und Terrorismus. Der Mangel an politischer Kontrolle führte auf direktem Wege in die Finanz- und Wirtschaftskrise. Nur durch ein Eingreifen der öffentlichen Hand kann diese Anarchie der Märkte korrigiert werden. Diese Lektion hätten wir schon aus den Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise 1929 ziehen müssen und die keynesianische Theorie besagt, dass ein Eingreifen der Politik notwendig ist, um die Krise zu bewältigen.
Regierungen müssen die Arbeitszeit verringern
Aber wie kann das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst werden? Zunächst wird der Arbeitsmarkt dadurch verzerrt, dass zu wenig Menschen zu viel arbeiten und zu viele Menschen keine Arbeit haben. Folglich muss erst eine gerechtere Verteilung von Arbeit gewährleistet werden. Diese Aufgabe können nur Regierungen lösen, und zwar durch eine Verringerung der Arbeitszeit. Die Menschheit hat immer davon geträumt, sich nicht mehr mit manueller Arbeit plagen zu müssen. Aristoteles schrieb, „wenn jedes Werkzeug in der Lage wäre seine Aufgabe auf Befehl auszuführen [...] Spulen aus eigenem Antrieb weben und Plektren die Zither spielen würden, dann würden Handwerker keine Lehrlinge und Chefs keine Sklaven mehr brauchen“. Die wissenschaftliche Revolution lässt diesen Traum immer realer werden. Was fehlt ist der richte Weg dorthin. Bisher werden die Vorteile dieser Revolution von multinationalen Wirtschaftsmächten monopolisiert, aber der Großteil der Menschen wird ausgeschlossen.
Eine weitere Möglichkeit ist ein europäischer Zivildienst, um die Bildung von supranationaler Solidarität und aktiver Bürgerschaft zu fördern und den Jugendlichen das Arbeiten näherzubringen. Außerdem sollten die Behörden - egal ob in Gemeinden oder der Weltgemeinschaft - eine zentrale Rolle in der Produktion von öffentlichen Gütern einnehmen, wie bei Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Gesundheit, Menschenrechte, Bildung und dem Schutz von sozial schwachen Gruppen.
Ein eigener Haushalt für die Eurozone
Nur supranationale politische Institutionen können sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene das Versagen des Marktes und das Versagen der internationalen Zusammenarbeit stoppen. Ein erster Schritt wäre eine gemeinsame Initiative zur Finanzierung eines öffentlichen Investitionsplans. Das kann zum Beispiel die Finanztransaktionssteuer sein, die derzeit von der Europäischen Kommission und von elf EU-Mitgliedstaaten unterstützt wird. Diese Steuer sollte einen Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung und Beschäftigung fördern und kann somit die Geburtsstunde eines eigenen Haushalts der Eurozone darstellen. Bisher ist die europäische Einigung ein unerfülltes Projekt, trotzdem ist die EU immer noch die am stärksten regulierte Region der Welt. Jetzt liegt es an Europa, eine neue Politik der Wachstumsförderung und des Kampfes gegen Ungleichheiten zu starten.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch auf Federalist Debate.
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