Die europäische Gesetzgebung: Herausforderungen und Perspektiven
Immer wieder kommt es vor, dass Bioprodukte durch benachbarte Felder unbeabsichtigt mit Pestiziden oder genetisch modifizierten Organismen verunreinigt werden. Nach dem Willen des Agrarausschusses im Europäischen Parlament sollen die Landwirte in solchen Fällen ihre Bio-Zertifizierung nicht verlieren. Der Vorschlag des Parlaments ist Teil der Reform des Kriterienkatalogs für die ökologische Landwirtschaft, die die Europäische Kommission 2011 angestoßen hatte. Die Kommission hatte ursprünglich vor, die Kriterien zu verstärken, um Skandale zu verhindern und das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen. Die Vorschläge der Kommission sahen außerdem das Aus für die gemischte Landwirtschaft vor, um die Kontrolle der Produkte zu vereinfachen. Das Europäische Parlament möchte seinerseits die Entwicklung des ökologischen Anbaus fördern und spricht sich daher gegen zu strenge Rahmenbedingungen aus, die Marktneuzugänge abschrecken könnten. Was Pestizide angeht, haben sich die Europaabgeordneten für Vorsichtsmaßnahmen, nicht jedoch für genau definierte Grenzwerte ausgesprochen.
Doch damit haben die Abgeordneten des Agrarausschusses eine Reihe von Maßnahmen verabschiedet, die die Grundsätze des Biosektors in Frage stellen. Ein Bioprodukt ist von Haus aus ein Produkt, das keinerlei chemische Substanzen oder gentechnisch veränderte Merkmale aufweist und dessen Produktion Tierschutzstandards beachtet. In Frankreich darf ein Bioprodukt nicht mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderte Organismen oder Pestizide enthalten. Werden bei einer Kontrolle höhere Werte festgestellt, verliert das Produkt seine Zertifizierung. Diese Regel wird durch die Entscheidung des Europäischen Parlaments in Frage gestellt.
Hin zu einer industriellen ökologischen Landwirtschaft?
Die Reform des Kriterienkatalogs der ökologischen Landwirtschaft kann ein Einfallstor für eine allgemeine Herabsenkung der Regeln für Produkte aus ökologischer Landwirtschaft sein und für einen geringeren Qualitätsstandard dieser Produkte sorgen. Mehr Produkte mit Biolabel sind per se gut für die Verbraucher, zur Debatte steht jedoch, ob die Qualität mitziehen kann. Wir sehen uns hier den gleichen Risiken ausgesetzt wie bei der industriellen Landwirtschaft. In Deutschland zum Beispiel mussten kürzlich mehrere tausend „Bioeier“ zurückgerufen werden, weil die Hühner mit nicht-biozertifizierter Nahrung gefüttert worden waren.
Und trotzdem geht der Erfolg der Biolandwirtschaft weiter. Sie beträgt durchschnittlich 5,7 Prozent der landwirtschaftlichen Anbauflächen der EU-Staaten. In Österreich sind es mehr als 20 Prozent, 10 Prozent in Schweden, Estland, der Tschechischen Republik, Lettland und Italien. Im Jahr 2015 ist der Sektor europaweit um 10 Prozent gewachsen.
Die Verbraucher sind jedoch angesichts der großen Vielfalt an Labels und europäischer Regelungen verwirrt. Die Kennzeichnung der Lebensmittel und ihrer Inhaltsstoffe ist auf europäischer Ebene stark umstritten. Der Gegensatz zwischen Parlament und Kommission zeigt: Es ist schwierig, auf europäischer Ebene ein Gleichgewicht zwischen der Unterstützung des boomenden Marktes und Qualitätsansprüchen zu finden.
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