Brand New Bundestag - Schluss mit alten weißen cis-Männern im Plenarsaal?

, von  Tanja Schmidt

Brand New Bundestag - Schluss mit alten weißen cis-Männern im Plenarsaal?
Bis zum 26.September 2021 wird in Deutschland der Bundestag gewählt. Foto: Unsplash / Mika Baumeister / Unsplash Lizenz

Es sind noch wenige Tage bis zur Bundestagswahl. Die Ära Merkel geht nach 16 Jahren zu Ende. Wird sich nach ihr viel ändern? Wohl kaum. Wenn man sich den Bundestag anschaut, wird schnell klar: Das Problem ist institutionell. Bundestag ist überwiegend weiß, mit akademischer Bildung, etwas älter und cis-männlich. Es gibt daher Menschen, die denken, dass die Köpfe der jetzigen Bundesregierung fernab von einer wahren Repräsentation der Gesellschaft sind. Darüber hinaus auch die Annahme fernab von möglichen Lösungen aktueller Problematiken zu agieren. Das sagt auch die neue Bewegung Brand New Bundestag und stößt zu einem Umdenken an. Es ist Zeit für Umbrüche und Veränderung hin zu einer diversen und progressiven Politik.

Ein Interview mit Campaignerin Maja Bisanz von Brand New Bundestag.

treffpunkteuropa.de: Wie bist du zu Brand New Bundestag gekommen?

Maja Bisanz: Ich habe damals im Februar 2021 am Wochenende beim Durchscrollen der SZ einen Artikel über Franka Kretschmer, eine der Kandidat*innen, die von Brand New Bundestag unterstützt werden, gefunden. Da habe ich das erste Mal von Brand New Bundestag gelesen und fande das direkt ansprechend. Ich habe mir dann die Website angeguckt, da konnte man sich auch einfach und niedrigschwellig in einem Formular eintragen und Interesse anmelden. Das habe ich dann gemacht und eine Woche später war ich dabei.

Wofür steht Brand New Bundestag?

Brand New Bundestag ist eine politische Graswurzelorganisation und agiert überparteilich. Das ist sehr wichtig zu betonen, obwohl die aktuellen Kandidat*innen eher aus dem links-grünen Spektrum kommen, wurden schon immer auch Gespräche mit Kandidierenden der FDP und CDU geführt. Brand New Bundestag will den Bundestag als erste Aktion repräsentativer gestalten, vor allem vielfältiger und diverser. Es ist momentan so, dass nicht genug Frauen im Bundestag sind um die Bevölkerung zu repräsentieren, nicht genug Menschen mit Migrationsgeschichte, nicht genug Nicht-Akademiker*innen, nicht genug Menschen aus der LGBTQIA+-Community und nicht genug Menschen mit Behinderung. Ganz viele Gruppen der Gesellschaft werden also nicht repräsentiert.

Brand New Bundestag will deshalb erreichen, dass der Bundestag diverser gestaltet wird und nicht mehr so alt, weiß und männlich ist. Dabei sollen überparteiliche Bündnisse geschaffen werden. Brand New Bundestag sieht sich daher als Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft und der etablierten Parteienordnung. Es gibt viele Themen, die für Abgeordnete aus verschiedenen Parteien wichtig und interessant sind, doch durch diese festgefahrene Parteienstruktur kämpfen alle nur für sich. Bei vielen Inhalten wäre es einfach cleverer, wenn überparteilich zusammengearbeitet werden würde.

Brand New Bundestag möchte also diese Plattform schaffen, wo das stattfinden kann?

Genau. Wir unterstützen ja aktuell elf Kandidierende, davon kandidiert eine Person für das Berliner Abgeordnetenhaus und zehn für den Bundestag, die aus unterschiedlichen Parteien kommen oder auch parteilos sind. Wir unterstützen die Kandidierenden durch Geld, aus zwei Crowdfunding-Kampagnen. Wir unterstützen auch durch Kommunikations- und Kampagnenarbeit, dazu durch Weiterbildung zu Themen wie Rhetorik oder Wahlkampf. Viele der Kandidierenden hatten, bevor sie von Brand New Bundestag unterstützt wurden, nicht das Standing in der Partei. Gerade in den etablierten Parteien ist es nicht einfach einen Listenplatz zu bekommen, da gehört richtig viel Arbeit und Zeit dazu. Gerade schwierig für junge Menschen: Woher sollen sie die Zeit nehmen? Wir unterstützen sie daher im Hintergrund mit Soft Skills, aber eben auch finanziell. Die Kandidierenden vernetzen sich untereinander, aber aktuell unterstützen wir alle einzeln davon, weil wir von ihnen überzeugt sind.

Die Frage, wie ihr eure Forderung umsetzen wollt hast du schon angeschnitten. Ihr unterstützt elf Kandidierende, momentan gibt es über 700 Abgeordnete im Bundestag. Ist das genug für einen Wandel oder was muss abseits davon noch passieren?

Genug für einen sofortigen Wandel natürlich nicht. Brand New Bundestag ist noch sehr jung. Die Bundestagswahl dieses Jahr ist die erste große Sache, die passiert. Es soll aber danach nicht zu Ende sein. Diese Initiative soll weiterleben für weitere Wahlen, auch auf Landesebene und auf europäischer Ebene. Natürlich schafft Brand New Bundestag Aufmerksamkeit dafür, dass es progressive Menschen braucht. Es ist auch nicht so, dass von den über 700 Abgeordneten niemand progressive Ideen hat. Das möchte ich nicht unterstellen. Es gibt schon gute Leute, aber die elf Kandidierenden sind erst der Anfang.

Wie seid ihr organisiert?

Brand New Bundestag wurde von vier Initiator:innen gegründet. Mittlerweile sind wir über 200 Volunteers, die alle unterschiedliche Fähigkeiten und Zeit einbringen. Es gibt welche, die haben nur 2-3 Stunden pro Woche Zeit neben dem Vollzeitjob. Es gibt aber auch viele Studierende oder Menschen, mit mehr Zeit. Ich habe zum Beispiel eine Teilzeitstelle und die restliche Zeit bin ich bei Brand New Bundestag als Ehrenamtliche. Wir sind alle Ehrenamtliche und sind alle in sieben unterschiedlichen Teams organisiert. Alles findet digital statt. Ein großes Volunteer-Treffen gab es wegen Corona noch nicht. Wir sind über ganz Deutschland verteilt und auch darüber hinaus. Gearbeitet wird in festen Gruppen. Das bedeutet aber nicht, weil ich momentan in der Gruppe Kommunikation und Campaigning bin, dass ich da für immer drin bin. Es ist alles fluide, und jede*r kann nach Interesse reinschauen. Neben dem Tagesgeschäft der sieben Untergruppen, gibt es auch Aktionen, wie Kampagnen, die organisiert werden, mithilfe aller Teams. Alles ist total flexibel und jede*r kann das an die eigene Situation anpassen. Das Mitwirken ist dadurch leicht vereinbar mit dem Job und dem eigenen Alltag. Jede*r findet etwas, wo Talente und Interessen eingebracht werden können und man sich weiterentwickeln kann.

Das heißt: Flache Hierarchien und auf Augenhöhe.

Ja, also jedes Team hat auch eine*n Teamleader*in, was aber gar nicht so eine Chef*innen-Position ist. Es muss einfach irgendeine Person geben, die das organisiert. Sonst ganz flache Hierarchien, was den Einstieg eben so einfach machen.

Wie finanziert ihr euch? Größtenteils über Fundraising?

Wir sammeln ganz klassisch Spenden. Man kann bei uns auch Fördermitglied werden, mit einer monatlichen Spende von mindestens drei Euro. Brand New Bundestag stellt auch Anträge an Stiftungen um gestiftet zu werden. Wir haben keine festen Geldgeber*innen von denen wir regelmäßig viel Geld bekommen, deswegen sind wir auch alle ehrenamtlich da. Bei solchen Organisationen ist oftmals einfach nicht so viel Geld da.

Ihr heißt Brand New Bundestag: Was ist das brandneue?

Brand New Bundestag leitet sich ab von der Initiative aus den USA: Brand New Congress, die auch immer noch aktiv sind. Brand New ist auf jeden Fall das Überparteiliche. Weg von den, in Deutschland klassischen, festen Parteistrukturen. Progressive Inhalte, die hoffentlich in allen Parteien zu finden sind und dass diese in den Vordergrund gerückt werden. Die Forderungen, die man bei uns auf der Website findet, sind alle wichtig und vor allem aktuell existenziell. Gerade wenn viel davon gesprochen wird, dass die Bundestagswahl dieses Jahr eine Klimawahl ist. Auch Corona hat Probleme an das Licht gebracht und für die breite Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Das spiegelt sich in unseren Forderungen wieder. Ich würde sagen das Brandneue ist, meiner Meinung nach, wirklich die Überparteilichkeit. Wir versuchen ein Arbeiten miteinander im politischen Kontext unabhängig von der Parteizugehörigkeit sichtbar zu machen.

Was kann ich als Wähler*in tun um die Forderungen zu unterstützen?

Im besten Fall Kandidat*innen wählen, die auch für diese Forderung für mehr Diversität und progressive Ideen stehen. Das ist natürlich ein relativ hoher Rechercheaufwand diese zu finden. Wenn man Pech hat, gibt es einfach niemanden im eigenen Wahlkreis. Ansonsten kann man Brand New Bundestag unterstützen. Wir hoffen natürlich bekannter und größer zu werden, um einen Effekt zu bewirken. Als Wähler*in kann man auch abseits von den bekannten Mustern schauen, wer sonst noch kandidiert. Wenn man zum Beispiel schon immer SPD wählt und die kandidierende Person aber nicht die Ideen und die Progressivität nach außen trägt, sollte man vielleicht auch mal in anderen Parteien gucken. Falls es nicht möglich ist im eigenen Wahlkreis eine Person zu finden, dann kann man unsere Message weitertragen und dabei helfen uns bekannter zu machen. So wird es hoffentlich spätestens bei der nächsten Wahl auch im eigenen Wahlkreis jemanden geben.

Momentan sind wie gesagt alle von euch unterstützten Kandidierende aus SPD, Grüne, Linke oder parteilos: Was ist mit den anderen Parteien?

Wir hatten 2020 das erste Nominierungsverfahren und 2021 kamen nochmal fünf Leute dazu. Da war man auch mit der FDP im Gespräch, aber da gab es einfach keine Übereinstimmungen. Dieser Nominierungsprozess ist komplex: Man konnte sich nicht selbst bewerben, sondern man musste von jemand anderen nominiert werden. Es gab eine prominent besetzte Jury und einen mehrstufiger Auswahlprozess, die am Ende dazu führen, dass Kleinigkeiten schlussendlich entscheiden. Da Brand New Bundestag noch am Anfang steht, muss auch eine Entscheidung für eine Person und gegen andere Personen getroffen werden. Unsere Möglichkeiten sind momentan beschränkt. Es hätte auf jeden Fall noch viele andere tolle Kandidierende gegeben. Wenn wir hundert Leute unterstützen könnten, hätten wir sicherlich auch hundert Menschen gefunden. Es war jetzt aber erstmal nur Platz für diese elf Kandidierende.

Fast alle Kandidierende sind in Parteien organisiert: Warum ist es so wichtig, dass sie darüber hinaus noch von Brand New Bundestag unterstützt werden?

Franka Kretschmer und Lu Yen Roloff sind die parteilosen Kandidierenden. Unsere beiden Kandidierenden aus Dresden aber zum Beispiel brauchten Unterstützung um innerhalb der eigenen Partei nach oben zu bekommen und Aufmerksamkeit zu erregen. Rasha Nasr und Kassem Taher Saleh besetzen nun Platz 4 auf den Landeslisten, sehr aussichtsreiche Plätze, die sie ohne Unterstützung wahrscheinlich nicht bekommen hätten. Armand Zorn tritt als Direktkandidat in Frankfurt am Main an. Wir haben alle schon vor dem Bundestagswahlkampf schon unterstützt, sodass sie erst auf die aussichtsreichen Positionen kommen, wo sie jetzt sind. Es bedarf, wie schon gesagt, viel Zeit und Arbeit um in der Partei so weit nach oben zu kommen. Wenn man wie Rasha und Kassem nicht nicht mal 30 ist und noch einen Job hat, haben sie nicht die Möglichkeiten sich nach oben zu arbeiten. Das war schon ein Erfolg, dass sie es so weit auf die Liste geschafft haben und damit sehr aussichtsreiche Kandidierende sind.

Besteht dabei nicht auch die Gefahr, dass die Kandidierenden die Unterstützung als persönliches Sprungbrett nutzen ohne die Forderungen von Brand New Bundestag klar umzusetzen?

In dem Nominierungsprozess wurde darauf geachtet, dass diese Person auch genau für unsere Forderungen stehen. Durch das Verfahren wurde ganz klar herausgearbeitet, dass die Person zu 100% hinter diesen Forderungen stehen, sonst würden wir sie erst nicht unterstützen.

Was waren für Reaktionen der Bundestagsfraktionen zu der Bewegung?

Von den Fraktionen im Bundestag gab es keine Rückmeldungen dazu. Das ist ja aber auch nicht deren Zuständigkeit. Von den Kreis- und Landesverbänden kamen positive Reaktionen und insgesamt ein großer Rückhalt für unsere Kandidat*innen.

Was passiert nach der Bundestagswahl?

Wir haben begonnen schon Leute für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu suchen, zusätzlich zu den zwei Personen, die wir schon gefunden haben. Die Kandidierenden wurden schon auf Instagram bekannt gegeben. Nächstes Jahr sind auch noch Landtagswahlen in drei weiteren Bundesländern. Der nächste Schritt für uns ist die Landtagswahlen nächstes Jahr in den Blick zu fassen und zu schauen, ob es da auch Leute gibt, die für uns in Frage kommen. Die Bundestagswahl ist der Startpunkt, die erste große Wahl, bei denen von uns unterstützte Leute antreten. Dann geht es nächstes Jahr weiter bei den Landtagswahlen, bei den nächsten Europawahlen und auch bei kommenden Bundestagswahlen. Es wird sich zeigen, ob wir geeignete Kandidierende finden. Da bin ich aber guter Hoffnung.

Was sind eure Pläne auf europäischer Ebene?

In unseren Forderungen ist Europa tatsächlich ein wichtiger Punkt und eine eigene Forderung. Brand New Bundestag steht für ein solidarisches Europa, ein vernetztes und wachsendes Europa, indem vor allem nachhaltige und soziale Politik gelebt wird. Brand New Bundestag steht für eine humane Migrations- und Grenzpolitik, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Europa soll, an den Stellen, wo es noch nicht ist, ein Ort des gemeinsamen Lebens werden, basierend auf Solidarität und Offenheit.

Sollen dabei auch strukturelle und institutionelle Missstände angegangen werden?

Momentan spielt die Europawahl noch keine große Rolle, weil der Fokus auf der Bundestagswahl liegt und dort alle Kräfte gebraucht werden. Die Ziele werden aber natürlich die gleichen bleiben, die Einhaltung des 1,5 Grad Ziels, der Wandel hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystems, soziale Gerechtigkeit und natürlich auch ein diverses und vielfältiges europäisches Parlament.

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