Brexit?

, von  Aida Dos Santos, übersetzt von Alina te Vrugt

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Brexit?

Der Brexit liegt immer noch in der Luft und schwebt über dem Vereinigten Königreich, begleitet von einer enormen Unsicherheit. Die Politikwissenschaftlerin Aida Dos Santos hat uns ihre Meinung dazu dargelegt.

Das Drama des Brexits nimmt groteske Züge an. Die Umfragen vor dem Referendum deuteten auf einen knappen Vorsprung für „Remain“ hin. Aber auch nach der Verkündung des Ergebnisses und über zwei Jahre später erscheint es mehr denn je, als würde das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleiben.

Es scheint als hätten die Realität und auch der Groll der EU-Politiker, die „mit Mut und Herz“ zutiefst proeuropäisch waren und ihr föderalistisches Projekt in Gefahr sahen, mehr Einfluss als die Fremdenfeindlichkeit, die ein Teil der britischen Bevölkerung hegt.

Den Briten wurde versprochen, dass sie mit all ihren Mitteln und ohne Pflichten gehen würden. Aber Mays Kabinett hat in diesem Jahr bestätigt, dass es den Ruin bedeuten könnte, das Gemeinschaftsprojekt EU zu verlassen. Es gibt keine parlamentarische Mehrheit, die ernsthafte Pläne zur Aktivierung von Artikel 50 AEUV, die in einem Europa der 27 enden würde, unterstützt.

Die Befürworter des Brexits - in öffentlichen Ämtern oder nicht - verstehen, dass es nicht möglich sein wird, die Privilegien zu erhalten, ohne dem Rest der Union Rechte zu garantieren. Nach dem kalten Bad in der Realität beginnt sich ein zweites Referendum anzubahnen.

Mays Rettung als Premierministerin könnte es sein, eine Einigung (beziehungsweise eine Nicht-Einigung) mit der Europäischen Union vorzuschlagen und ihr ein neues Referendum zu unterbreiten, sodass sie auf diese Weise einen Teil der Schuld an den katastrophalen Folgen, die die Beendigung des europäischen Projektes mit sich bringt, auf alle Bürger abwälzen kann. Nur jeder zehnte Brite vertraut und schätzt die Führung der Premierministerin, sie allein hat die Verhandlungen geführt und sie allein ist daran gescheitert.

Aber das Referendum könnte anders ausgehen, als erwartet. Es ist schwer zu sagen, was die Wähler stattdessen wollen, wenn sie NEIN zum Abkommen X mit der EU sagen. Wollen sie ein anderes Abkommen? Wollen sie in der EU bleiben?

Wir dürfen nicht vergessen, dass jedes Abkommen, das den Briten vorgelegt wird, sowohl bei Befürwortern als auch bei Kritikern viel umstrittener sein wird, als das Versprechen eines privilegierten Vereinigten Königreiches außerhalb der Europäischen Union. Kurz gesagt, der Brexit verkompliziert sich und, falls er den Ausstieg der Konservativen aus der Regierung provoziert, handelt es sich bei der Labour Partei um den einzigen Profiteur.

Die Befürworter des Verbleibs fordern ein zweites Referendum mit drei Optionen: den Austritt ohne Abkommen, den Austritt mit EU-Abkommen und den Verbleib. Eine Umfrage von Sky News geht davon aus, dass sich 50 Prozent der Briten ein zweites Referendum wünschen.

Man muss kein Experte der Meinungsforschung sein, um zu erkennen, dass dieser Vorschlag die „Remain“ Option begünstigt. Es ist praktisch unmöglich, dass bei drei Optionen, von denen eine die anderen beiden ausschließt, diese eine Option unter 40% liegt.

Es bleiben noch acht Monate, um die Frist für den Austritt einzuhalten, was gleichzeitig bedeutet, dass es Frauen im Vereinigten Königreich gibt, die im ersten Drittel ihrer Schwangerschaft sind und nicht wissen, ob ihre Kinder in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union geboren werden.

Die EU „mutig“ zu verlassen, ist die Option der Populisten, der Fremdenfeindlichen… es ist die Option der Antipolitik, derer, die im Namen des Volkes mit dem Geld und dem Wohlergehen anderer spielen.

Der fremdenfeindliche Diskurs, ausgelöst durch die politischen Umstände, polarisiert in der Gesellschaft. Laut der YouGov Umfrage für The Sunday Times fordern fast 40 Prozent der Briten eine Partei, die das Ergebnis des Brexits kompromisslos verteidigt. In Anbetracht dessen generiert der Populist Nigel Farage schon finanzielle Mittel, um sich ins Spiel bringen zu können. Unglücklicherweise hat er mehr Einfluss denn je.

Das Vereinigte Königreich hat in diesen zwei Jahren viel verloren, insbesondere Zeit. Und hat das Projekt eines föderalen Europas verschleppt. Vor mehr als 50 Jahren verneinte Charles de Gaulles den Eintritt der Briten in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und vertrat in seinem Diskurs ein „Europa der Vaterländer“. Die Populisten in Frankreich gehen aktuell davon aus, dass ihr Diskurs den Brexit übersteht, aber hierbei handelt es nicht um eine Frage von Entitäten. Die Institutionen bestehen weiterhin, aber tatsächlich bleiben Millionen von Menschen auf der Strecke. Millionen von Studenten, Arbeitern, Wissenschaftlern und Fachleuten stecken in einer Warteschleife. Hunderte von Unternehmen wissen nicht, ob sie das Vereinigte Königreich verlassen, dort bleiben, oder dorthin gehen. So stehen duzende Projekte und Jobs auf der Kippe.

In der europapolitischen Debatte spielt es keine Rolle, ob das Vereinigte Königreich geht oder bleibt, sondern welche Leistungen und welche Staatsbürgerschaft angeboten werden, welche Rechte und welche Pflichten bleiben, wenn die gehen, die sich für privilegiert halten.

Wir brauchen weder May noch Merkel und am wenigsten brauchen wir Macron, Salvini oder Van der Bellen… Wir brauchen Captain Europa.

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