Brexit bringt Britische Universitäten in Bedrängnis

, von  John Grosser, Leonie Theiding

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Brexit bringt Britische Universitäten in Bedrängnis

Britische Hochschulen versuchen, rechtzeitig Partnerschaften mit EU-Universitäten zu etablieren. Oxford baut einen Standort in Berlin auf und das Imperial College in London sucht Hochschulkooperationen in München. Das Erasmusprogramm kämpft gegen die Unsicherheit der Bewerber*innen. Alles im Wettlauf gegen die Zeit: Premierminister Boris Johnson hat sich zum EU-Austritt verpflichtet – mit oder ohne Austrittsabkommen.

Die Folgen eines solchen Austritts ohne Abkommen sind nur schwer abzuschätzen. Das Schicksal der irischen Grenze ist weiterhin unklar. Kaum ein Sektor der britischen Wirtschaft bliebe unberührt. Aber vor allem Lehre und Forschung an britischen Universitäten könnten unter einem No-Deal-Brexit leiden: Hunderttausende Studierende, zehntausende Forschende und Lehrende und hunderte Millionen Euro an Subventionen und Fördergeldern stehen auf dem Spiel.

Das Vereinigte Königreich ist eine der führenden Wissenschafts- und Forschungsnationen weltweit. Mit weniger als einem Prozent der Weltbevölkerung produzierte das Vereinigte Königreich 2017 über 15 Prozent der meistzitierten Forschungsarbeiten. Britische Forscher*innen sind wichtige Partner*innen für Forschungsvorhaben auf der ganzen Welt und das Vereinigte Königreich leistet einen großen und wichtigen Beitrag zur gesamten Forschungsleistung der Europäischen Union. Doch die britische Forschung profitiert genauso von Subventionen und Förderprogrammen der EU.

Der Wissenschaftsstandort Vereinigtes Königreich profitiert von der EU - und umgekehrt

Die Universitätslandschaft in Im Vereinigten Königreich zeichnet sich durch ihre Internationalität aus. Nahezu ein Drittel der Mitarbeiter*innen an britischen Hochschulen kommt aus dem Ausland, viele forschen und lehren jahrelang im Vereinigten Königreich. Besonders aus der EU kommen viele Studierende und akademische Mitarbeiter*innen ins Land. Auch finanziell profitieren britische Universitäten von der EU: Durch Studienaustausche wie das Erasmus-Programm und EU-Forschungsprogramme wie Horizon 2020 fließen jährlich Fördergelder in Millionenhöhe in das Vereinigte Königreich.

Grafik: Eigene Darstellung / Quelle: Higher Education Statistics Agency

Doch der europäische Beitrag zum Erfolg von Lehre und Forschung im Vereinigten Königreich misst sich nicht nur in Immatrikulationszahlen und Subventionshöhen. Nicht zu vernachlässigen sind die neuen und innovativen Denkanstöße, für die internationale Studierende, insbesondere Studierende aus der EU, sorgen können. Auch in der Wissenschaft ist Diversität ein wertvolles Gut, das Andersdenken unterschiedlicher Kulturen in Wissenschaftlerkreisen sehr willkommen, schreibt Peter Scott, renommierter Professor für Hochschulbildung am University College London, für die britische Zeitung „The Guardian“.

Die britische Wissenschaftslandschaft in Gefahr

Die genauen Auswirkungen des Brexits auf britische Hochschulen sind schwer abzuschätzen. Klar scheint jedoch, dass die Attraktivität des Vereinigten Königreichs als Studien- und Forschungsstandort unter dem EU-Austritt leiden wird. Ohne entsprechende Regelungen als Teil eines Austrittsabkommens würden für Studierende und Forschende aus der EU die Einreise komplizierter, Forschungsarbeiten schwieriger zu finanzieren und Studienvorhaben deutlich teurer werden.

Ab 2021 könnten sich EU-Studierende dann nicht mehr über das Erasmus-Programm auf einen Studienaufenthalt im Vereinigten Königreich bewerben. Es würde für sie schwieriger als bisher, britische Studienkredite aufzunehmen oder studienbegleitende Arbeit zu finden. Statt wie bisher die „home fees“ (also die durchschnittlich 9.000 britischen Pfund an Studiengebühren, die auch für britische Studierende anfallen) müssten EU-Studierende außerhalb des Erasmus-Programms die wesentlich höheren „overseas“-Gebühren zahlen. Insgesamt wäre mit einem Rückgang in der Anzahl internationaler Studierender aus der EU im Vereinigten Königreich zu rechnen. Die Reaktionen auf diese Situation haben nicht auf sich warten lassen: Auf dem Blog des Erasmus-Programmes wird berichtet, man sei sich der Unsicherheit bewusst, welche die Vorstellung eines No-Deal-Brexits auslöst, und dass man an einer Lösung für dieses Szenario arbeite. Wie so eine Lösung aussehen könnte, ist bisher noch unklar.

Auch die EU-Bürger*innen, die an britischen Universitäten lehren und forschen, sind verunsichert. Laut DAAD schwindet das Gefühl des „Willkommen-Seins“ im Vereinigten Königreich; Fremdenfeindliche Vorfälle nehmen zu. Teilweise soll es schon zu aufgeschobenen Arbeitsverträgen gekommen sein. Insgesamt wird in den kommenden Jahren ein „Braindrain“ im Vereinigten Königreich befürchtet. Belastbare Zahlen gibt es noch nicht, jedoch melden Programme wie die Humboldt-Professuren steigende Bewerberzahlen aus dem Vereinigten Königreich – ein Indiz für wachsende Zahlen an Forschenden, die an Universitäten in der EU wechseln wollen. Ein schwerwiegender Verlust für die Hochschullandschaft des Landes.

Auf Anfrage der treffpunkteuropa.de-Redaktion bestätigte auch Professor Scott den Schaden, der durch den Brexit an britischen Universitäten zu erwarten ist:

„Brexit wird ein dreifacher Rückschlag für britische Universitäten sein. Erstens ist die Meinung von Akademiker*innen und Student*innen überwiegend für einen Verbleib in der EU, so dass die Universitäten gegen ihren Willen die EU verlassen müssen. Zweitens werden britische Institutionen den Zugang zu europäischen Förderprogrammen, insbesondere für die Forschung, verlieren. Das ist eine Tragödie, denn sie haben begeistert und erfolgreich an diesen Programmen teilgenommen. Schließlich wird das Vereinigte Königreich durch Brexit als ’fieses’ Land abgetan, das sich selbst verraten und nationalistische, sogar fremdenfeindliche Werte, und nicht internationalistische und weltoffene Werte vertreten hat. Eine weitere Tragödie angesichts der langen Geschichte des Liberalismus und der Demokratie in Großbritannien.“

„Brexit will be a triple blow to the UK’s universities. First, opinion among academics and students is overwhelmingly pro-remain, so universities are being taken out of the EU against their will. Second, UK institutions will lose access to European funding programmes, particularly for research. This is a tragedy because they had been enthusiastic, and successful, participants in these programmes. Finally, as a result of Brexit, the UK will be labelled a ‘nasty’ country, which has turned in on itself and espoused nationalist, and even xenophobic, values rather than internationalist and cosmopolitan ones. Another tragedy in the light of Britain’s long history of liberalism and democracy.”

 Prof. Peter Scott

Die finanziellen Kürzungen, die unsichere Rechtslage, der Braindrain und die steigende Fremdenfeindlichkeit – dies alles wird zu einer schwindenden Wettbewerbsfähigkeit der Wissenschaftslandschaft im Vereinigten Königreich führen - mit möglicherweise katastrophalen Folgen für den Forschungsstandort Europa.

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