Die Kanzlerin macht Druck
In Artikel 50 des EU-Vertrags ist festgelegt, wie ein Land aus der EU austreten kann. Solange Großbritannien sich nicht auf diesen Artikel berufe, werde es keine formellen oder informellen Vorgespräche über die Modalitäten des Ausscheidens geben, erklärte Merkel am gestrigen Montag. Die Bundeskanzlerin hatte nach der Brexit-Entscheidung gesagt, man dürfe nach dem Brexit-Votum nicht überstürzt Verhandlungen aufnehmen.
Der französische Präsident François Hollande und der italienische Regierungschef Matteo Renzi hielten sich mit ihrer Wortwahl im Gegensatz zur Kanzlerin nicht zurück: „Jetzt muss es so schnell gehen wie möglich. Das ist für die EU als Ganzes am besten“, sagte Hollande am Montag. „Morgen oder übermorgen. Wir müssen uns unbedingt soweit wie möglich an den Zeitplan halten“, fügte er hinzu verwies dabei auf den mittlerweile laufenden, zweitägigen EU-Gipfel in Brüssel.
Merkel versuchte die Gerüchte zu zerstreuen, sie habe Hollande und Renzi nach Berlin eingeladen, um mit ihnen über den Zeitpunkt und die Art des Austritts zu entscheiden. Am Dienstag trafen sich die drei zum ersten Mal seit dem Brexit-Votum mit den 25 weiteren EU-Staats- und Regierungschefs, darunter auch der britische Premierminister David Cameron. Drei allein könnten vor dem Europäischen Rat nichts entscheiden, entgegnete Merkel den Journalisten. Die gemeinsame Pressekonferenz demonstrierte, wie geplant, Einigkeit entlang der deutsch-französischen Achse in Zeiten einer nie dagewesenen europäischen Existenzkrise. Dennoch sind sich die beiden Großmächte noch lange nicht in allem einig.
Frankreich ist gespalten
Hollande hat sich seit dem Brexit-Votum mit unzähligen Politikern getroffen, darunter auch die Franktionsvorsitzenden der französischen Parteien. Zuletzt hat es solche Gespräche vor acht Monaten nach den Anschlägen auf Paris im November 2015 gegeben. Diesmal ist die Situation eine ganz andere, denn anders als beim letzten Mal gingen die Parteichefs nicht geeint aus den Diskussionen hervor. Das Gegenteil war der Fall: Die konservative Partei Les Républicains drohte damit, das europäische Konzept zusammenbrechen zu lassen. Laurent Wauquiez, ehemaliger Europaminister Frankreichs und jetzt Vorsitzender der Region Auvergne Rhône-Alpes, rief sogar dazu auf, der EU-Kommission den Laufpass zu geben.
Auch andere bekannte Politiker des Landes waren sich uneins über die kommenden Schritte – unter ihnen Alain Juppé, Bruno Le Maire und Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Während die beiden Letztgenannten ein ähnliches Referendum für Frankreich fordern, hält der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat Juppé eine solche Idee für absolut „unverantwortlich“.
Marine Le Pen ist ebenfalls eine eifrige Verfechterin eines Franxit-Referendums. Seit dem Brexit-Votum schmückt sich ihre Partei, der Front National, mit dem Erfolg der britischen Euroskeptiker.
Im linken politischen Spektrum werden vermehrt Rufe nach einer starken, politischen Botschaft an die europäischen Bürger laut. „Dies wäre der richtige Moment, um das soziale Europa zu stärken. Wir müssen einen politischen Weg aus dieser Krise finden“, so die französische Europaabgeordnete Pervenche Beres.
Deutsch-französische Achse gefragt
Die Idee, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu überdenken, gewinnt in Deutschland momentan an Auftrieb. Führende SPD-Politiker wie Sigmar Gabriel und Martin Schulz kritisieren die Sparpolitik.
Für den französischen Präsidenten hat es jedoch oberste Priorität, Einigkeit mit Deutschland zu demonstrieren – als Garantie für das europäische Projekt. „Für Erste sieht es wie folgt aus: wir werden zeigen, dass die Französisch-Deutsche Achse stark ist und vorangeht“, betonte eine Quelle. Außerdem hätten Hollande und Merkel bereits während des Wochenendes mehrere Telefonate geführt und seien sich einig gewesen, so die Quelle weiter. Dennoch gibt es Differenzen in Bezug auf den Umgang mit dem Vereinigten Königreich. Frankreich besteht darauf, dass Großbritannien die Konsequenzen des EU-Austritts zu spüren bekommen müsse.
Präsident Francois Hollande traf sich am Montag mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Die beiden EU-Politiker waren sich einig, dass man Druck auf Großbritannien ausüben müsse, damit Artikel 50 schnellstmöglich angewandt werde. Dies ist notwendig, um den Austrittsprozess Großbritanniens formal in Gang zu setzen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Medienpartner EurActiv.de.
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