’Brief an Europa’ an Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki

Mateusz Morawiecki wurde vor einer Woche zum neuen polnischen Ministerpräsidenten gewählt

, von  Marco Bitschnau

'Brief an Europa' an Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki
Mateusz Morawiecki (rechts) ist neuer Regierungschef Polens Kancelaria Premiera / Flickr / Creative Commons 2.0-Lizenz

Im Brief an Europa adressieren unsere Autorinnen und Autoren Menschen, die ihrer Meinung nach im Rampenlicht Europas stehen sollen. In dieser Woche wendet sich treffpunkteuropa.de an den neuen polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.

Sehr geehrter Herr Morawiecki,

vor einer Woche hat Sie der Sejm zum sechzehnten Ministerpräsidenten der dritten polnischen Republik gewählt. Sie folgen in diesem Amt der wackeren PiS-Parteisoldatin Beata Szydlo nach, einer Frau von wirklich beeindruckender politischer Statur. Kaum jemand sonst konnte auf dem europäischen Regierungstableau für sich in Anspruch nehmen, himmelschreiende Bigotterie und persönliche Unscheinbarkeit so elegant zu verbinden; kaum jemand sonst hat in Brüssel für so viel mitleidiges bis genervtes Kopfschütteln gesorgt - gut, vielleicht mit Ausnahme von Herrn Orbán, aber der läuft ja zumeist außerhalb jeder Konkurrenz.

Doch nun ist Frau Szydlo mit aller gebotenen Höflichkeit, mit Handkuss und überdimensioniertem Blumenstrauß ins politische Nirwana verabschiedet worden und Sie, Herr Morawiecki, halten nominell die Zügel der polnischen Staatsmacht in der Hand. Wie wird ihr Kurs aussehen? Werden Sie die vielfach als eklatanten Angriff auf das Rechtsstaatsprinzip gewertete Justizreform Ihrer Vorgängerin zurücknehmen? Werden Sie die absurde und sanktionswürdige Blockadehaltung Ihres Landes gegen demokratische EU-Beschlüsse geraderücken? Werden Sie der polnischen Öffentlichkeit zu verstehen geben, dass vor Krieg und Elend geflüchtete Menschen keinesfalls kinderfressende Ungeheuer sind und dass sich gerade ein Land wie Polen besser einer allzu offen vorgetragenen Entsolidarisierungsrhetorik entheben sollte?

Die vorläufige Antwort auf all diese Fragen haben Sie natürlich bereits gegeben: Nein, Sie werden nichts dergleichen tun. Denn „die Regierung, die ich führe ist dieselbe. Ihre Vorgehensweise, ihre Strategie und ihre Werte sind dieselben“ wie die Ihrer Vorgängerin. Auch Sie finden nichts dabei, sich in den bunten Reigen der Rechtspopulisten einzureihen und innerhalb der EU weiterhin Unzufriedenheit und Dissens zu schüren. Das ist natürlich bedauerlich aber ich kann das irgendwo auch verstehen. Nein, ernsthaft, Herr Morawiecki, ich kann das verstehen. Wirklich! Es gibt schließlich genug gute Gründe für Sie, die polnische Gesellschaft auch weiterhin in eine Art voraufklärerisches Politkorsett zu zwängen. Vielleicht ist es vor allem Ihrem Wunsch nach unbedingtem Machterhalt geschuldet; vielleicht glauben Sie aber auch tatsächlich, dass man genüsslich über Jahre an der europäischen Kommissionstafel schmausen kann, ohne dafür auch die eine oder andere Kröte im Ministerrat zu schlucken. Wer weiß?

Am wahrscheinlichsten erscheint mir freilich, dass Ihre eigenen Interessen völlig unerheblich sind und Sie lediglich als Sprechpuppe für diesen ehemaligen Kinderschauspieler mit dem ewig bräsig-feisten Ausdruck fungieren. Sie sind das moderate Gesicht, das er Europa als Beruhigungspille präsentieren möchte, um die stetig anschwellende Kritik an seinen autokratischen Anwandlungen nach Möglichkeit abzudämpfen. Wobei Sie sich mit der Rolle des Moderaten aber schon ein bisschen mehr Mühe geben müssen; Ihre seltsamen Rechristiantisierungsfantasien etwa sind doch voll auf einer Linie mit dem nationalkonservativ glasierten Wagenburg-Populismus Ihres Chefs und dienen nun wirklich nicht dem effektiven Wogenglätten. Schon geschickter war da die Parlamentsrede in der Sie warnend-fürsorglich von einem polnischen Teil sprachen, das perfekt in das europäische Puzzle hineinpasse. „Aber man darf es nicht mit der falschen Seite reinlegen oder reinquetschen. Sonst gibt es Schaden für Europa und für Polen!

Selten sah man europapolitische Bockigkeit hübscher verpackt. Genauso kann es doch eigentlich weitergehen, die latent aggressiven Biedermänner in den Kommentarspalten der WELT und die neurechten Vaterländler der Jungen Freiheit haben Sie auf jeden Fall schon einmal fest auf Ihrer Seite. Und dennoch, Herr Morawiecki, dennoch wird sich auch Polen nicht auf Dauer von der europäischen Gegenwart abwenden können. Alles was Sie tun können, ist diesen Prozess zu verzögern. Auch in Ihrem Land wird eines Tages die Moschee in der Nachbarschaft und die Pride-Beflaggung auf dem Rathausplatz gelebte Normalität sein. Auch bei Ihnen wird eines Tages die hässliche Fratze des Nationalismus einer tieferen Einsicht in das Leid des Anderen weichen. Ich freue mich schon sehr auf dieses - dann wirklich europäische weil europäische Werte auch in der Praxis ernstnehmende - Polen. Und ich hoffe, der Kinderschauspieler erlebt es noch mit.

Hochachtungsvoll

Marco Bitschnau

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