Sehr geehrte Frau Věra Jourová,
als die „Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr“ vergangenen Freitag durch die neue Datenschutz-Grundverordnung abgelöst wurde, konnten Sie sich freuen: Als EU-Justizkommissarin sind Sie unter anderem für besseren Schutz der Daten der EU-Bürger zuständig. Die Datenschutz-Grundverordnung kommt diesem Ziel einen großen Schritt näher. Dennoch muss klar sein, dass die Bemühungen der EU-Kommission um Datenschutz nicht bei der Grundverordnung aufhören können. Wir rufen Sie deshalb dazu auf: Setzen Sie sich dafür ein, dass bald auch die neue ePrivacy-Verordnung ausgehandelt wird!
Mit unserer Forderung schließen wir uns einer Reihe europäischer NGOs an, die sich in einem offenen Brief bereits im März diesen Jahres an die EU-Mitgliedsstaaten gewandt haben. Die aktuelle Version der ePrivacy-Richtlinie stammt aus dem Jahr 2002, mit einer Ergänzung zu Cookies im Jahr 2009. Im Jahr 2002 existierte Facebook noch nicht, Whatsapp kam erst sieben Jahre später auf den Markt. Das erste iPhone erschien im Jahr 2007. Die ePrivacy-Richtlinie stammt so gesehen aus der digitalen Steinzeit. Entsprechend bezieht sie sich hauptsächlich auf Telekommunikation und Kommunikation per E-Mail. Viel hat sich seitdem verändert.
Ingo Dachwitz vom Nachrichtenportal Netzpolitik.org hat sechs Ziele der neuen ePrivacy-Verordnung zusammengefasst: Daten sollen nur noch mit dem Einverständnis der Nutzer weiterverarbeitet werden dürfen (betrifft z.B. Whatsapp); Nutzer sollen Online-Tracking über Cookies leichter ausschalten können; Browser und Betriebssysteme sollen zudem bereits in den Default-Einstellungen auf größtmöglichen Datenschutz fokussiert sein; Offline-Tracking und das dabei erfolgte Erstellen von Bewegungsprofilen sollen stark eingeschränkt werden; E-Mail-Nutzer sollen ein Recht auf Verschlüsselung ihrer Nachrichten erhalten; die Bürger sollen ein Informationsrecht über Zugriffe auf die Daten von Seiten des Staates erhalten.
Wer diese Ziele als Verbraucher liest, kann sich nur wundern, dass sie nicht schon längst umgesetzt worden sind, so selbstverständlich klingen sie. Auf Seite der Unternehmen lässt sich dagegen laute Kritik vernehmen. So schreibt der Vorstandsvorsitzende des Mediadienstleisters Syzygy, Lars Lehne, auf welt.de, dass Cookies für personalisierte Werbe-Angebote essentiell seien, die ja auch von den Nutzern gewünscht würden. Beim Handelsblatt befürchtet man starke Einbußen für Verlage. Ist es aber wirklich einfach nur praktisch, wenn Nutzer stets zielgenaue Werbebanner zu sehen bekommen oder die Auswahl der Artikel bereits passgenau auf sie zugeschnitten wird? Führt dieser Zuschnitt nicht eigentlich dazu, dass Internetnutzer nur noch in ihrer eigenen Blase unterwegs sind und keine andere Meinung und Sichtweisen mehr wahrnehmen? Genau dann würde das Datensammeln- und filtern eine wichtige Grundidee von Demokratie - den Pluralismus - untergraben.
Was die EU-Bürger wollen, scheint zumindest klar zu sein. In einer Eurobarometer-Umfrage gaben bereits im Jahr 2016 - und damit noch vor dem Skandal um Cambridge Analytica - 60 % der mehr als 20 000 Befragten an, bereits mindestens einmal die Privatsphäre-Einstellungen im Internet-Browser geändert zu haben. 82 % Prozent fanden es wichtig oder sehr wichtig, dass Cookies nur mit ihrer Zustimmung genutzt werden können. 92 % sagten, dass die Vertraulichkeit ihrer E-Mails und Nachrichten wichtig bis sehr wichtig sei.
In einem Jahr sind Europawahlen, die Zeit läuft davon. Damit meine ich nicht nur die Zeit, um die ePrivacy-Verordnung noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Es geht auch um die Chance, die Bürger zu überzeugen, dass Sie hinter ihren Interessen stehen. In kaum einer anderen Region der Welt dürfte der Datenschutz einen so hohen Stellenwert haben wie in der EU. Doch darauf können wir uns nicht ausruhen. Wir müssen Vorreiter bleiben und mit gutem Beispiel vorangehen - im Interesse der Bürger.
Mit freundlichen Grüßen
Hannah Illing
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