Brief an Europa: Europäische Staats-und Regierungschefs

Ein kritischer Brief nach der Nicht-Unterzeichnung des Vertrags zum Verbot von Atomwaffen

, von  Gesine Weber

Brief an Europa: Europäische Staats-und Regierungschefs
Atomwaffentest in Nevada, 1957 - (k)ein Ende in Sicht? Foto: International Campaign to Abolish Nuclear Weapon / Flickr / CC BY-NC 2.0-Lizenz

Am vergangenen Freitag hat die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) den Friedensnobelpreis erhalten. Nur zwei Mitgliedstaaten der EU haben den von der Kampagne ausgehandelten Vertrag unterzeichnet - an sie und die Nicht-Unterzeichnerstaaten in Europa richtet sich dieser Brief.

Sehr geehrte Damen und Herren Staats-und Regierungschef*innen in Europa,

was ging in Ihnen vor, als am vergangenen Freitag der Friedensnobelpreis an die Internationale Kampagne zum Verbot von Atomwaffen (ICAN) verliehen wurde - keine Überraschung, weil Sie es vermutet hatten? Freude, weil Sie das Projekt eigentlich gut finden? Oder gar ein bisschen Ärger, weil Sie den von der ICAN erarbeiteten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen nicht unterzeichnet haben?

Tatsächlich dürfen sich nur zwei europäische Regierungen selbst auf die Schulter klopfen, nämlich diejenigen in Irland und Österreich: Das sind die einzigen EU-Mitgliedstaaten, die den neuen Vertrag zur Abschaffung von Atomwaffen unterzeichnet haben. Wo waren Sie, die übrigen 26? Lassen Sie uns gemeinsam überlegen.

Sie, Mrs. May und M. Macron, hätten eine besondere Verantwortung gehabt, da Großbritannien und Frankreich nicht nur Atommächte sind, sondern auch einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben. Mit der Unterzeichnung des Vertrags hätten Sie vorangehen können und zeigen, dass Ihnen eine friedliche und nachhaltige Abrüstung statt eines Rückfalls in Bedrohungsparadigmen des Realismus tatsächlich wichtig sind. Aber well, tant pis, irgendwie wäre es ja unklug gewesen, als einzige so richtig auf die Bombe zu verzichten. Wer weiß, was nach dem Brexit ist, und wer weiß, wo Frankreich in Zukunft eingreifen muss, weil es die USA nicht tun. Auch, wenn Sie sich ganz bestimmt an den Atomwaffensperrvertrag halten werden, die Bombe ist schon nice to have. Einfach, weil Sie es können.

Kommen wir zu Ihnen, liebe Regierungschef*innen von Deutschland, Italien, Belgien und den Niederlanden. Die Staaten, für die Sie als Regierungschef*innen politische Verantwortung tragen, stehen immer wieder in der Kritik, weil US-Atomwaffen aus Zeiten des Kalten Krieges im Staatsgebiet lagern. Zumindest das Wissen, dass nicht US-Präsident Trump persönlich über den Code für diese Atomwaffen verfügt, ist sicherlich in gewissem Maße beruhigend. Aber allein die Tatsache, dass Sie US-Atomwaffen nur dulden, anstatt selbst welche zu besitzen, macht Sie nicht gerade zu Vorreitern in der Aufgabe, die Welt ein bisschen friedlicher zu machen. Schließlich profitieren sich von diesem Relikt des Kalten Krieges, der nuklearen Teilhabe, insofern, dass Sie ein gewisses Mitspracherecht haben, wenn es um den Einsatz der im jeweiligen Staatsgebiet gelagerten Atomwaffen geht. Dafür kann man auch das flaue Gefühl, das die unberechenbare Außenpolitik des US-Präsidenten hinterlässt, mal herunterschlucken. Die Unterzeichnung des Vertrags der ICAN wäre für Sie eine Gelegenheit gewesen, ein Zeichen gegen die Präsenz von einsatzfähigen Atomwaffen in Europa zu setzen. Aber na ja, lieber haben als hätten, und trotz allem wollen wir ja weder Frankreich und Großbritannien noch unsere Noch-Schutzmacht USA vergraulen, nicht wahr?

Da haben wir das Schlagwort für die Staats-und Regierungschef*innen der übrigen Staaten: Die allermeisten von Ihnen sind Mitglieder der NATO, in der die USA wegen ihrer massiven militärischen Kapazitäten noch immer die De-Facto-Schutzmacht Europas ist, auch wenn US-Präsident Trump sich davon distanzieren will. Bis dato befanden Sie sich immer in der komfortablen Situation, sich selbst nicht mit dem Besitz von Atomwaffen die Hände schmutzig zu machen - und trotzdem indirekt von der Abschreckungswirkung der Bombe zu profitieren, da Ihr wichtigster NATO-Partner sie hat. Auch wenn sich dieser Partner an den Atomwaffensperrvertrag hält, mindert das nicht die Abschreckungswirkung. Mit einem Ja zum Vertrag hätten Sie den US-Präsidenten ganz sicher verprellt. Und wer will das schon, vor allem an der NATO-Außengrenze, wo man sich in Anbetracht der russischen Außenpolitik so sehr von den USA abhängig sieht?

Mr. Varadkar und Herr Kern, Sie dagegen haben mit der Unterzeichnung des Vertrags ganze Arbeit geleistet. Zugegeben, Irland und Österreich sind nicht die mächtigsten Mitgliedstaaten der EU, das ist Ihnen bewusst. Aber trotzdem haben Sie das Zeichen gesetzt, die perfide Bedrohungs- und Abschreckungslogik zurückzuweisen, indem Sie für ein Verbot von Atomwaffen gestimmt haben. Dies ist auch für die europäischen Partner symbolisch, denn die Bedrohung, die von Atomwaffen für Irland oder Österreich ausgeht ist vergleichbar mit denen der anderen europäischen Partner, nämlich sehr, sehr niedrig bis inexistent. Arbeiten Sie daran, Ihre europäischen Partner zu überzeugen. Auch, wenn es schwierig bis unmöglich ist.

Die Tatsache, dass Sie alle als Staats-und Regierungschefs in Europa immer mehr über massive Aufrüstung diskutieren, um einem unberechenbaren US-Präsidenten zu gefallen, anstatt konsequent an einer friedlichen Abrüstung und einer kohärenten europäischen Außen-und Verteidigungspolitik zu arbeiten, ist mehr als bedenklich. Innenpolitisch erwähnen Sie immer wieder gern, wie wichtig Abrüstung und eine atomwaffenfreie Welt sind. Fürs Pressekommuniqué nach der Friedensnobelpreis-Verleihung macht sich eine solche Postion schließlich hervorragend. Aber den letzten Schritt mit der Unterzeichnung eines Verbots von Atomwaffen gehen Sie nicht. Das setzt falsche Signale, Sie entziehen sich der Verantwortung.

Eine Welt ohne Konflikte und Krieg ist unrealistisch. Aber mit der Unterzeichnung des Vertrags zum Verbot von Atomwaffen können Sie zumindest verhindern, dass eine der grausamsten Waffenvernichtungswaffen dabei weiterhin im Spiel bleibt. Solange Atomwaffen nicht abgeschafft werden, werden wir immer weiter in der Bedrohungslogik mit der Bombe als zwar völkerrechtswidrige, aber trotzdem bestehende Ultima Ratio denken. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes explosiv.

Ich bin sicher, dass dieser Brief Sie alle trotz aller guter Argumente nicht zum Nachdenken bewegen wird. Vielleicht behalten Sie einfach einen Satz aus John Lennons „Imagine“ im Kopf: „You may say I’m a dreamer, but I’m not the only one. I hope someday you’ll join us, and the world will be as one.“ Damit wird dieser Brief zum Ende doch noch pathetisch. Aber auch die Aktivist*innen der ICAN waren Träumer*innen.

Hochachtungsvoll


Gesine Weber

Am vergangenen Freitag ist die internationale Kampagne zum Verbot von Atomwaffen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Während biologische und chemische Waffen seit Jahren durch internationale Verträge verboten sind, gilt für Atomwaffen lediglich der Atomwaffensperrvertrag. Dieser untersagt die Verbreitung von Nuklearwaffen und enthält theoretisch eine Klausel zur Abrüstung - praktisch ist der Besitz von Atomwaffen aber unproblematisch. Dieser Vertrag hat 191 Unterzeichnerstaaten, darunter auch die Atommächte. Der von der ICAN erarbeitete Vertrag hat inzwischen 50 Unterzeichnerstaaten, hauptsächlich aus Afrika, Asien und Südamerika. Sobald ihn diese 50 Staaten auch ratifiziert haben, tritt er in Kraft.

Informationen: http://www.icanw.org/the-treaty/

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