Liebe europäische Föderalisten,
was haben wir nicht an positivem Zuspruch für die europäische Idee gehört. Seit unter den unterschiedlichsten Bannern Menschen für Europa auf die Straße gehen tauchen die Europäische Union (EU) und ganz besonders ihre Zukunft in immer mehr politischen Reden und Fürsprachen auf. Die Stoßrichtung war klar: Unsere Vorstellung von Europa gegen die Dystopie der Rechtspopulisten verteidigen und die EU sowie ihre Entscheidungsstrukturen demokratischer, transparenter, bürgernäher machen.
Chance nicht genutzt, Chance vertan?
Was immer so überzeugend klingt, ist dann doch nicht so leicht in die Praxis zu übersetzen. Neben der Beibehaltung der Spitzenkandidaten für die anstehende Europawahl im Mai 2019 ist auch die Einführung sogenannter transnationaler Listen im Gespräch. Das wäre die Einführung einer europäischen Zweitstimme für in allen Ländern zur Wahl stehenden Abgeordneten der europäischen Parteienfamilien.
Allen Überzeugungsversuchen zum Trotz fand sich für einen entsprechenden Vorschlag am 7. Februar 2018 leider keine Mehrheit im Parlament. Das ist doppelt schade: Zum einen verpasste das Parlament bis auf weiteres ein Gelegenheitsfenster, die frei werdenden britischen Sitze nach dem zu erwartenden Brexit gänzlich neu zu verteilen. Man hätte niemandem etwas wegnehmen müssen, sondern hätte im Gegenteil mit einer Stärkung der europäischen Dimension der Europawahlen vielmehr jedem EU-Bürger und jeder EU-Bürgerin etwas gegeben. Zum anderen haben besonders viele junge Menschen, nicht nur innerhalb der JEF, sondern auch in anderen Initiativen in den letzten Wochen und Monaten für genau diese strukturelle Stärkung der EU gekämpft. Ein klarer Dämpfer also für alle, die mit Verve für die Idee der Europalisten geworben haben.
Die europäischen Parteien müssen jetzt liefern
Ob die wachsende Unterstützung der Mitgliedstaaten für die Idee der Listen ausreicht, um über den Europäischen Rat eine erneute Initiative zu starten, ist fraglich. Zeitgleich muss aber scheinbar auch das Spitzenkandidatenprinzip wieder gegen ablehnende Regierungen verteidigt werden.
Hieraus entsteht nun eine Situation, die gerade die europäischen Parteienfamilien nutzen sollten: Zentrales Versprechen der Europalisten war, die Europawahlkämpfe der Parteien aus dem nationalen Rahmen zu heben und wirklich europäisch zu machen. Der Verzicht auf die Listen, aber das Beibehalten der Spitzenkandidaten eröffnen eben jenen Parteien, die sich den Europalisten im Plenum verweigert haben, ihre Position zu begründen. Indem sie mit einem europäisch koordinierten Wahlkampf, einem Programm für alle Mitgliedstaaten, einer starken kandidierenden Person in den Wahlkampf gehen! Dann sollen sie zeigen, dass man keine vermeintlichen „Superabgeordneten“ braucht, um die Strukturen, die Entscheidungsprozesse, die Handlungsfähigkeit und vor allem die Relevanz von europäischen Parteien zu stärken.
Wir haben noch genug Pfeile im Köcher
Bis dahin gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich weiter für föderalistische Positionen einzusetzen. Spätestens die Aufstellung des kommenden EU-Haushalts lässt Raum für Diskussion über ebenfalls längst überfällige Reformen: einen investiven Eurozonenhaushalt, eine erneuerte, stärkere und demokratisierte Koordinierung und Entscheidungsfindung europäischer Wirtschaftspolitik und nicht zuletzt auch die Einführung automatischer Stabilisatoren für die Währungsunion.
Wenn die Bundesregierung sagt, sie ist zu einem größeren Beitrag zum EU-Haushalt bereit, dann ist es unsere Aufgabe, sie darauf festzunageln! Wenn wieder über eine Finanztransaktionssteuer nachgedacht wird, dann ist es unsere Aufgabe, dass es europäische Eigenmittel werden! Wenn wieder über einen Europäischen Finanzminister diskutiert wird, dann ist es unsere Aufgabe, darauf zu bestehen, dass er dem Parlament gegenüber in der Verantwortung steht! Wenn wieder über die ineffiziente Asyl- und Migrationspolitik lamentiert wird, dann ist es unsere Aufgabe, pausenlos für eine wirklich europäische Asyl- und Migrationspolitik mit fairem Verteilungsschlüssel zu werben! Wenn wieder jemand ein Initiativrecht für das Europaparlament fordert: Ja, verdammt!
Rückbesinnung auf die Wurzeln der Idee
Nur weil die Europalisten nicht sofort kommen, sollten wir nicht den Kopf in den Sand stecken. Das bedeutet aber auch, genau zu schauen, wie wir als pro-europäische Zivilgesellschaft mit breiter Interessenskoalition unsere Positionen zielgerichteter, strategischer und effizienter vertreten und kommunizieren können. Hierfür ist ein Blick zurück unverzichtbar, um zu schauen, was da eigentlich schief gelaufen ist am 7. Februar und im Vorfeld. Darauf aufbauend geht es weiter. Seit 70 Jahren. Und vielleicht auch noch 70 weitere Jahre. Denn einen europäischen Bundesstaat haben wir noch nicht. Dieses Ziel werden wir auch nicht aus den Augen verlieren. Es tut aber vielleicht dem ein oder anderen ebenso gut, es sich nochmal vor Augen zu führen. Dann haben wir wieder eine gemeinsame Richtung.
Bis dahin liegt es an jedem von uns, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger von unseren Ideen, auch den Europalisten, zu überzeugen. Natürlich ist es schön, wenn Entscheidungstragende unsere Vorschläge aufgreifen und für deren Umsetzung sorgen. Am Ende aber sind auch sie nur Vertreter des eigentlichen Souveräns: den Menschen in Europa. Das ist nicht unwichtig für pro-europäische Bürgerorganisationen.
Kommentare verfolgen: |