Brief an Europa: Martin Schulz

, von  Nico Amiri

Brief an Europa: Martin Schulz
Foto: Marco Verch / Flickr / CC BY 2.0 Martin Schulz bei einem Wahlkampfauftritt in Köln, 2017.

Geehrter Martin,

heute ist ein großer Tag für unsere Partei, die SPD – mal wieder stehen unsere Genossen vor der Entscheidung, ob die älteste Partei der Republik sich auf eine erneute Auflage der Großen Koalition einlässt oder in die Opposition gehen will. Du bist für die GroKo, ich dagegen!

Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen atmete Europa erst einmal auf. Eine Regierung mit der FDP, die die Koalition platzen ließ, beschrieb Macron als Albtraum für seinen europäischen Traum. Stattdessen freut sich der französische Präsident nun über eine GroKo unter Beteiligung der Europapartei SPD.

Dass er auf uns, Sozialdemokraten, wartet und keine Chance in einem Bündnis mit der Union für einen progressiven Marsch in Richtung „Mehr Europa“ sieht, ist kein Wunder. Diverse Regierungschefs weltweit würden sich über eine Regierungsbeteiligung der Roten freuen. Gerade an diesem Punkt tue ich mich tatsächlich schwer mit meinem Nein zur Neuauflage der GroKo. Dennoch habe ich gute Gründe für meine Entscheidung – wie du sie hast für deine.

Als eines von vielen Juso-Mitgliedern bin ich naturgemäß nicht immer einer Meinung mit den Beschlüssen des Parteivorstands. Am Abend des 24. September aber ging mein Herz auf, als du sagtest „Wir stehen für eine Große Koalition nicht zur Verfügung!“. Im Januar war deine Nominierung für den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur der Grund für Tausende, ja, Zehntausende, in unsere große und stolze Partei einzutreten. Mein Freund war so sehr begeistert von dir und deinem Auftritt in der Berliner Runde, von einer kämpferischen Partei, dass er wenige Tage später beschloss, in die Partei einzutreten. Wochen und einen Sinneswandel später zweifelt er an seiner Entscheidung, er denkt über einen Austritt nach. Er erkennt die SPD, die sich in der Opposition erneuern und neu aufstellen wollte, nicht wieder – mir geht es genauso. Kannst du das wollen?

Die Basisinitiative SPD++, die sich für eine Digitalisierung und Verjüngung der Partei sowie mehr Frauen in führenden Positionen einsetzt, liegt richtig und hat meine Unterstützung. Das unglaublich große, mediale Echo war verdient, der Nerv der Zeit getroffen. Was bleibt übrig davon? Wir Jusos fordern, dass die zukünftige Generation mehr Mitsprache bekommt. Wir, die Jungen, sind es, die in diesem Europa noch lange leben werden und dafür Sorge tragen müssen, dass Menschen, die Zuflucht vor Krieg suchen, einen Ort finden, dass der Klimawandel abgedämpft wird, dass alle frei und gleich an Würde sind und kein Kind zurückgelassen wird.

Seit 155 Jahren kämpfen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für bessere Lebensbedingungen, für eine grenzüberschreitende Solidarität, für Visionen. Genau diese Punkte und unseren Leitspruch – „Freiheit, Gleichheit, Solidarität“ – vermisse ich in den 28 Seiten, die nach euren Sondierungen standen. Wo bleibt die Absage an die Austeritätspolitik von Merkel (und Schäuble für viel zu lange Zeit), wo die Solidarität mit den Armen der Ärmsten im Süden, wo die Vision für Europa? Mit CDU und CSU ist nicht gut Kirschen essen, mit ihnen werden wir den Euro und Europa nicht retten.

Deine Meinung werde ich wohl nicht mehr ändern, dennoch hoffe ich, dass du dir diesen Brief (wenn du ihn denn überhaupt liest) zu Herzen nimmst. In meinen Augen bist du als überzeugtester Europäer der richtige Vorsitzende zur richtigen Zeit. Deine Entscheidung aber ist die Falsche in meinen Augen.

Sollte es wirklich zu Koalitionsverhandlungen kommen, musst du uns, der Basis, etwas Überzeugendes präsentieren. Diese Sondierungen waren es bei Weitem nicht. Am Ende entscheidet die Basis über einen Eintritt in die nächste Regierung. Und glaub mir: das wird kein Selbstläufer – wie 2013!

Eine stolze Partei wie die SPD gibt sich nicht mit Scheinerfolgen zufrieden. Sie ist nicht der Steigbügelhalter anderer Partei. Sie muss Veränderung wollen - nach dem Motto: Gestalten statt Verwalten". Das schließt eine große gewissermaßen kategorisch aus. Europa braucht die SPD, Macron braucht sie jetzt. Aber in einer Minderheitsregierung unter Merkel kann die SPD mithilfe eines Solidarpakts für Europa die notwendigen Reformen festschreiben. Das ist auch aus der Opposition heraus möglich.

Ich bin gespannt und freue mich auf eine lebendige Diskussion! Glück auf! Es geht um viel, es geht auch um Europa

Mit solidarischen Grüßen, Nico Amiri

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