Brief an Europa: Wladimir Putin, Episode vier

, von  Ludger Wortmann

Brief an Europa: Wladimir Putin, Episode vier

Vor einigen Wochen ist Wladimir Putin im Amt als russischer Präsident bestätigt worden. Ein kritischer Brief zu Beginn einer vierten Amtszeit.

Sehr geehrter Herr Putin,

vor einigen Wochen haben Sie erneut die Präsidentschaftswahl in Russland gewonnen – herzlichen Glückwunsch dazu. Eine Zustimmungsrate von 74 % gehört für jeden EU-Politiker in das Reich kühnster Träume. Dieses Ergebnis zeigt mir, dass sich Fleiß, Beharrlichkeit und Einfallsreichtum bei der Wahlfälschung auszeichnen. Gleichzeitig kündet es jedoch auch von edler Bescheidenheit und kluger Lernfähigkeit.

Wer hätte gedacht, dass der Präsident einer so großen und stolzen Nation wie der Russischen bereit sein würde, bei seinem südlichen Nachbarn in die Lehre zu gehen? Nursultan Naserbajew mag nur Präsident des dünn besiedelten Kasachstan sein, doch haben Sie seine unbestrittenen Fähigkeiten als Diktator erkannt und sich an ihm ein Vorbild genommen. Sicher, zu den mehr als 97 %, die Herr Naserbajew im Jahre 2015 bei seiner Präsidentschaftswahl einheimsen konnte, haben Sie noch einigen Abstand, aber vielleicht ist das sogar eine weise Entscheidung. Selbst der dekadente und naive Westen hätte erkannt, dass 97 % Zustimmung recht unwahrscheinlich sind. Ein Viertelhundert Punkte weniger ist da doch gleich viel glaubwürdiger, nicht wahr?

Ärgerlich ist nur, dass wir Europäer nicht ganz so doof sind, wie es unsere Vorliebe für komische Brillen und unsere Abneigung gegen tarnfleckbehoste Despoten auf Bärenjagd nahelegt. Gerade beim Befüllen der Wahlurnen mit Extrastimmen hätten Sie sich etwas mehr anstrengen können. Dass ihre Partei arme Menschen zu den Wahllokalen karrt und ihnen warme Mahlzeiten anbietet, wenn sie nur die Ihnen genehme Stimme abgeben, ist auch auffällig. Und interessant ist auch, dass der wichtigste Oppositionelle nicht zur Wahl zugelassen wurde. Ach, und dann die Sache mit den Medien. Wenn Journalisten verschwinden, fällt das auf. Wenn Zeitungen geschlossen werden, auch. Sie schalten also die Opposition aus, würgen die Meinungs- und Pressefreiheit ab, üben Druck auf die Wähler aus, fälschen die Stimmzahl und glauben, das merken wir nicht? Oder glauben Sie, ihre eigenen Landsleute merken das nicht? Oder geht es Ihnen gar nicht darum, was jemand merkt? Vielleicht gehören Sie ja zu der Spezies Politiker, der es egal ist, wenn sie beim Lügen erwischt wird, weil sie die Wahrheit an sich nicht für ein relevantes Konzept hält. Dass das ihre Auffassung ist, legt ja zumindest die Berichterstattung ihres Propagandasenders Russia Today (RT) nahe. „Natürlich sind wir Propaganda, und natürlich lügen wir – aber das tun ja alle, denn die Wahrheit ist unwichtig“. Diese Botschaft spricht aus RTs Programm.

Wenn Sie das glauben wollen, können Sie das gerne tun. Und dennoch habe ich Zweifel daran, dass Russland und die EU genau gleich vorgehen und dass nur Sie so ehrlich sind, es zuzugeben. Bei uns kann jeder öffentlich sagen, was er will. Selbst dann, wenn er Ihren Hass auf unsere offene Gesellschaft teilt. Eine breite Palette von Medien existiert frei und kritisiert unsere Regierungen. Egal ob obrigkeitsgenehm oder nicht, mehrheitsfähig oder nicht, vernünftig oder unvernünftig – jede Meinung findet irgendwen, der sie druckt, sendet oder online stellt. Wahlurnen werden nicht mit Ja-Stimmen präpariert, Krankenhauspatienten und Altenheimbewohner werden nicht zur Wahl gedrängt, es werden keine Fotos aus der Wahlkabine verlangt und keine Mobiltelefone für die linientreue Stimmabgabe versprochen.

Wenn uns unsere Regierung nicht passt, kritisieren wir sie, führen Kampagnen gegen sie, wählen sie ab. Es ist unser Recht als freie Bürger. Dieses Recht nehmen Sie der großen russischen Nation, der Sie zu dienen behaupten. Das Land Dostojewskis und Prokowjews, Tschaikowskis und Tolstois wird von einem Mann beherrscht, der Intellektuelle für Verräter hält, es nötig hat, den Willen des Volkes zu fälschen, Tschetschenien einem islamistischen Schwerverbrecher zum Fraß vorwirft und es für den ultimativen Beweis der Mannhaftigkeit hält, mit freiem Oberkörper Angeln zu gehen. Wo war denn diese Mannhaftigkeit, als es darum ging, trauernden Soldatenmüttern zu erklären, warum ihre Söhne im „nicht“ von russischen Truppen besetzten Donetsk gefallen sind?

Sicher werden Sie für sich reklamieren, dass Sie Russland wieder groß gemacht hätten, dass Wohlstand und Ordnung herrschen, seitdem Sie am Ruder sind. Russland ist also wieder groß, respektiert in der ganzen Welt? Sehen Sie sich ihre Freunde an: Der oben erwähnte Steppenpotentat Naserbajew, ein islamistischer und korrupter Diktator, der die Türkei in Geiselhaft genommen hat, und ein orangefarbener Reality-Darsteller jenseits des Atlantik, der überhaupt nicht begreifen kann, warum der amerikanische Rechtsstaat in ein ums andere Mal ausbremst. Ach so, und die beiden letztgenannten sind auch nicht wirklich ihre Freunde, immerhin hat der eine ihr Flugzeug abgeschossen und der andere in einem Akt seltener Klarheit Sanktionen gegen Sie verhängt wegen des Mordversuchs an diesem Ex-Spion in London. Wohlhabend haben Sie Russland gemacht? Das hätte ich bei dem Ölpreis auch hinbekommen. Für Ordnung haben Sie gesorgt? Das ist das Einzige, das man Ihnen lassen muss. Wenn mehrere Mafiabosse von einem Oberboss ausgeknipst werden, wird das organisierte Verbrechen organisierter.

Angesichts meiner Kritik habe ich eine Bitte an Sie: Hören Sie auf, das russische Volk zu betrügen. Hören Sie auf, es zu unterdrücken. Hören Sie auf, den Krieg in die Ukraine zu tragen. Rücken Sie die Krim wieder raus, deren Beitrittsreferendum zur Russischen Föderation unter den Läufen der Sturmgewehre stattgefunden hat. Hören Sie auf, einem Schlächter in Syrien mit Bombenangriffen zur Hand zu gehen. Und hören Sie auf, bei uns in der EU Leute zu unterstützen, die wollen, dass unser Staat so wird wie Ihrer. Wir wollen es nicht. Und woher weiß ich das? Ich weiß es, weil bei uns die Leute sagen dürfen, was sie wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Ludger Wortmann

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