Die diesjährige Weltklimakonferenz, COP29, wird auch als „Finanz-COP“ bezeichnet. Sie hat das Ziel, insgesamt 1 Billion US-Dollar für Klimafinanzierung aufzubringen. Der betreffende Fonds für Schäden und Verluste umfasst zwar auch menschliche Mobilität und Vertreibung, ist aber immer noch chronisch unterfinanziert. Und die Vorzeigeinitiative der EU, der Green Deal, lässt eine klare Strategie vermissen, um die steigenden Folgen von klimabedingter Migration anzugehen.
Dabei wird die durch die Klimakrise bedingte Migration von Menschen weltweit immer mehr zu einem kritischen Thema. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) definiert Klimamigration als die Vertreibung von Einzelpersonen oder Gemeinschaften, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen aufgrund plötzlicher oder zunehmender Umweltveränderungen, die durch den Klimawandel verursacht werden. Da sich klimabedingte Krisen wie Extremwetterereignisse und Ressourcenknappheit weltweit verschärfen, stellen sich dringende Fragen zur Ernährungssicherheit, Nachhaltigkeit der Landwirtschaft und zu den Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Auswirkungen der Klimakrise auf die Entwicklungsländer, aber auch auf die EU, abzumildern.
Der Europäische Green Deal: das Klima angehen, aber die Migration ignorieren?
Der Green Deal ist die Vorzeigeinitiative der Europäischen Union zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Schaffung einer nachhaltigen Zukunft. Er wurde 2019 von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eingeführt und zielt auf Kohlenstoffneutralität bis 2050 ab. Dabei liegt der Schwerpunkt unter anderem auf erneuerbaren Energien, Biodiversität und Dekarbonisierung. Doch trotz seiner fortschrittlichen Umweltziele geht der Green Deal nicht auf eine der schwerwiegendsten Folgen des Klimawandels ein: klimabedingte Migration.
„Kein Mensch und kein Ort wird zurückgelassen“ ist ein zentraler Grundsatz des Europäischen Green Deals. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass die durch die Klimakrise verursachten Vertreibungen unvermeidbar sind. Trotzdem fehlt es an konkreten Strategien für den richtigen Umgang damit. Während der Green Deal die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung außerhalb Europas, insbesondere in afrikanischen Ländern, anerkennt, wurde die Migration selbst nicht vollständig in die Diskussion einbezogen. Projekte wie „NaturAfrica“ zielen zwar darauf ab, die Auswirkungen des Klimawandels in afrikanischen Regionen durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Infrastruktur abzumildern. Es bleibt jedoch unklar, wie diese Projekte die durch Umweltbelastungen verursachte Migration angehen werden. Expert*innen warnen, dass vor allem die Binnenflucht in Afrika zunehmen wird. Dennoch könnten künftig auch in Europa mehr Migrant*innen vor klimabedingten Krisen fliehen.
Über europäische Politik hinaus: COP29
Auf der laufenden Weltklimakonferenz COP29 in Baku, Aserbaidschan, wird Klimamigration in den Diskussionen eine große Rolle spielen. Da die Finanzierung des Fonds für Schäden und Verluste (Loss and Damage Fund) ein zentrales Thema dieser Sitzung der UN-Konferenz sein wird, wird es schwer, dessen Auswirkungen auf die Migration über das Mittelmeer und nach Europa zu ignorieren. Die derzeitige Höhe des Fonds von 702 Mio. USD ist zwar bemerkenswert, wirft aber die Frage auf, ob sie ausreicht, um nicht nur die direkten Klimaauswirkungen, sondern auch die wachsende Herausforderung der klimabedingten Vertreibung zu bewältigen.
Der Zusammenhang zwischen Klimaschulden in gefährdeten Ländern und Zwangsmigration verleiht der Finanzagenda der Konferenz eine weitere Dringlichkeitsebene: Besonders, da Länder wie Äthiopien dreimal mehr für die Rückzahlung von Schulden als für die Klimaanpassung ausgeben, wird ihre Bevölkerung zunehmend von klimabedingter Vertreibung bedroht.
Landwirtschaft: ein stark betroffener Sektor
Nicht nur in Äthiopien, sondern generell sind Entwicklungsländer mit verstärkten Anfälligkeiten im Ernährungssystem konfrontiert, wie z. B. Ernährungsunsicherheit, unzureichender Zugang zu Wasser und geringere Ernteerträge oder eine geringere Produktivität in der Viehzucht aufgrund von extremen Klimaereignissen. Kleinbauernfamilien und Viehzüchter*innen sind den Folgen der globalen Erwärmung in hohem Maße ausgesetzt, und viele Haushalte leben vom täglichen Verkauf ihrer Produkte. Aufgrund der Auswirkungen unvorhersehbarer Wetterbedingungen sehen sie sich gezwungen, saisonal oder dauerhaft umzuziehen.
Daher betont der Weltmigrationsbericht 2024 der IOM, der die Situation der weltweiten Migration alle zwei Jahre analysiert, betont, dass die Politik die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mobilität, Klima und Ernährungssicherheit berücksichtigen muss. Nicht nur wegen der wirtschaftlichen Folgen globaler Erwärmung, sondern auch wegen der Zunahme an Gefährdungen und Menschenrechtsverletzungen von landwirtschaftlichen Arbeitsmigrant*innen. In einer Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird dargelegt, dass die Migration als Anpassungsstrategie an den Klimawandel zur Entwicklung der Landwirtschaft und zum Wirtschaftswachstum beitragen kann, allerdings muss sie sicher und geordnet erfolgen.
Dr. Susanne Melde, leitende Analystin im Global Migration Data Analysis Centre (GMDAC) der IOM, betont ebenfalls das Potenzial der Migration als Anpassungsstrategie an die Umwelt- und Klimakrise sowie an Katastrophen unter bestimmten Bedingungen. Ihrer Meinung nach könnte die Finanzierung der Klimaanpassung „einen gerechten Übergang ermöglichen, indem die Kapazitäten der Migrant*innen an den Zielorten aufgewertet werden und ihre Fähigkeiten in den Herkunftsgebieten genutzt werden, um den Übergang zu grüneren Lösungen zu unterstützen“.
Auf der COP29 werden Ernährungssicherheit und Landwirtschaft zwei der Hauptpfeiler bilden. Insbesondere am Tag der Ernährung, der Landwirtschaft und des Wassers (am 19. November) wird die COP29-Präsidentschaft mit Unterstützung der FAO die Harmoniya-Klima-Initiative für Landwirte in Baku starten. Sie zielt unter anderem darauf ab, die Entwicklung klimaresistenter Dörfer und ländlicher Gemeinschaften zu fördern, die Rolle von Fischer*innen und Landwirt*innen zu stärken und Anpassungsmaßnahmen in den Bereichen Ernährung, Landwirtschaft und Wasser zu ermöglichen.
Klimamigration bringt gegenseitigen Nutzen
Um einen gerechten Übergang zu gewährleisten, bei dem wiederum „niemand zurückgelassen wird“, hat die Europäische Kommission im Rahmen des Europäischen Investitionsplans für den Green Deal einen Fonds mit einem Budget von 17,5 Milliarden Euro für den Zeitraum 2021 bis 2027 eingerichtet. Er soll „die Bevölkerung in den am stärksten betroffenen Regionen der EU unterstützen und dazu beitragen, die sozioökonomischen Kosten des Übergangs“ zur Klimaneutralität abzufedern. In Regionen mit einer starken Kohleindustrie wie Rumänien, Polen oder Bulgarien werden den Arbeiter*innen und Bergleuten beispielsweise Umschulungsprogramme angeboten, um sicherzustellen, dass sie in anderen Unternehmen neue Beschäftigungsmöglichkeiten finden, wenn die EU schließlich auf mehr erneuerbare Energiequellen umsteigt. Diese Programme werden jedoch kritisiert, weil sie weder die Menschenrechte der Arbeitnehmer*innen noch soziale Aspekte berücksichtigen und auch die besonderen Bedürfnisse von Migrant*innen, die einen großen Teil der Kohlearbeiter*innen ausmachen, in den Umsetzungsplänen nicht berücksichtigt werden.
Nichtsdestotrotz scheint sich die EU mit solchen Programmen auf die Ursachen der Migration zu konzentrieren, auch wenn sie Arbeitsmigrant*innen nicht ausdrücklich erwähnt. Das Gleiche gilt für den Agrarsektor: Die EU hat verschiedene Programme zur Unterstützung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährungssicherheit aufgelegt. Mit Blick auf die Migration und die Chancen für Herkunfts- und Zielländer wird eine Strategie besonders interessant: „Farm to Fork“ (F2F), die sich auf Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit in vielen Bereichen konzentriert. Angesichts einer alternden Bevölkerung und einem dadurch entstehenden Mangel an Arbeitskräften, vor allem in der Landwirtschaft, kann die legale Migration eine Rolle dabei spielen, den Arbeitskräftemangel in Europa auszugleichen und so den grünen Wandel zu erleichtern. Wenn Menschen ins Ausland gehen können, um eine Berufsausbildung zu absolvieren, könnte dies der Klimaanpassung und Innovation in den Herkunftsländern zugute kommen.
Migration muss eine Wahl sein
Programme wie NaturAfrica, F2F und Klimafonds können eine Grundlage für das schaffen, was noch kommen wird. Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise sucht die EU nach nachhaltigen Lösungen und versucht gleichzeitig, alle ins Boot zu holen und niemanden zurückzulassen. Neben den zahlreichen Krisenherden wie der Energiewende, der Landwirtschaft, Umweltkrisen und der alternden Erwerbsbevölkerung könnte die Klimakrise eine der größten Herausforderungen sein, die die EU zu bewältigen hat.
Die COP29 bietet eine Gelegenheit, dieses globale Thema ins Spiel zu bringen. Das UN-Netzwerk für Migration ist als ein Akteur vor Ort und setzt sich für Klimamigration ein. Es fordert alle Parteien auf, „diesen Moment zu nutzen, um entschlossen zu handeln und Lösungen zu finden, die eine sichere, geordnete und würdevolle Migration gewährleisten“.
Einen Weg zu finden, Klimamigration offen einzubeziehen, „würde dazu beitragen, dass ein wichtiger Teil der Bevölkerung in Europa in den Übergangsprozess einbezogen werden könnte, und würde das Versprechen einlösen, niemanden zurückzulassen“, wie es in einem Bericht der IOM heißt. Um dies zu erreichen, müssen die COP-Staaten und die EU nicht nur nachhaltige Programme in Europa finanzieren, sondern auch auf andere Kontinente wie Afrika schauen, wo die Krise die Menschen noch schneller trifft. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die dazu beitragen, dass Migration eine Wahl und keine Notwendigkeit ist, wie Susanne Melde, leitende Analystin der IOM im Global Migration Data Analysis Centre (GMDAC), erklärt.
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