Das Gas-Gambit: wie Bergkarabach zum Bauernopfer wurde

, von  Aleksandar Abramovic

Das Gas-Gambit: wie Bergkarabach zum Bauernopfer wurde
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Auf Grund der außenpolitischen Isolation Armeniens konnte Aserbaidschan in Bergkarabach sein überlegenes Militär zum Einsatz bringen und die abtrünnige Region so Schritt für Schritt zurückerobern. Das internationale Publikum sah dieser Übernahme fast tatenlos zu. Was waren die Gründe dafür?

Das Ende der Republik Bergkarabach im September 2023 ist das Ergebnis mehrerer Umstände: Zum Einen war das zunehmende Desinteresse der armenischen Regierung in Jerewan am Schicksal Bergkarabachs Anfang des Endes. Zum Anderen, hatte die Bindung Russlands in der Ukraine schwerwiegende Konsequenzen für die Armenier*innen in Bergkarabakh. Doch auch der Wunsch des Westens, einen Konflikt mit Baku zu vermeiden, führte nun zum Ende der kleinen Republik.

Russlands geopolitische Interessen

Russland verfolgt seit geraumer Zeit das Ziel, (wieder) zu einer internationalen Großmacht aufzusteigen. Diesen Status kann die Föderation jedoch nur dann erreichen, wenn es die reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen des postsowjetischen Raumes kontrollieren und gewinnbringend verkaufen kann. In Bezug auf die kaspisch-zentralasiatischen Energievorkommen sieht sich der Kreml aber mit Konkurrenz durch den Westen konfrontiert. Das geografische Scharnier für diese Ausbeutung der Ölvorkommen bildet der Südkaukasus, über welchen Öl und Gas in die EU gebracht werden sollen. Russland möchte seinen Ausschluss aus den Lieferketten verhindern und befindet sich deshalb mit den USA und der EU in einem Wettstreit um Einfluss und politische Verbündete im Südkaukasus.


„Über den Südkaukasus sollen die reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen des postsowjetischen Raumes transportiert werden“


Auf Grund von Armeniens Geschichte und wirtschaftlichen Bindungen gehörte das Land zunächst zum pro-russischen Block und blieb dadurch von den profitablen und nach Westen führenden südkaukasischen Energietransportkorridoren ausgeschlossen. Dies zu ändern war das Ziel des 2018 an die Macht gekommenen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan, der gleichzeitig auch gegen den geo-ökonomischen Einfluss des Kremls in Armenien vorging. Diese Unabhängigkeitsbestrebungen drohen nun, Russland eines wichtigen Verbündeten zu berauben. Folglich entzog Putins Regierung der armenischen Regierung seine Unterstützung. Es scheint so, als wäre es die Hoffnung Russlands gewesen, das hochgerüstete Aserbaidschan würde Bergkarabach angreifen und die armenische Regierung zurück in die schützenden Arme des Kremls drängen. Tatsächlich boten sich Paschinjan kaum Alternativen zum Hilferuf an den Kreml, hätte er sich dazu entschieden, Bergkarabach zu behalten. Die Alternative, der Westen würde ihn bei einem Krieg gegen Aserbaidschan kaum unterstützen: Baku gilt im Westen als wichtiger Partner im Energiegeschäft – einen Partner, den man nicht durch eine konfrontative Politik entfremden will.

Armeniens Nachbarn - verbündet und verhasst

Als Armeniens südlicher Nachbar und strategischer Verbündeter war der Iran zwar grundsätzlich offen für Armeniens Belange, infolge des Konflikts mit den USA aber am Persischen Golf gebunden und zu einer aktiven Regionalpolitik im Kaukasus unfähig. Zudem hätte die Loslösung Bergkarabachs von Aserbaidschan einen Präzedenzfall geschaffen, welcher die territoriale Integrität des Vielvölkerstaates Iran infrage stellen könnte.

Im Norden Armeniens ist die Türkei zu finden. Regional steht das Land fest an der Seite Aserbaidschans. Dieses Bündnis ist Teil einer pantürkischen Politik, durch welche Erdoğans Regierung Anschluss an die Turkvölker des postsowjetischen Raumes finden will. Zudem hat die Allianz durchaus eine geo-ökonomische Motivation: Gelingt es Ankara nämlich im Südkaukasus Fuß zu fassen, könnte es zur regionalen Ordnungsmacht entlang der Energietransportrouten von Zentralasien nach Europa aufsteigen.

In Folge der Bündnislage, sah sich Armenien dem ersten von einer Serie aserbaidschanischen Angriffe im Herbst 2020 auf Berg-Karabach allein ausgesetzt. Vor dem Einmarsch in die Ukraine konnte Russland seine Rolle als Vermittler im Kaukasus erfüllen. So verhandelte der Kreml, dass große Teile Bergkarabachs mit russischen Friedenstruppen besetzt wurden. So sollte die armenische Innenpolitik im russischen Sinne beeinfluss werden. Allerdings blieb Paschinjan im Ministerpräsidentenamt und führte Armenien nicht, um Bergkarabach zu retten, in die Abhängigkeit von Russland zurück. Stattdessen entschloss er sich dazu, die Region aufzugeben und damit seinem Land eine regionale Integration zu ermöglichen.



Armeniens Position in der Region. Foto: Peterfitzgerald (Peter Fitzgerald)), CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons


Das Ende einer jungen Republik

Die Aufgabe Bergkarabachs geschah schrittweise und die armenische Öffentlichkeit wurde auf eine Zukunft ohne das Gebiet vorbereitet. In Folge von Anstrengungen der EU erkannte Armenien im Oktober 2022 schließlich die territoriale Integrität Aserbaidschans de facto an. Damit trennten sich die Wege Jerewans und der Hauptstadt Bergkarabachs, arm. Stepanakert (inzwischen az.Khankendi), welches sich seiner Reintegration in den aserbaidschanischen Staatsbestand weiter widersetzte und sich noch enger an Russland anschloss.


„Die Aufgabe Bergkarabachs geschah schrittweise“


Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 sorgt schließlich für die Verschlimmerung der Position Bergkarabachs: Einerseits wurden vieleTruppenverbände Russlands in die Ukraine entsandt und standen damit nicht mehr im Südkaukasus bereit. Andererseits stieg durch die gleichzeitige Zuspitzung der russisch-westlichen Rivalität im Energiesektor die Bedeutung Aserbaidschans für beide Seiten an. In Brüssel und Washington war man deswegen nicht bereit, Bergkarabach zu verteidigen und so mit Baku in Streit zu geraten. Dies ermöglichte es Aserbaidschan, die übrigen Teile der abtrünnigen Region schrittweise zurückerobern: Erst folgte ab Dezember 2022 die Blockade des Gebietes. Im September 2023 folgte dann die von Ilham Alijew autorisierte „Antiterror-Operation“, welche schlussendlich Kapitulation Berg-Karabachs führte.

Eine Geschichte von Gunst und Gas im Kaukasus

Doch wie wird es im Südkaukasus weitergehen? Eine Rückeroberung Bergkarabachs durch Armenien gilt als ausgeschlossen, da Jerewan für eine solche Aktion weder über die militärischen Mittel noch über die Unterstützung durch Drittstaaten verfügt. Die Position Aserbaidschans ist durch den Ausgang des Berg-Karabach-Konfliktes erheblich gestärkt worden. Es wird zukünftig durch ein Lavieren zwischen den auswärtigen Mächten, die um Gunst und Gas buhlen, seinen politischen Handlungsspielraum maximal ausweiten können. Wahrscheinlich wird dadurch Bakus Stimme entscheidend in der Frage, ob sich nun Russland oder der Westen im Südkaukasus durchsetzen werden.

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