Beitrag zum Online-Bürger*innendialog „Wie geht’s weiter in der Ukraine? Die deutsche G7-Präsidentschaft im Zeichen des Krieges“ am 23. Mai 2022

Der deutsche G7-Vorsitz im Zeichen des Krieges: Worauf kann sich die Ukraine verlassen?

, von  Moritz Hergl

Der deutsche G7-Vorsitz im Zeichen des Krieges: Worauf kann sich die Ukraine verlassen?
Treffen der G7-Außenminister*innen in Weissensee am 13. Juni 2022, u.A. auch mit dem ukrainischen Außenminister Foto: European Union, 2022 / Fotograf unbekannt / Copyright

Am 1. Januar 2022 übernahm Deutschland turnusgemäß die Präsidentschaft der G7. Mit dem Anspruch, für „Fortschritt für eine gerechte Welt“ zu sorgen, startete die deutsche Bundesregierung ambitioniert ins Jahr. Im Mittelpunkt der politischen Schwerpunkte der westlichen Industrienationen sollten die Themen Nachhaltigkeit und ein gerechtes Wirtschaftssystem liegen. Mit dem 24. Februar rückte das alles weit in den Hintergrund: An diesem Tag begann der russische Präsident Wladimir Putin mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Die G7 zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Offiziell bekundeten die G7 beim vergangenen Treffen der Außenminister*innen in Weissenhaus im April 2022: „Wir werden niemals Grenzen anerkennen, die Russland durch militärische Aggression zu verschieben versucht hat“. Doch zumindest einige EU Mitgliedstaaten „beugten sich jetzt schon Russland, und zahlen für Gaslieferungen nach den Bedingungen Russlands“, so die ukrainische Politikwissenschaftlerin Dr. Oleksandra Keudel im Bürger*innendialog der Europa-Union Deutschland am Montag letzte Woche. In der Diskussion mit mehr als 90 Bürger*innen ging es u.a.um ein generelles Energieembargo gegenüber Russland, das unter den Teilnehmer*innen große Unterstützung fand.

Eine Mehrheit der Teilnehmenden des digitalen EUD-Bürger*innendialogs am 23. Mai sprach sich für einen sofortigen Stopp aller fossilen Importe aus Russland aus.

Der Publizist und Grünen-Politiker Ralf Fücks bedauerte, dass sich die Diskussionen um ein fossiles Embargo seit Wochen im Kreis drehen würden. Schon vor Wochen forderte er mit anderen Intellektuellen eine stärkere Unterstützung der Ukraine in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Die bisherige Blockadepolitik in der EU sei nicht nur eine moralische Frage, sondern kriegsentscheidend. Denn Russland finanziere durch den Verkauf von Gas, Öl und Kohle den Krieg gegen die Ukraine. Laut dem Think Tank „Centre for Research on Energy and Clean Air“ (CREA) hat Russland seit dem 24. Februar bereits 57 Milliarden Euro durch den Verkauf fossiler Energieträger an EU-Mitgliedstaaten eingenommen (Stand: 31. Mai).

Deshalb sei ein Öl- und Gasembargo vor allem „sicherheitspolitisch sinnvoll“, so die Wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg Prof. Dr. Ursula Schröder. Sie verwies auf die gestiegene Relevanz informeller Institutionen wie der G7, da internationale Gremien wie die UN durch die aktuellen Kriege blockiert seien. Russland besitzt zum Beispiel weiterhin ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat.

An einem Beispiel zeige sich das konkret: Auf Vorschlag von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) beschlossen die G7 im Mai 2022 u.a. die Schaffung eines Bündnisses für Ernährungssicherheit, um der durch den Ukraine-Krieg entstandenen Getreideknappheit entgegenzuwirken. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) setzte das Thema der blockierten ukrainischen Seehäfen in den Mittelpunkt der G7-Gespräche. Hier merke man konkret, dass Deutschland das Forum der G7 nutzt, um sich global für die Ernährungssicherheit einzusetzen, so Schröder. In Energiefragen bleibe da allerdings noch Luft nach oben.

Der Bürger*innendialog hat aufgezeigt, dass die westlichen Verbündeten in ihrer Ukraine-Politik über kein einheitliches strategisches Ziel in ihrer Unterstützung verfügen. So verändert sich die Situation in der Ukraine laufend, doch es bleibt unklar, inwiefern die Ukraine unterstützt werden soll. Soll die Ukraine den Krieg „gewinnen“? Soll sie „nicht verlieren“? Oder soll sie lediglich „bestehen“ bleiben, wie der Bundeskanzler das zuletzt formulierte. Hier muss die G7 noch eine gemeinsame Herangehensweise finden.

Die Ukraine in der EU und der NATO – ein realistisches Szenario?

Oleksandra Keudel ist überzeugt, dass die Ukrainer*innen jetzt ein politisches Signal der EU bräuchten, um eine wirkliche Perspektive auf eine EU-Mitgliedschaft zu erhalten. Gleichzeitig würde die Erklärung des Beitrittskandidatenstatus auch Putin in die Schranken weisen. Und gleichzeitig müsse die EU beginnen, die Mitgliedschaft der Ukraine als Chance zu begreifen. So habe das Land eine große Kompetenz im Bereich der Digitalisierung und IT. Laut Keudel wollten die Ukrainer*innen nichts lieber, als Mitglied einer demokratischen Ordnung zu werden. Dies ist insbesondere beiden Euromaidan-Protesten zwischen November 2013 und Februar 2014 sehr deutlich geworden.

Und trotzdem dürfte es ein langer Weg sein, selbst wenn sich eine schnelle Beendigung des Krieges erreichen ließe. Laut Ralf Fücks gebe es Defizite vor allem in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und der wirtschaftlichen Lage. Trotzdem sollte das kein Grund sein, sich jetzt einem politischen Signal zu verschließen, der Ukraine ihren Platz in Europa zuzusichern. Auch dazu braucht es Rückenwind aus der G7.

Und wie sieht es mit einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine aus? Auch das sollte kein Tabu sein, so Ralf Fücks. Im Gegenteil, er ist überzeugt, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine eine rote Linie gegenüber Russland ziehen würde und die Situation im Osten Europas generell stabilisieren würde. Zuerst würden aber Schweden und Finnland dem Bündnis beitreten, so die Einschätzung von Ursula Schröder im Bürger*innendialog.

Auf der Suche nach kreativen Lösungen

Der Krieg wirft insgesamt die Frage auf, ob sich Russland vom Gedanken des „Imperiums“ verabschieden kann. Diesen Prozess könne und dürfe die internationale Gemeinschaft Russland nicht ersparen, sonst werde das „ein ewiger Quell von Konflikten und Kriegen bleiben“, so Ralf Fücks. Eine große Verantwortung läge nun bei den G7-Staaten, darin sind sich die Diskussionsteilnehmer*innen einig. Und zur kreativen Lösungsfindung seien diese informellen Formate der beste Ort. So müssten bestehende Finanzsanktionen besser kontrolliert werden und dazu beispielsweise auch Informationen von ukrainische Behörden und Investigativjournalist*innen im Prozess der Identifizierung von russischem Kapital im Ausland stärker einbezogen werden.

In allen Fragen müsse jedoch die ukrainische Zivilgesellschaft im Mittelpunkt stehen und in die internationale Entscheidungsfindung miteinbezogen werden, warnte Oleksandra Keudel. Sonst könne eine nachhaltige Friedensperspektive für die Ukraine nicht gefunden werden. Ob sich die Ukraine auf die G7-Staaten verlassen sollte bleibt dabei aber weiter fraglich. Zwar ist der Wille zur Unterstützung der Ukraine gegeben, aber an der Umsetzung hapert es teilweise gewaltig.

Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Kooperation zwischen der Europa-Union Deutschland und treffpunkteuropa.de entstanden, in der wir über die bundesweite Bürgerdialogreihe „Europa in der Welt: Wir müssen reden!“ berichten. Der Bürgerdialog am 23. Mai wurde vom Auswärtigen Amt kofinanziert und fand in Kooperation mit dem Zentrum Liberale Moderne statt.

treffpunkteuropa.de ist Medienpartner der Reihe und erhält im Rahmen dieser Partnerschaft eine Aufwandsentschädigung. Die Inhalte der Berichterstattung sind davon nicht betroffen. treffpunkteuropa.de ist frei und allein verantwortlich für die inhaltliche und redaktionelle Gestaltung seiner Artikel.

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom