Sehr geehrter Guy Verhofstadt,
die Konferenz der Präsidenten im Europäischen Parlament hat Sie am Donnerstag zum Verhandlungsführer des Hauses in den anstehenden Brexit-Verhandlungen ernannt. Obwohl ich mir ein Votum des Plenums in dieser Frage gewünscht hätte, halte ich die Entscheidung des Gremiums nichtsdestotrotz für eine gute Wahl.
Nach dem Brexit-Referendum im Juni haben Sie sehr deutlich gemacht, dass es für Großbritannien keine Rosinenpickerei in den Verhandlungen um den Austritt geben wird. Kein Zugang zum Binnenmarkt ohne Anerkennung seiner Regeln und Grundfreiheiten - so einfach ist es.
Zudem haben Sie es vermieden, in die apokalyptischen Töne rund um das Brexit-Votum einzustimmen und stattdessen die Chancen einer möglichen EU-Reform betont. „Warum sollten wir Angst haben vor dem Brexit? Wenn es passiert, können wir das zum Anlass nehmen, Europa neu zu gestalten. Ich habe aufgehört, diese EU zu verteidigen“, sagten Sie noch vor dem 23. Juni.
Ihre neue Rolle als Brexit-Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments sorgte jedoch nicht allerorten für Begeisterung. Der UKIP-Europaabgeordnete Nigel Farage, einer der prominentesten Befürworter des EU-Austritts, nannte Ihre Berufung eine „Beleidigung“ für das Vereinigte Königreich. „Sie hätten einfach keine Person wählen können, die noch negativer gegenüber unserem Vorhaben eingestellt ist. Er ist der Hohepriester des europäischen Föderalismus-Tempels. Und Menschen wie ich sind nicht würdig“, sagte Farage. Obwohl sich Farage durch seinen schnellen Rücktritt nach dem Referendum der politischen Verantwortung entzogen hat, ist er mit seiner Skepsis gegenüber den Vertretern aus Brüssel und Straßburg weiterhin ein Sprachrohr für weite Teile Großbritanniens, die sich im Juni mehrheitlich für den EU-Austritt des Landes ausgesprochen haben.
Daher, Herr Verhofstadt, möchte ich betonen, wie wichtig auch Ihre Rolle in den kommenden Monaten für das künftige Verhältnis zwischen der EU und den britischen Bürgern sein wird. Es sollte nicht darum gehen, ein Exempel an den abtrünnigen Briten zu statuieren, sondern die Basis für eine faire, vertrauensvolle und beidseitig vorteilhafte Partnerschaft zwischen der EU und allen Teilen des Vereinigten Königreichs - England, Wales, Schottland und Nordirland - zu legen.
In diesem Sinne wünsche Ich Ihnen für die kommenden, langwierigen Verhandlungen Geduld, Geschick und einen klaren Kompass.
Hochachtungsvoll,
Marcel Wollscheid
1. Am 12. September 2016 um 20:11, von mister-ede Als Antwort Der richtige Mann für den Job
Lieber Marcel Wollscheid,
also wenn er aufgehört hat die EU zu verteidigen, ist er kaum der richtige Verhandlungsführer.
Ich fand auch nicht so toll, dass Verhofstadt, der 9 Jahre Premierminister des hochverschuldeten Belgiens war, Tsipras im EP fast schon anpöbelt, weil dieser den griechischen Haushalt nicht in 3 Monaten saniert bekam. Und vor 2 Monaten dann seine Gedankenspiele, ob es vielleicht doch besser wäre, wenn ein paar Länder die EU verlassen würden und nur noch assoziiert wären. Ich verstehe da unter Europäischem Geist einfach was anderes, mehr die Suche nach Ausgleich als die Provokation einer Spaltung.
Mit europäischen Grüßen, Mister Ede
2. Am 13. September 2016 um 21:16, von duodecim stellae Als Antwort Der richtige Mann für den Job
OK Ede, ihre Meinung in Ehren, aber lassen wir die Kirche im Dorf. Es ist klar, dass ein liberaler „Turbokapitalist“ wie Verhofstadt einem „Kommunisten“ wie Tsipras im EP die Leviten liest. Das ist schlicht parteipolitische Normalität, die beweist, das Europaparlament ist doch nur ein ganz normales Parlament, wie alle anderen. Und das ist erst mal gut!
Es ist eine gute Nachricht, dass ein streitbarer Föderalist wie Verhofstadt die Verhandlungen mit dem UK führt. Ich hoffe nur, dass er sich nicht als Liberaler für einen Freihandel mit UK um jeden Preis einsetzt. Bisher scheint er klare Kante zu zeigen und das ist gut.
Juncker hat übrigens Michel Barnier zum Verhandler der Kommission gemacht! Das werden harte Verhandlungen für May! Gut so! Erlaubt den Brexitters nicht ihre Wahlversprechen einzulösen, die da waren: Kein Geld mehr an Brüssel, keine Einwanderung mehr aus Europa, aber weiter im Binnenmarkt hocken wie die Made im Speck! Das kann es nicht sein, wenn die Union sich darauf einlässt ist das praktisch der Selbstmord des politischen Europas!
3. Am 13. September 2016 um 23:09, von mister-ede Als Antwort Der richtige Mann für den Job
@duodecim stellae
Herr Tsipras war Gast im Europaparlament, das ihn eingeladen hat. Verhofstadt war Teil der Gastgeber. Aber vor allem soll er erst mal vor der eigenen Türe kehren. Bis 2008 war er belgischer Premier und heute steht das Land mit maroden Atomanlagen, Terrorismus und Überschuldung am Abgrund.
Deshalb möchte ich Verhofstadt nicht in einer verantwortungsvollen Position in der EU sehen. Und ich finde, das ist sachlich argumentiert und gut begründet. Wenn es ein liberaler sein muss, hätte ich vielleicht Graf Lambsdorff rausgesucht. Inhaltlich kommt er mir schon eher entgegen und mit Adel kennen sich die Briten ja auch aus.
Außerdem will ich keine harten Verhandlungen mit GB, sondern eine faire und solidarische gemeinsame Lösungssuche. Wir sitzen in einem Boot und in diesem Bewusstsein sollten die Verhandlungen geführt werden.
Kommentare verfolgen: |